Vera Lengsfeld / 18.06.2016 / 06:25 / Foto: Kenneth Catania / 6 / Seite ausdrucken

Der unheimlich talentierte Herr Gysi

Ich  hatte nicht mehr vor, über die Causa Gysi noch ein einziges Wort zu verlieren. Es fehlt erkennbar der Wille in Politik und Medien, den smarten Anwalt als das zu erkennen, was er war: Ein Mann, der im Sinne der Stasi-Maßnahmepläne berichtete und handelte, wie immer es dazu gekommen sein möge und als letzter SED-Vorsitzender für das Verschieben von geschätzten 24 Milliarden DDR- Vermögen politisch maßgeblich verantwortlich ist. Zu Beidem gab es einen Bundestagsuntersuchungsausschuss.  Der Immunitätsauschuss des Deutschen Bundestages stellte 1994 nach Sichtung aller damals zugänglicher Stasiakten, die mit Gysi in Verbindung gebracht wurden, fest, dass die Mitarbeit des Abgeordneten Gysi für die Staatssicherheit erwiesen sei. 

Ich kam auch nicht in Versuchung, als ich die skandalöse Begründung der Hamburger Staatsanwaltschaft las, warum sie keine Anklage gegen Gysi erheben will. Ich hatte die Einstellung erwartet, seit der Leitende Staatsanwalt, der Anklage erheben wollte, von seinem Untergebenen beim Justizsenator mit einer Beschwerde überzogen und daraufhin geschasst wurde. Spätestens da wurde mir klar, dass es aussichtslos ist, gegen den offensichtlichen Willen, im Falle Gysi nicht die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen, anzukämpfen. In einem Prozess wären endlich die Zeugen zu Wort gekommen und ein unabhängiges Gericht hätte die Wahrheit erkennen und entsprechend urteilen können. 

Warum habe ich meine Meinung geändert und äußere mich doch noch einmal zu dem Fall? In der FAZ, allgemein als Blatt mit höchstem journalistischen Standard angesehen, erschien am 13. Juni kurz nach der Einstellung der Ermittlungen gegen Gysi ein Artikel von Mechthild  Küpper „Immer wieder Verdacht gegen Gysi“, der dem Fass den Boden ausschlägt (leider nicht online). In einem ähnlichen Tenor übt sich auch ein Autor der ZEIT.

Ist bedingungslose, tödliche Treue zu Stalin romantisch?

Frau Küpper schreibt seit Jahren SED-PDS-Linkspartei-Linke-Huldigungsartikel. Vor Jahren verklärte sie den damaligen PDS- Parteivorsitzenden Lothar Bisky zum „romantischen Weimarkommunisten“. Ein Epitheton, das nur jemand in diesem Zusammenhang benutzen kann, der bar jeder historischen Kenntnis ist. In der Weimarer Republik war die KPD unter ihrem Vorsitzenden Ernst Thälmann auf harten stalinistischen Kurs gebracht worden. Wenn die KPD- Führung, wie Erwin Jörris in seinem Buch „Deine Schnauze wird Dir in Sibirien zufrieren" berichtet, Märtyrer brauchte, hieß es „Jugend voran“. Jörris, damals 18, wurde von der Parteiführung für ein Himmelfahrtskommando ausgewählt. Er sollte mit seinem Freund, 17, im Friedrichshain Polizisten erschießen, mit von der Parteiführung zur Verfügung gestellten Waffen. Jörris musste mit ansehen, wie sein bester Freund dabei ums Leben kam. Erich Mielke, späterer Chef  der Stasi, war erfolgreicher, als die Jugendlichen. Er ermordete zwei Polizisten und musste sich danach nach Moskau absetzen. Was bitte, war an diesen „Weimarkommunisten“ romantisch? Ihre bedingungslose, tödliche Treue zu Stalin?

In ihrem Artikel über Gysi hat sich Frau Küpper in ihrer Unkenntnis selbst überboten. Da steht tatsächlich: „1994 war der Immunitätsausschuss des Bundestages nach Prüfung der Akten über ihn zu dem Schluss gekommen, eine Zuträgertätigkeit von Gysi könne ´nicht als erwiesen festgestellt` werden." Wo immer Frau Küppers das gelesen haben will, im Abschlussbericht des Immunitätsausschusses steht das genaue Gegenteil. Wie kommt eine solche hanebüchene Falschbehauptung in ein Qualitätsblatt? Was ist das für ein Journalismus? 

Abgesehen davon, was ist das für ein Staatsanwalt, der dieses Votum des Immunitätsausschusses komplett ignoriert und Zeugen missachtet? Ich führe hier nur zwei Beispiele auf, die der ermittelnde Staatsanwalt für nicht relevant erachtet hat.

Ist der Staatsanwalt schon mal Trabant gefahren?

Der Maler Thomas Erwin, heute Klingenstein, traf bei einem Besuch beim Regimekritiker Havemann unverhofft auf Gysi, der unangemeldet aufgetaucht war. Da der Weg von Grünheide nach Berlin weit war, bot Gysi an, Klingenstein in seinem Trabant mitzunehmen. Der junge Mann erzählte Gysi seine Schwierigkeiten mit den DDR-Behörden. Über dieses Gespräch gibt es einen Bericht von „Notar“. Wie mir der Staatsanwalt , der mich zu Gysi befragte, mitteilte, gäbe es eine eidesstattliche Versicherung eines Stasioffiziers, Gysis Trabant wäre an diesem Tag einmalig abgehört worden.

