Man sollte meinen, es sei ein Unterschied, ob man in Europa ein Tourist, ein Terrorist oder ein Separatist ist. Ist es auch. Als unbescholtener Tourist genieße ich Freizügigkeit in den Schengen-Staaten. Als Separatist auch, denn das ist meine freie Meinungsäußerung, nur als Terrorist nicht. Im Prinzip. Die Realität sieht anders aus.
Ich beginne vorvorgestern. Dereinst, der Eiserne Vorhang war gerade gefallen, Europa war angesichts der – viel schneller, als es vielen überzeugten Europäern wie Margaret Thatcher, Francois Mitterand und Giulio Andreotti lieb war - heraufziehenden Einheit Deutschlands gezwungen, sich neu zu sortieren, und der gesamte erste Teil dieser Geschichte sah aus wie ein riesiger Erfolg Europas und vor allem Deutschlands: Ich fürchte, eines Tages wird man diese Geschichte in eine Zeit von um 1990 bis um 2008 einteilen und diese Periode die Zeit des „Honeymoons“ nennen, der Flitterwochen Europas.
Es war jene Zeit, in deren ungefährer Mitte der Euro eingeführt wurde, in der immer noch das führende Narrativ vom Sinn und Zweck Europas, aber nicht seine Vereinheitlichung war, sondern jenes von der endgültigen Befriedung, Entnationalisierung und Regionalisierung Europas, jenes vom „Europa der Regionen“. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt: Regionen gelten mittlerweile als etablierte Akteure im EU-System: Insbesondere in Belgien, Deutschland, Österreich und Spanien, aber auch in Großbritannien (Schottland) und Italien haben sie innerstaatliche Mitwirkungsrechte in EU-Angelegenheiten erhalten.
Entnationalisierung ist, wenn man den Protagonisten Europas, den „überzeugten Europäern“ bis heute folgen will, immer noch ein, wenn nicht das primäre Ziel der EU. So soll es nicht möglich oder zumindest nicht schicklich sein, innereuropäische Grenzen zu sichern und zu kontrollieren, ohne dass die Einheit Europas zusammenbräche. Es soll auch nicht möglich sein, bankrotte Staaten der Euro-Zone in eine teilweise finanzpolitische und monetäre Unabhängigkeit zu entlassen, um ihnen zu ermöglichen, ihre Binnenmärkte und ihren Außenhandel aus eigener Initiative und Kraft zu sanieren.
Basken, Schotten, Nordiren, Korsen, Katalanen sind Störenfriede
Nationalstaatliches Denken und Handeln in einem gemeinsamen Haus Europa gilt, zumindest in Deutschland, dem Wirtschaftsmotor und größten Profiteur des Euro und der EU, als verpönt, populistisch, „rechts“. Gleichzeitig wird dieses Deutschland beherrscht von einem Narrativ über den Minderheitenschutz als einem seiner wesentlichen Staatsziele. Dieser Minderheitenschutz darf rassisch, politisch oder sexuell Diskriminierte umfassen, und selbst erst jüngst eingewanderte, zweifelhafte Kräfte mit islamistischem Hintergrund heißt er bereitwillig willkommen, lässt sie schalten und walten.
Nur ein Baske, Schotte, Nordire, Korse, Katalane oder... Jude, so einer sollte man lieber nicht sein. Diese Minderheiten sind Störenfriede; diese Leute denken nicht regional, sie denken separatistisch, sie wollen ihre Rechte, gar einen eigenen Staat – oder haben schon einen. Sie sind erst dann plötzlich willkommen, wenn sie in der EU bleiben wollen, wie die Schotten oder Nordiren, ganz so, als hätten die Katalanen aus der EU austreten wollen. Wenn Spanien aus der EU austräte, wären die Katalanen also plötzlich die Guten?
Was für ein Europa predigen uns also die „überzeugten Europäer“? Eines ohne Nationen, dafür mit Regionen? Einen europäischen Einheitsstaat mit offenen Grenzen für alle, auch jene, die weder Europäer sind noch es sein wollen? Ein Europa, das sich über Nationen definiert und doch nur von Fall zu Fall national handeln darf und soll, zwar nicht für seine nationale Finanz- und Währungspolitik, aber gegen seine Minderheiten und deren Ansprüche?
Ich fürchte, das weiß niemand von den „überzeugten Europäern“ so ganz genau, sie fühlen diese Widersprüche auch, und sie haben Angst, die so Regierten könnten sie bemerken. Manche scheinen es daher besser zu wissen, besser als die Nationalstaaten, aus denen sie nicht stammen, über die sie aber in der Attitüde des Experten reden. Wie der CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok es in der Neuen Osnabrücker Zeitung tut: „Ich würde den Katalanen raten, ihr Streben nach Unabhängigkeit aufzugeben, denn es ist völlig aussichtslos.“ Stattdessen sollten Madrid und Barcelona den Ausbau des Autonomiestatus verhandeln. Im übrigen hätten die Sezessionisten zwar die Mehrheit der Mandate, aber nur 47 Prozent der Stimmen erhalten.
Mit Blick auf den festgenommenen ehemaligen Regionalpräsidenten fügte Brok hinzu: „Puidgemont hat eindeutig gegen spanisches Recht und gegen die Verfassung verstoßen.“ Deswegen müsse sich Puidgemont vor Gericht verantworten. Der Katalane solle mit seiner Agitation aufhören: „Ihm ist zu raten, die Sache friedlich zu beenden.“
Landesverräter, oder: Das friedliche Ende Europas
Dieses „friedliche“ Ende, das Elmar Brok anmahnt, ist mit der Androhung von bis zu dreißig Jahren Haft für den von der Madrider Zentralregierung abgesetzten Präsidenten Kataloniens, Carles Puigdemont, verbunden. Da hat Elmar Brok leicht Reden, sich mit seiner eigenen Agitation in innere Angelegenheiten Spaniens einzumischen und als „überzeugter Europäer“ für den nationalen Zentralismus Partei zu ergreifen, gegen das „Europa der Regionen“.
