Matthias Heitmann, Gastautor / 13.10.2017 / 16:57 / 1 / Seite ausdrucken

Der Wochen-Wahnsinn: Kataloniens Selbstentmündigungsbewegung

„Ich kann gut verstehen, dass die Menschen in Katalonien keine Lust mehr auf die Regierung in Madrid haben, nachdem sie gesehen haben, was man dort von Andersdenkenden hält“, sagt Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann im Gespräch mit TV- und Radiomoderator Tim Lauth in der aktuellen Ausgabe der Radiokolumne „Der WochenWahnsinn“. „Dennoch ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung in politischer Zombie. Die Separatisten wollen als Zwergstaat in die Europäische Union, also genau in den Laden, der demokratische Selbstbestimmung verhindert. Carles Puigedemont führt die Katalanen nicht in die Unabhängigkeit, sondern direkt in die Unmündigkeit.“

Zum Podcast geht’s hier entlang.

Tim Lauth: Herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe des WochenWahnsinns! Mein Name ist Tim Lauth, und ich gehe wieder auf Zeitgeisterjagd mit dem Mann, der das gleichnamige Hardcoverbuch und E-Book geschrieben hat: Matthias Heitmann. Matthias, die Ereignisse in Spanien muss man wohl als einen ausgewachsenen Wahnsinn bezeichnen, oder?

Matthias Heitmann: Auf jeden Fall, das ist Wahnsinn in Stereo, denn er kommt von beiden Seiten. Dass die Regierung eines EU-Staats eine Volksabstimmung versucht mit Gewalt zu verhindern, dürfte ein ziemlich einmaliger Vorgang sein. Die spanische Regierung hat hier ungeschickt völlig überreagiert. Und dass die Europäische Union hierzu schweigt, zeigt einmal mehr, was man in Brüssel von der Meinung der Bürger hält.

Lauth: Ja, da hast du wohl Recht. Aber Du hast vom Wahnsinn auf beiden Seiten gesprochen: Hältst Du denn die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen auch für wahnsinnig?

Heitmann: Ich kann gut verstehen, dass die Menschen keine Lust mehr auf die Regierung in Madrid haben, nachdem sie gesehen haben, was man dort von Andersdenkenden hält. Gleichzeitig wächst aber auch die Angst vor einer Eskalation. Der eigentliche Wahnsinn ist aber, dass die Separatisten ein unabhängiges Katalonien in die Europäische Union führen wollen, also genau in den Laden, der demokratische Selbstbestimmung verhindert. Tatsächlich haben die Katalanen als autonome Region innerhalb Spaniens sehr viel mehr Einfluss auf ihr Schicksal, als sie es als unabhängiger Kleinstaat in der EU hätten. Die Leute werden also vom Regen in die Traufe geführt. Die angebliche Unabhängigkeitsbewegung für Katalonien ist ein politischer Zombie. Sie führt die Menschen nicht in die Unabhängigkeit, sondern direkt in die Unmündigkeit.

Lauth: Aber es ist doch immer auch von einem „Europa der Regionen“ die Rede, also von einer Entmachtung der Nationalstaaten zugunsten kleinerer Einheiten. Wäre das kein Fortschritt?

Heitmann: Das klingt auch erst einmal gut. Aber in der Praxis bedeutet das doch, dass Brüssel immer weniger einflussreiche Gegenspieler haben wird, wenn man die Nationalstaaten zerlegt. Das ist der Grund, warum die Idee eines Europas der Regionen durchaus Fans in Brüssel hat. Es geht um die Zerstückelung großer demokratischer Machtblöcke zugunsten kleiner ohnmächtiger Einheiten. Diese Kleinstaaterei ist sehr rückwärtsgewandt: Da werden angebliche historische und die Menschen trennende Identitäten ausgegraben, um davon abzulenken, dass es wenige gemeinsame Ideen für die Zukunft gibt. Mit mehr Demokratie und Freiheit hat dieser Zerfall von Gemeinschaften nichts zu tun.

Lauth: Apropos Geschichte ausgaben. Was hältst Du denn von der Strategie der Bayern, mit Jupp Heynckes einen ollen Besen aus dem Museum zu holen?

Heitmann: Die Bayern sind ein gutes Beispiel für das, was ich eben gesagt habe: Man versucht, Geschichte wieder aufleben zu lassen, weil man keine konkrete Idee von der Zukunft hat. Ich halte das für eine Verzweiflungstat. Und ich bin froh, dass unsere Eintracht nicht in einer Situation ist, in der man ernsthaft über Friedel Rausch, Friedhelm Funkel oder Armin Veh nachdenken müsste.

Lauth: Ja, da kann man nur froh sein, dass unsere Eintracht so viel Kovac hat, dass sie so einen Quatsch nicht braucht. Und es gibt ja auch durchaus Gründe für Optimismus, dafür muss man auch nicht bis nach Jamaika fahren, wie es unsere Bundeskanzlerin vorhat. Ob diese Reisepläne auch Anlässe für Optimismus bieten, werden wir bestimmt in einer der nächsten Folgen des WochenWahnsinn besprechen, auch dann wieder mit Tim Lauth und Matthias Heitmann. Bis dahin: Machen Sie‘s gut – und besser!

Alte Ausgaben des „WochenWahnsinn“ im Archiv hier.

Am 6. Oktober 2017 feierte das Bühnenprojekt „Zeitgeisterstunde“ von Matthias Heitmann und Tim Lauth eine stimmungsvolle Premiere im Frankfurter Kabarett „Die Schmiere“. Das Stück lieferte „ein Fitnessprogramm für den Verstand und einen „Würg-Shop“ für den zynischen Mainstream, denn es brachte, was man heute kaum noch gewohnt ist: gute Gründe für Optimismus. Die nächste Zeitgeisterstunde steigt am Freitag, den 3. November. Weitere Infos und Karten unter: http://www.zeitgeisterstunde.de

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Ulrich Wetzl / 13.10.2017

Ach, wie passt die These von der Selbstentmündigung zum Erfolgsmodell Schweiz? Oder Norwegen, Luxemburg pp.? Und war die UdSSR ein Zukunftsprojekt? M.E. etwas kurz gedacht…

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