Den deutschen Faschismus allein auf die Figur Hitler zu reduzieren greift viel zu kurz.
Vielen Dank für diese knappe und klare Darstellung des Prozesses. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht erscheint mir folgender Zusammenhang erwähnenswert: Wodurch kam diese Rechtsbeugung zustande? Offenbar aus einer allgemeinen Stimmung, einer Mentalität, einem Zeitgeist heraus. Die Täter seien “...von rein vaterländischem Geiste und dem edelsten selbstlosen Willen geleitet ...” gewesen, so die Argumentation. Um dies ins Allgemeine, Abstrakte zu übertragen müsste man lediglich das “vaterländische” streichen. Spätestens dann drängen sich so manche Vergleiche zu heutigen Gerichtsurteilen, insbesondere zu deren offiziellen Begründungen auf. Als Gedankenspiel kann man “vaterländisch” ja z.B. durch heutige Zeitgeist-Tugenden wie “kultursensibel”, “antifaschistisch” oder dergleichen ersetzen. Mich zu der Frage zu äußern was wohl schwerer zu wiegen hat, geltendes Recht oder das was eben gerade als besonders “edle” Absicht empfunden wird, kann ich mir an dieser Stelle wohl sparen.
Die Justiz der Weimarer Republik wollte einen anderen Staat, als den der da war. Das trifft im Grunde auch auf die Justiz der Berliner Republik zu. Wie oft liest man bereits “...auf freien Fuß gesetzt, weil von der Staatsanwaltschaft vom Antrag auf Erlass von Haftbefehlen abgesehen wurde”. Damals war Hitler der Gewinner, heute sind es multikriminelle Clans. Die Erosion und Zerstörung des Weimarer Rechtstaats ging von denjenigen aus, die ihn eigentlich durchsetzen sollten. Die Richter liessen augenzwinkend die Feinde des Rechts laufen. Die Parallellen zu heute sind unübersehbar. (Und Nein, ich denke nicht, daß es der Prozess des Jahrhunderts war, es gab eine Tendenz in Richtung Unrecht, wäre Hitler weg gewesen, dann wäre nur Ernst Röhm ans Ruder gekommmen).
Ich halte es für einigermaßen schwierig, im nachhinein den Verlauf der Geschichte kennen zu wollen, wenn dieses oder jenes Ereignis nicht oder anders stattgefunden hätte. Wenn man ehrlich ist, ist dies gar nicht möglich. Wir wissen heute, daß der Aufrührer und gescheiterte Putschist von 1923 zehn Jahre später Reichskanzler wurde und als Führer des Deutschen Reiches eine Judenverfolgung, einen Weltkrieg und schließlich eine Judenvernichtung in Gang setzte. Aber das konnten die Richter von 1924 nicht wissen. Das ändert natürlich nichts daran, daß das Urteil ein Skandalurteil war. Dafür sind im Beitrag viele Belege genannt. Eine Sache jedoch überzeugt mich nicht: In unserer nach der Katastrophe des Dritten Reiches durchpazifizierten Gesellschaft kann man es nur schwer verstehen, daß soldatische Tapferkeit etwas Anerkennenswertes ist. Aber beim Hitler-Prozeß waren gerade fünfeinhalb Jahre seit dem Ende des 1. Weltkriegs vergangen. Und daß die Richter den freiwilligen Dienst im deutschen Heer und die soldatische Tapferkeit Hitlers würdigten, ist in der damaligen Sicht begreiflich. Zudem muß man wissen, daß sich das aus der Konkursmasse des Habsburger Reiches entstandene “Deutschösterreich” (so hieß das damals) 1918 als Teil der Deutschen Republik sah. Erst in den Pariser Vorortverträgen von 1919 wurde der Anschluß Deutschösterreichs an Deutschland untersagt und daraufhin die “Republik Österreich” gegründet. Dies alles hatten die Richter 1924 vor Augen. Juristisch war Österreich Ausland, aber gefühlt war es ihnen ein Teil Deutschlands. Ich kann daher begreifen, daß die Richter Hemmungen hatten, Hitler nach Österreich auszuweisen. Ob das Rechtsbeugung ist, darüber sollen die Juristen rechten. Daß es jedoch eine für die Geschichte verhängnisvolle Entscheidung war, ist unbestritten. Da sind wir eben fast hundert Jahre klüger als die Richter damals. Das eigentliche Problem ist doch, daß die junge Weimarer Republik Richter hatte, die in ihrem Namen Recht sprachen, ohne tatsächlich hinter ihr zu stehen. Sie hätten Schaden von der Republik abwenden müssen und hatten in Wahrheit Sympathie für ihre Gegner. Wäre Hitler 1924 für längere Zeit aus dem Verkehr gezogen worden, wie wäre die Geschichte weitergegangen? Das einzige, was man sagen kann: anders. Und der Beitrag von Herrn Grell unterstellt: besser. Aber das kann niemand wissen.