Ich verstehe dabei vor allem eins: Das „Europa der Regionen“ war offensichtlich eine dreiste Lüge. Geschaffen werden soll stattdessen ein Europa straff nationalistischer und zentralistischer Staaten, in denen autoritäres Handeln der Mächtigen gegen die Interessen der Regionen und Minderheiten mit Gewalt und juristischen Drohungen durchgesetzt werden darf und soll. Elmar Broks „Mut“ verblüfft: Noch nicht einmal der mächtige Konrad Adenauer hat es mit seinem „Abgrund an Landesverrat“ hierzulande sehr weit gebracht. Einst wurde ein deutscher „Landesverräter“ in Spanien verhaftet, der „Spiegel“-Redakteur Conrad Ahlers. „Hiermit ist Ihre Spanienreise beendet“, soll Adenauer gespöttelt haben, in der „Spiegel-Affaire“.
Will Elmar Brok, am Ende seiner geistigen Spanienreise, für sich gepachtet haben, was dort „Landesverrat“ ist und was nicht? Auch Adenauer scheiterte bekanntlich, und auch ein für Jahrzehnte inhaftierter Carles Puigdemont dürfte Elmar Brok noch ein paar Probleme bereiten, die er wohl nicht zuende gedacht hat. Mit solcher Einmischung macht er eventuell einen Separatisten zum Märtyrer. Auch Conrad Ahlers wäre um ein Haar ein solcher geworden. Sich neutral zu verhalten und abzuwarten, was die deutsche Justiz entscheidet, die so vieler illegaler Migranten nicht Herr wird, weil die Politik es befahl, das ist Elmar Brok wohl nicht in den korrekten europäischen Sinn gekommen.
Gestörte und ungestörte Reisende
Deutschland hat sich mit der Festsetzung des Carles Puigdemont, Elmar Broks „Putsch-Dämon“, selbst einen Bärendienst erwiesen. Anis Amri reiste ungestört durch Europa, bevor er seine mörderische LKW-Fahrt auf dem Berliner Breitscheidplatz beendete, und noch danach. Die Hooligans und Marodeure des G20-Gipfels konnten in großer Zahl nach Hamburg anreisen und auch wieder nach Hause, nachdem ihr Brandschatzen und Steinewerfen eine Nacht lang live auch in mein Wohnzimmer übertragen worden war.
Täglich können nach wie vor Hunderte und Tausende „Flüchtlinge“ ohne Visa und Papiere deutschen Boden betreten und müssen nur „Asyl“ sagen, um bleiben und alimentiert werden zu dürfen, und die Anzahl ausreisepflichtiger abgelehnter Asylbewerber lag schon 2016 bei über einer halben Million, ohne dass sie mangels Kooperation ihrer Heimatländer abgeschoben werden könnten. Das alles ist für Elmar Brok offensichtlich überhaupt kein Problem, solange nur Carles Puigdemont „aufgibt“, solange es nur „friedlich“ verläuft. So friedlich und unbemerkt, dass es ihm und mir erlauben soll, zur gesamteuropäischen Friedens-Tagesordnung überzugehen.
Daher noch einen Blick auf die „Freistaaten“, auf Sachsen und Bayern. Dort, wo man weder auf Ebene der Einwohner noch auf Ebene der Regierung mehrheitlich von diesem schutzlosen Europa des Zentralismus überzeugt ist, da herrschen selbstverständlich „Dunkeldeutschland“ und „Nationalismus“. Dort, in Bayern, regiert seit Kurzem auch Markus Söder. Der CSU-Mann denkt laut nach über eine eigene Bayerische Grenzpolizei und ein eigenes Amt für Flüchtlinge und Migration, folglich über eine Bayerische Teil-Autonomie.
Ich will hier nicht spekulieren, inwiefern das Wahlkampfrhetorik sein könnte, die, vom CSU-„Heimatminister“ Seehofer im Bund verbal flankiert, der CSU den Wahlsieg gegen die in Bayern wie in Sachsen erstarkende AfD sichern soll. Ich weise nur darauf hin, dass einer der deutschen Ministerpräsidenten die ersten Anstalten macht, sich als Separatist zu gerieren! Während Elmar Brok die Lösung des innerspanischen Konflikts im Aufgeben der Katalanen sieht. Sieht er sie auch im Aufgeben der Sachsen und Bayern?
Ich weiß nur eins: Für die alte Erzählung vom Abschied des Autoritären, vom Versagen des Zentralismus, vom Ende der Nationalstaaten, vom „Europa der Regionen“, vom Schutz der Minderheiten und ihrer Autonomien in einem „gemeinsamen Haus Europa“, vom Mitspracherecht der Bürgerinnen und Bürger Europas, bedeutet das alles nichts Gutes.
Das genaue Gegenteil dessen, was diese „überzeugten Europäer“ einst auf ihre Fahnen geschrieben haben, ist es, was sie selbst inzwischen gutheißen und befördern. Sie reden vom „Frieden“ – wie jämmerlich: Sie sind in Wirklichkeit längst zu den Getriebenen der Separatisten, zu Autoritären, zu Zentralisten, zu jenen wahren und eigentlichen Nationalisten verkommen, die in ihrem Wahn vom „Minderheitenschutz“ den inneren Frieden Europas zu schützen vorgeben - und ihn nur umso bereitwilliger aufs Spiel setzen.