Henryk M. Broder / 17.06.2017 / 09:26 / Foto: Wikimedia Commons / 13 / Seite ausdrucken

Der WDR stellt sein Versagen zur Diskussion

Nun ist es amtlich: Die Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" wird am 21. Juni um 22.15 Uhr im Ersten gezeigt. Das hat der Intendant des WDR, Tom Buhrow, entschieden. Und hier die dazugehörige Presse-Erklärung im Wortlaut:

Das Erste sendet am kommenden Mittwoch, 21. Juni 2017, um 22:15 Uhr die für Arte produzierte TV-Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" und widmet dem Thema im Anschluss eine eigene Diskussionssendung. Dabei werden auch die vom WDR beanstandeten handwerklichen Mängel der Dokumentation berücksichtigt. 

WDR-Intendant Tom Buhrow: "Das Thema der Dokumentation war und ist uns wichtig. Und je wichtiger das Thema, desto genauer muss die journalistisch-handwerkliche Sorgfalt sein. Dabei gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Wir haben den Film intensiv geprüft und ich habe entschieden, die Dokumentation und unsere handwerklichen Fragezeichen dazu transparent zur Diskussion zu stellen." 

Volker Herres, Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen: "Ich halte es für richtig, die umstrittene Dokumentation jetzt einem breiten Publikum zugänglich zu machen, auch und trotz ihrer handwerklichen Mängel. Nur so kann sich das Fernsehpublikum ein eigenes Bild machen. Die ja längst stattfindende öffentliche Diskussion bekommt so eine Grundlage, auf der sich jeder sein eigenes Urteil bilden kann. Im Anschluss an die Dokumentation wird auch die Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger das Thema aufgreifen." 

Nach der Ablehnung durch Arte, die Dokumentation zu senden, hatte der WDR den Film nochmals sehr intensiv geprüft. Dabei wurden journalistisch-handwerkliche Mängel festgestellt. So enthält der Film Tatsachenbehauptungen, für die es nach jetzigem Kenntnisstand des WDR keine ausreichenden Belege gibt. Auch sind Betroffene mit den im Film gegen sie erhobenen Vorwürfen nicht konfrontiert worden. Das aber gehört zu den Standards der journalistischen Arbeit. Darüber hinaus sind offenbar Persönlichkeitsrechte verletzt worden. Die Mängel der Dokumentation werden im Verlauf des Abends deshalb thematisiert und kommentiert. - Die Ausstrahlungsrechte liegen inzwischen beim WDR."

Das heisst, trotz der handwerlichen Mängel und obwohl der Film Tatsachenbehauptungen enthält, für die es nach Meinung des WDR keine ausreichenden Belege gibt, und obwohl darüber hinaus Persönlichkeitsrechte verletzt worden sind, wird die Doku gezeigt, damit sich jeder sein eigenes Urteil bilden kann. BILD sei Dank. Der WDR zeigt also einen Film, der ohne den öffentlichen Druck, den die Entscheidung, ihn nicht zu zeigen, hervorgerufen hat, es nie ins Programm geschafft hätte. Eine seltsame Logik. Und wenn "handwerkliche Mängel " ein Kriterium wären, könnte sich der WDR die Hälfte seines Programms sparen.

Zum Beispiel die Dokumentation "Holland in Not - Wer ist Geert Wilders?" Wer diese Produktion abgenommen hat, muss entweder ein totaler Ignorant oder ein verblödeter Antisemit gewesen sein, der die "Protokolle der Weisen von Zion" unter sein Kopfkissen gelegt hat. Wilders wird als eine Marionette der Juden vorgeführt, und es wird Ahnenforschung im Sinne der bewährten Ariergesetze getrieben. Der blonde beziehungsweise blondierte Holländer soll eine jüdische Oma gehabt haben! Und außerdem war er mal Freiwilliger in einem Kibbutz!

Nach dem Shitstorm, der der Ausstrahiung folgte, wurde der Film nachbearbeitet. Und der WDR gab eine Erklärung ab, in der er den Vorwurf, "in einer Passage des Films antisemitische Ressentiments zu schüren", zurückwies, zugleich aber einräumte, "dass hier teilweise ein missverständlicher Eindruck entstehen" konnnte:

Wut und Bewunderung: Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders vereinigt beides auf sich. Bei den Parlamentswahlen am 15. März könnten sich jedenfalls die Bewunderer durchsetzen, denn Wilders Partei PVV führt in den Umfragen. Filmemacher Joost van der Valk zeigt, wer dieser Wilders ist, wer ihn wählt und wer ihn unterstützt. Der Autor hat ihn über Jahre bei Auftritten begleitet und bereits einen Kino-Film über ihn produziert ("Wilders, the Movie"). (Dies ist eine geänderte Version des Films. Verzichtet wurde auf die Äußerungen des Scheichs Yasin, dessen Auftreten und Einordnung wir für problematisch halten. Den Vorwurf, in einer Passage des Films antisemitische Ressentiments zu schüren, weisen wir aber zurück. Die Passage stellt die Fakten korrekt dar. Gleichzeitig mussten wir aufgrund einiger Rückmeldungen feststellen, dass hier teilweise ein missverständlicher Eindruck entstehen kann. Wir haben die Kritik ernstgenommen und aus diesem Grund entschieden, den Film auch an dieser Stelle zu bearbeiten.)

