Matthias Heitmann, Gastautor / 06.01.2018 / 10:30 / 16 / Seite ausdrucken

Der Wochen-Wahnsinn: Ein Sportverein ist keine Partei

Peter Fischer, Präsident von Eintracht Frankfurt e.V., hat die AfD als „Nazis“ und „braune Brut“ bezeichnet und angekündigt, keine Nazis im Verein zu dulden. Nun haben hessische AfD-Politiker Strafanzeige wegen Beleidigung und Verleumdung gestellt. Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann und Antenne-Frankfurt-Moderator Tim Lauth diskutieren in der ersten Ausgabe ihrer Radiokolumne „WochenWahnsinn“ über diese Posse.

Für Heitmann ist das Verhalten beider Seiten typisch für die gegenwärtige Debattenkultur: „Ich denke, dass Eintracht Frankfurt gerade aufgrund der eigenen Geschichte souverän Toleranz üben sollte gegenüber Leuten, die eine andere Weltsicht haben. Dass viele AfD-Sympathisanten genau hierzu nicht in der Lage und auch nicht willens sind, ist ja bekannt. Die Strafanzeige der beiden AfD-Sprecher gegen Fischer ist ein weiteres Beispiel für den sehr instrumentellen Umgang mit Meinungsfreiheit und Toleranz. Diesen Umgang findet man aber nicht nur bei der AfD, sondern auch bei vielen ihrer Gegner. Auf dieses Niveau sollte sich die Eintracht nicht begeben.“

Zum Podcast geht es hier entlang.

Tim Lauth: Matthias, kurz vor dem Jahreswechsel hat ja der Präsident von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, betont, dass die Werte seines Vereins nicht mit den Vorstellungen der AfD vereinbar seien. Fischer hatte diese Partei u.a. als „Nazis“ und als „braune Brut“ bezeichnet und betont, dass es keine Nazis bei der Eintracht geben werde, solange er Präsident sei. Die beiden Sprecher der hessischen AfD haben nun Strafanzeige gegen Fischer wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung gestellt. Was hältst Du von der ganzen Geschichte?

Matthias Heitmann: Die Auseinandersetzung zeigt das Dilemma, in dem die Streitkultur in Deutschland steckt. Peter Fischer hat zu Recht auf die demokratische und tolerante Tradition von Eintracht Frankfurt hingewiesen, und ich teile auch die Aussage, dass Rassismus und Antisemitismus nicht zu einem Verein passen, der früher als „Juddeclub“ bezeichnet wurde.

Aber warum er dann als Schlussfolgerung Andersdenkenden mit Rausschmiss droht, verstehe ich nicht. Fischer hat so überreagiert, wie es heute im Umgang mit der AfD fast schon üblich ist: Mit Sicherheit hat das weltoffene Klima bei der Eintracht einen größeren Effekt auf weniger weltoffen gesinnte Menschen als anders herum. Der Verein ist mit seinen 45.000 Mitgliedern aus aller Herren Länder robust genug, um die AfD-Neigung einzelner Mitglieder zu verkraften.

Lauth: Da hast Du sicherlich Recht, Matthias. Aber wie soll der Verein denn damit umgehen, wenn nun AfD-Mitglieder erst recht der Eintracht beitreten wollen?

Heitmann: Zunächst einmal ist die Vereinsmitgliedschaft bei der Eintracht nicht an einen Gesinnungstest geknüpft. Das ist auch gut so, denn ein Sportverein ist keine Partei. Aber abgesehen davon zeigt sich hier einmal wieder, was passiert, wenn man Toleranz missversteht. Toleranz kann man nicht im Umgang mit Gleichgesinnten üben, sondern erst im Umgang mit Leuten, deren Ansichten man selbst verabscheut.

Ich denke, dass Eintracht Frankfurt gerade aufgrund der eigenen Geschichte souverän Toleranz üben sollte gegenüber Leuten, die eine andere Weltsicht haben. Dass viele AfD-Sympathisanten genau hierzu nicht in der Lage und auch nicht willens sind, ist ja bekannt. Die Strafanzeige der beiden AfD-Sprecher gegen Fischer ist ein weiteres Beispiel für den sehr instrumentellen Umgang mit Meinungsfreiheit und Toleranz. Diesen Umgang findet man nicht nur bei der AfD, sondern auch bei vielen ihrer Gegner. Auf dieses Niveau sollte sich die Eintracht nicht begeben.

Lauth: Aber haben die beiden AfD-Politiker denn dann Recht, wenn sie Strafanzeige gegen Fischer stellen?

Heitmann: Selbst auf Meinungsfreiheit pochen, aber dann sofort nach dem Staatsanwalt rufen, wenn man selbst mal etwas abkriegt – diese Art der Verlogenheit findet man heute leider viel zu häufig und in allen politischen Lagern. Alle verteidigen die Meinungsfreiheit immer nur dann, wenn es um die eigene Meinung geht. Peter Fischer hätte wissen müssen, dass er der AfD eine Steilvorlage gibt, wenn er sie so pauschal und wenig durchdacht attackiert.