Wie die Geschichte weitergegangen wäre ohne Hitler ist rein spekulativ. Es gab zu Beginn der 30er Jahre z.B. den millionenfachen Mord in der Ukraine von seiten Stalins. Dabei zeigte sich die Bereitschaft Stalin’s, wenn nötig skrupellos vorzugehen. Eben dieser Stalin hatte mit dem autokratisch regierten Polen eine Rechnung aus dem Jahr 1920 offen, als polnische Truppen unter dem Marschall Pilsudski einen Teil der damals noch jungen Roten Armee unter Stalin’s Kommando besiegt und sich im Osten große Gebiete angeeignet hat, ein Konfliktfall also für zukünftige Zeiten. Und jede Regierung der Weimarer Republik erkannte die deutschen Ostgrenzen als Folge des Versailler Vertags von 1919 nicht an, auch Gustav Stresemann nicht. Krieg im Osten, eventuell von Stalin ausgelöst, lag durchaus auf der Hand. Die Weltwirtschaftskrise wäre ohne Hitler ebenso gekommen und ob nach 1933 es in einem ausgebluteten Deutschland zu einer wirtschaftlichen Erholung gekommen wäre ohne die Folgen von 1939 steht auch in den Sternen. Die massive Unterdrückung deutscher Volksgruppen in Polen und in der Tschechoslowakei hätte ebenfalls gelöst werden müssen, nur wie? Frankreich hatte daran kein Interesse, das hat schon Stresemann erkennen müssen als er hoffte, daß Frankreich ihm, sprich Deutschland, wenigstens einige kleine Zugeständnisse machen würde. Wenn man es im größeren Maßstab betrachte barg der Versailler Vertrag von 1919 bereits den Keim für einen zukünftigen Krieg. Das sahen zumindest einige hochrangige Militärs der Entente so und Vertreter der US-Regierung. Die meinten ja in 20 Jahren hätten wir wieder Krieg. Hiltler war zu der Zeit politisch relativ orientierungslos und vor allem unbedeutend. Die Geschichte ist nun einmal so gelaufen und aktuell haben wir im Land ganz spezielle Probleme. Darüber konnte man in der Achse des Guten bereits viel lesen.
Bei dem Urteil des Volksgerichts handelt es sich genau so um ein weltgeschichtlich folgenschweres Fehlurteil, wie sie es voraussetzen und ja, basierend auf Rechtsbeugung wie Sie es herausarbeiten. Schlimmer noch, erst die Gerichtsverhandlung machte aus dem ursprünglich hauptsächlich Ludendorff-Putsch einen Hitler-Putsch. Hitler übernahm nämlich die Verantwortung, um den eigentlichen Hauptverantwortlichen, nämlich Ludendorff zu schützen. So machte die Bühne des Gerichts erst Hitler zu einer wirklich bekannten Figur über die lokale Präsenz hinaus. Auch dies war ein Ergebnis dieser Gerichtsverhandlung. Ich möchte aber auf einen anderen Punkt kommen. Meines Wissens gibt es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland keine Verurteilung wegen Rechtsbeugung. Wenn Sie darüber recherchieren wollten, ergibt das sicher einen interessanten und erhellenden Bericht. Bestimmt bin ich nämlich nicht allein damit, in der deutschen Justiz einen Apparat zu erkennen, dessen Urteile sehr häufig als krass und skandalträchtig empfunden werden, um es vorsichtig auszudrücken. Als Gesellschaft dürfen wir fordern, dass die Justiz für Rechtsbeugung auch wirklich in Haft genommen werden kann, zumindest viel besser als bisher. Richter, die sich über Recht erheben, sollten ausnahmslos mit harten Konsequenzen rechnen müssen!!
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