Ich habe den Staatsanwalt damals gefragt, ob er schon mal Trabant gefahren wäre. Allein die Geraüsche, die dieses Auto verursachte, machten einen Lauschangriff unmöglich. Es genügte bei der damaligen Technik, in der Wohnung den Wasserhahn aufzudrehen, um die installierte Wanze unbrauchbar werden zu lassen. Abgesehen davon, aus welchem Grund sollte der Trabant an diesem Tag verwanzt worden sein, wo die Stasi nicht ahnen konnte, dass Gysi brisante Mitteilungen in seinem Gefährt gemacht werden würden?

Last not least: Abhörprotokolle gibt es in den Stasiakten zuhauf. Wer sie ansieht, stellt fest, dass selbst die relativ störungsfreien Telefonabhörungen voller Hör- und Verständnisfehler sind. Ein Abhörprotokoll vom Gespräch in Gysis Trabant gibt es in den Akten nicht. Es gibt nur den Bericht von „Notar“. Wie groß müssen die Scheuklappen eines Staatsanwalts sein, der diesen Vorgang als nicht relevant einstuft?

Gysi besuchte mich in der Haft

Schließlich habe ich dem Staatsanwalt mein Zusammentreffen mit Rechtsanwalt Gysi zu Protokoll gegeben, das stattfand, als ich Häftling im Stasigefängnis Hohenschönhausen war. Gysi war nicht mein Anwalt, das war Rechtsanwalt Schnur, der schon 1990 über seine Stasimitarbeit stolperte und zu Fall kam. 

Ich war im Zuge der so genannten Liebknecht- Luxemburg- Affäre verhaftet worden, als Bürgerrechtler versuchten, mit eigenen Plakaten an der von der SED organisierten Demonstration teilzunehmen. Plan A der Stasi, uns für Monate oder Jahre hinter Gitter zu bringen, scheiterte angesichts von Massenprotesten im In- und Ausland. Plan B war Abschiebung aller verhafteten Bürgerrechtler in den Westen. Anwalt Schnur scheitete bei der Aufgabe, mich zum Abgang in den Westen zu bewegen. Da wurde Gysi eingesetzt, der von mir kein Mandat hatte und mich trotzdem in der Haft besuchen konnte, um mich zu überreden, in den Westen zu gehen. Ich schildere diesen Vorgang ausführlich in meinem Buch „Ich wollte frei sein“.

Ich war Augenzeugin, dass Gysi „wissentlich und willentlich“ mit der Stasi gesprochen hat. Nur darum ging es in den Hamburger Ermittlungen. Abgesehen davon scheint der ermittelnde Staatsanwalt der brisanten Frage nicht nachgegangen  zu sein, von wem Gysi das Mandat hatte, eine Gefangene der Staatssicherheit zu besuchen und in ihrem Falle tätig zu werden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages doch noch die Wahrheit über Rechtsanwalt Gysi ans Licht kommt.

Foto: Kenneth Catania CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Martin Pescheck / 19.06.2016

Es ist bereits 1989/90 nicht gelungen, weil damals unter dem Deckmantel der Gewaltfreiheit nicht gewollt, Herrn Gysi und & zur Rechenschaft zu ziehen. Seitdem hat es diverse zwar überwiegend ehrlich gemeinte aber untaugliche Versuche gegeben. Ich habe bereits 1989 in einem von der damaligen “Union” nur teilweise veröffentlichten Leserbrief geschrieben, dass sich undemokratische Strukturen nicht mit demokratischen Mitteln zerschlagen lassen. Die musste nun über 25 Jahre zähneknischend zur Kenntnis genommen werden. Die vielen gescheiterten Versuche haben Herr Gysi und & nur große mediale Aufmerksamkeit beschert.

Uwe Kaspereit / 19.06.2016

Wie kann es nur möglich sein, trotz der vielen Belege und Schilderungen, keine Anklage zu erheben. Und selbst wenn es juristisch problematisch ist, in den Medien und in der Öffentlichkeit sollte die Angelegenheit viel kritischer gesehen werden. Alles Andere ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich für Freiheit und Demokratie eingesetzt haben.

Stefan Zander / 19.06.2016

Ach, wenn nur um Gysi ginge. Wie froh wäre ich. Berufspolitiker müssen so scheinbar so sein, und je bedeutender die Position, desto wichtiger ist es, diese Eigenschaften zu haben. Umso wichtiger wäre es, das sich in Deutschland die Menschen langsam vom parlamentarischen Entscheidungsprozess verabschieden und endlich Volksentscheide zur demokratischen Gewohnheit werden.

Tomas Reiffer / 18.06.2016

Gysi wird eben an der Einheitsfront gegen die AfD gebraucht. Sollte er als Denkmal aber abgesägt werden, dann hätten die Linken - außer Wagenknecht - niemanden mehr, der im Bereich osttaugliches Charisma noch was bewegen könnte. So einfach ist die Welt.

Karla Kuhn / 18.06.2016

Ich hoffe, dass Ihr Wunsch in Erfüllung geht, Frau Lengsfeld.  Als Betroffene weiß ich genau, wie wichtig es ist, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden.  Ich drücke Ihnen die Daumen.

Lars Bäcker / 18.06.2016

Der liebe Gott kriegt sie alle. Auch den talentierten Herrn Gysi. ;-)

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