Solches Verhalten wird der Freiheit in Deutschland größeren Schaden zufügen als irgendwelche AfDler, die in einen Verein eintreten, dessen Mitgliedschaft zu einem Großteil aus genau den Menschen besteht, mit denen sie eigentlich eher wenig zu tun haben wollen. Fischer hätte eher die Souveränität und auch die Klugheit zeigen sollen, die das Comedy-Duo Badesalz schon vor vielen vielen Jahren demonstriert hat. Ich sage nur: „Anthony Sabini

Lauth: Ja, damit hast Du wohl Recht, so geht man Vorurteile wirklich effektiver an als mit wenig glaubwürdigen Drohungen. Bleibt zu hoffen, dass diese ganze Angelegenheit nicht so viel Schaden anrichtet. Wäre ja auch bitter, wo es doch gerade bei der Eintracht so viele Gründe für Optimismus, für Selbstbewusstsein und für positive Schlagzeilen gibt. Über weitere gute Gründe für Optimismus spreche ich auch nächste Woche wieder im WochenWahnsinn mit Matthias Heitmann. Bis dahin, machen Sie es gut – und besser!

Nach den ausverkauften Vorstellungen im Oktober und November laden Matthias Heitmann und Tim Lauth wieder am 21. Januar und am 11. März 2018 in das Frankfurter Kabarett „Die Schmiere“ zu ihrem Bühnenprojekt „Zeitgeisterstunde“ ein. Die beiden liefern dort, was man heute kaum noch gewohnt ist: gute Gründe für Optimismus. Karten für beide Vorstellungen und weitere Infos unter: zeitgeisterstunde.de.

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Leserpost

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Günter Schade / 06.01.2018

Wenn Herr Heitmann den beiden AfD-Sprechern “sehr instrumentellen Umgang mit Meinungsfreiheit” unterstellt, indem sie Strafanzeige gegen Herrn Fischer wegen Beleidigung stellen, dann ist das gerade so, als würde man einem Gemobbten Intoleranz vorwerfen, wenn er sich zur Wehr setzt. Wo in der politischen und medialen Öffentlichkeit wird der AfD mit Argumenten begegnet? Es wird im Gegenteil allein mit Phrasen und Schlagwörtern auf sie eingedroschen. Und dabei soll man kein Verständnis dafür haben, wenn die AfD auch mit juristischen Mitteln versucht Beleidigungen und Unterstellungen zurückzuweisen?

Joachim Schneider / 06.01.2018

AfD-Bashing ist Volkssport. Und Eintracht Frankfurt ist ein Sportverein. Passt doch…

Frank Stricker / 06.01.2018

Zunächst läßt sich wohl zweifelsfrei konstatieren, dass die generelle Bezeichnung “braune Brut” für die AFD keinerlei Spielraum im öffentlichen Diskurs haben darf. Von daher sollte der Präsident der Eintracht, Herr Fischer, entweder schleunigst eine Entschuldigung hinterherschicken oder sein Amt zur Verfügung stellen. Seltsamerweise scheint er mit den gewalttätigen Hooligans der Eintracht keine Probleme zu haben, die zu den gefürchtesten in der Bundesliga-Branche zählen.  Ich habe das Gefühl, früher ist man souveräner in Deutschland mit dem Thema Meinungsfreiheit umgegangen. Ich erinnere an Alfred Dregger, der viele Jahre für die CDU im Bundestag gesessen hat. Der Mann   war eingeschriebenes NS-Mitglied und Vorreiter des nationalkonservativen Flügels der CDU. Also soweit rechts, dass selbst ein Herr Höcke dagegen wie ein Waisenknabe gewirkt hätte. Und hat damals je einer Helmut Kohl oder gar die gesamte CDU als “braune Brut” oder Nazi beschimpft ?

Markus Hahn / 06.01.2018

Sehr geehrter Herr Heitman, Verständnis dafür zu äußern, dass der Präsident eines Profifußballvereins mit all seinen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, Öffentlichkeit zu erzielen, die Mitglieder einer konservativen, demokratischen Partei pauschal als “Nazis” und “braune Brut” bezeichnet, irritiert mich sehr. Auch Ihre Andeutung, die unterkomplexe Demagogie von Herrn Fischer sei eigentlich nur deshalb Kritik würdig, weil sie am Ende noch der AfD nützen könnte und die von Ihnen wiederholt vorgebrachte Kritik, die AfD-Mitglieder sollten sich mal nicht so anstellen, wenn sie (mal wieder) von einer Person des öffentlichen Zeitgeistes denunziert und beleidigt werden, finde ich befremdlich. Die Anzeige wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung finde ich in diesem Zusammenhang für angebracht und begrüßenswert.

Gabriele Kremmel / 06.01.2018

Die pauschale Verunglimpfung und Verleumdung aller AfD-Mitglieder als Nazis (und der Wähler gleich dazu) ist unbedingt gerichtlich anzufechten, alles andere wäre ja eine unausgesprochene Zustimmung. Ich denke, da werden Polit-Rassismus und Ausgrenzung in derbster Form mit dem Deckmäntelchen der richtigen Positionierung verharmlost. Diese Gesinnung (nicht, um was es geht sondern mit welchen Methoden vorgegangen wird) ist mehr Nazi als alles andere.

K. Sauer / 06.01.2018

Wenn der Präsident eines so großen Fußballvereins, rund sechs Millionen AFD-Wähler, pauschal als Nazis und braune Brut bezeichnet ist das schlimm genug. Sie bezeichnen die selbstverständliche Anzeige dagegen als Verlogenheit. Schämen Sie sich.

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