So viel Kölsch kann man gar nicht saufen, um sich so was auszudenken. Da muss man schon massiv motiviert sein.

Sehr kreativ im Erfinden von Ausreden war man auch, als "Monitor" eine Fake-Jüdin in der Eifel enteckte, die als Friedensaktivistin präsentiert wurde, stellvertretend für die “Juden aus Deutschland”, die nun “übers Meer kommen” wollten, um den Eingeschlossenen von Gaza zu helfen. Schauen Sie bitte hier. Da war von journalistisch-handwerklichen Mängeln keine Rede, da hat man sich voll und ganz auf die Selbstauskunft einer verwirrten Hochstaplerin verlassen, die genau das in die Kamera sagte, was man von ihr hören wollte.

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Leserpost

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Jaco Sandberg / 17.06.2017

Im Prinzip aber vollkommen egal - der Film steht seit geraumer Zeit auf youtube. Dass das Staatsfernsehen nun nachzieht, was soll’s ...

Frank Stricker / 17.06.2017

Wow, da freuen wir uns jetzt schon wie Bolle auf die “Gesprächsrunde” mit Sandra Maischberger. Garantiert wird ihr besonderer Spezi, Jakob Augstein mit dabei sein, und mit ganz viel Glück noch Jürgen Todenhöfer. Dann gibt es Israel-Bashing vom feinsten und Elmar Theveßen wird verkünden, dass 110 % der ZDF-Zuschauer der Meinung sind, dass der Antisemitismus aber rein gar nichts mit dem Islam zu tun hat….......... So, wer dann die Sendung ohne Kollateralschäden überstanden hat, darf sich auf youtube noch die 10 schönsten Auftritte von Margot Käßman zu Gemüte führen.

Stephan Kaufmann / 17.06.2017

Nachdem ich mir die Dokumentation angesehen habe, kann ich verstehen, warum Arte diese nicht ausstrahlen wollte. Bei Erteilung des Auftrags hatten sie wahrscheinlich die leidlich bekannte rechte Szene Europas im Sinn, der Film jedoch konzentriert sich eher auf das politisch linke Lager und Hilfsorganisationen, die Gaza für ihre Zwecke nutzen. Die Ausrede, der Film konzentriere sich nicht auf Europa ist doch sehr oberflächlich. Es wurde zwar hauptsächlich in Israel und Palästina gedreht, aber Thema ist doch immer das Wirken europäischer Organisationen oder die Widerlegung von Behauptungen, die zumeist von Leuten in Europa aufgestellt werden. Dass diese Dokumentation einige “journalistische Mängel” erkennen lässt ist durchaus wahr. Es bleibt jedoch die Frage, warum solche Mängel immer nur in ganz speziellen Fällen erkannt werden, wie es ihr Artikel bereits deutlich aufgezeigt hat. Hier scheint doch eher eine genehme Ausrede gefunden worden sein. Auf die “anschließende Gesprächsrunde” im WDR bin ich jedenfalls sehr gespannt.

Belo Zibé / 17.06.2017

” Im Anschluss an die Dokumentation wird auch die Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger das Thema aufgreifen.” , womit einiges schon gesagt sein dürfte!

Lars Bäcker / 17.06.2017

Hätte man das Ding einfach ohne große Diskussion bei Arte gezeigt, kein Mensch hätte davon Kenntnis genommen. Wer schaut schon arte? So aber ist genau das Gegenteil eingereten. Freut mich. Ich bin mir jedoch sicher, die Zusammenstellung der Gäste bei Maischberger wird so ausgelegt sein, dass am Film kein gutes Haar gelassen werden wird. Mit einem bisschen Glück, lädt man auch einen Juden ein. Henryk M. Broder wird es aber ganz sicher nicht sein. Zu unberechenbar für den Ö.R. ;-)

Wilfried Cremer / 17.06.2017

Die Geisteshaltung besagter Hochstaplerin findet sich im Prinzip 1 : 1 bei führenden Vertretern bekannter Organisationen wieder, die der Film aufs Korn nimmt.

Armin Reichert / 17.06.2017

Der WDR hat’s gerade nötig. Auf YouTube kann man sich das WDR-Machwerk “Aufstieg der Rechten - Identitäre Bewegung” anschauen. Das ist mal eine Reportage, die handwerklich perfekt ist - jedenfalls wenn man Julius Streicher als Maßstab nimmt.

Emmanuel Precht / 17.06.2017

...könnte sich der WDR die Hälfte seines Programms sparen… Ist das nicht eine viel zu wohlwollende Einschätzung? Ich fürchte, der sehr geschätzte Herr Broder ist hier der “Altersmilde” verfallen. Wohlan…

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