Die Griechen wollen sich nicht länger einschüchtern lassen. Sie haben Jeroen Dijsselbloem die Tour vermasselt. „Zwei Stunden hatte er sich“, wie es in den Nachrichten hieß, „Zeit genommen“, um den schlamperten Hellenen den Marsch zu blasen, sie wieder zur Räson zu bringen. Am Ende musste der Chef der Euro-Gruppe wie ein begossener Pudel abziehen, unverrichteter Dinge, als das gelackte Kerlchen, als das er bei seiner Ankunft aufgetreten ist. Vor der versammelten Weltpresse hatte ihm der neue griechische Finanzminister Giannis Varoufakis erklärt, dass die Troika, die Finanzbeamten mit EU-Mandat in seinem Land nichts mehr verloren haben.
Dieser Rausschmiss, ein durchaus hemdsärmeliger Auftritt, war gewiss nicht die feine Art, nicht nach dem Geschmack des Euro-Diplomaten; ein Skandal aber war die deutliche Ansage keineswegs, nicht der „Eklat“, von dem die Medien nachher sprachen. Ganz im Gegenteil haben wir eine Sternstunde der Demokratie in Europa erlebt. Sagte der griechische Finanzminister doch erstens, dass sein Land weiter - und zwar vertrauensvoll - mit den europäischen Partnern zusammenarbeiten wolle, um dann zweitens zu erklären, dass sich die neue Regierung natürlich an das halten werde, was sie den Bürgern vor ihrer Wahl versprochen habe.
Allein das scheint in Brüssel sowie in Berlin schlichtweg niemand mehr für möglich gehalten zu haben. Obwohl die neuen Herren in Athen nie verhehlten, was sie im Fall ihres Wahlsieges tun würden, gaben sich sowohl die deutsche Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister als auch die Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, Jean-Claude Junker und Martin Schulz, bis zuletzt betont gelassen. Niemand wollte glauben, dass das Brüsseler Protektorat über Griechenland beendet werden könnte. Noch nachdem die neue Regierung bereits gebildet war, taten sie in der Ferne so, als müsse man auf das, was die griechischen Koalitionäre ihrem Volk zuvor versprochen hatten, nachher so viel nicht geben.
Nach der Wahl, mögen sie sich gesagt haben, wird alles nicht mehr so heiß gegessen, wie man es vorher im Kampf um die Stimmen der Bürger aufkochte. Dass sich die Griechen zu diesem strategisch kalkulierten Wortbruch jetzt nicht verstehen wollen, jedenfalls nicht so ohne weiteres, versetzt das politische Kartell der Euro-Gruppe in einen Zustand der Schockstarre.
Dijsselbloem konnte sich in Athen nur wortlos trollen, mit dem Gesichtsausdruck der beleidigten Leberwurst. Die unverhoffte Ehrlichkeit, die demokratische Moral der Griechen, verletzt die Spielregeln der parteipolitisch geplünderten Demokratie. Sie bedroht den Turmbau zu Brüssel.
Tatsächlich ging es bei allem, was die EU-Verwalter für Griechenland zu tun vorgaben, nie um die Rettung einer bankrotten Volkswirtschaft, sondern um eine kalkulierte Konkursverschleppung. Kredite wurden nicht gewährt, um die Wirtschaft wieder profitabel in Gang zu bringen; vielmehr hat man sie von Anfang an den aufgelaufenen Schulden zugeschlagen.
Wolfgang Schäuble versprach dem deutschen Steuerzahler dafür sogar einen erklecklichen Zinsgewinn in ferner Zukunft. Angekurbelt hat man die Geschäfte der Geldverleiher, nicht die der Darlehensempfänger. Es ging und es soll weiter zugehen wie auf der Pfandleihe. Kein Handwerker, dessen Unternehmen in eine finanzielle Schieflage geraten ist, dürfte sich auf einen solchen Handel einlassen. Binnen kurzem landete er im Knast. Dass die Griechen das endlich erkannt haben, wird ihnen nun aber als Undankbarkeit, mehr noch als Unverschämtheit angekreidet. Die Angst geht um unter den Eurokraten.
Nichts fürchten sie mehr als das Beispiel, das Schule machen könnte: das denkbare Ausscheiden eines Landes aus dem brüchigen Währungsverbund. Schließlich ist er die Lebensversicherung einer ganzen Kaste. Für den kommerzialisierten Politikbetrieb hat der Euro längst existentielle Bedeutung gewonnen. Um seine Ende hinauszuzögern, werden sie in Brüssel sowie in Berlin nichts unversucht lassen, den Griechen weitere Kredite aufzudrängen. Angela Merkel hat bereits erklärt, dass sie sich vorstellen könnte, dem Land trotz des Rauswurfs der Troika nochmals zwanzig Milliarden zukommen zu lassen.
Mit volkswirtschaftlicher Vernunft hat das alles nichts mehr zu tun. Eher erklärt es sich schon aus dem Größenwahn von Politikern, deren Tun an den Turmbau zu Babel erinnert. Ungebremst von kritischem, aus der Sachkenntnis folgenden Zweifel, versteigen sie sich zur Schaffung eines europäischen Großreiches, das sich, wie wir eben erleben, nicht einmal organisatorisch beherrschen, geschweige denn demokratisch legitimieren ließe. Eine Öffentlichkeit, wie sie jede funktionierende Demokratie braucht, kann zwischen Riga und Athen, zwischen London und Warschau schon aus sprachlichen Gründen nicht entstehen, ganz abgesehen von den mentalen Verwerfungen.
Dass autokratische regierende Herrscher wie Vladimir Putin immer mal wieder auf solche Ideen verfallen, liegt in der Natur ihres Wesen. Darüber muss man sich nicht wundern. Wenn dagegen Politiker, die sich auf die Demokratie berufen, ähnliches im Schilde führen, womöglich in der Überzeugung, das Richtige zu tun, handeln sie als Dilettanten der Macht. Kraft ihrer Einbildung glauben sie, sein zu können, was sie sein wollen. Den Holzweg, auf dem sie zügig voranschreiten, können sie nicht als solchen erkennen.
Warum holen sie sich nicht einmal Rat bei den Fachleuten, etwa bei dem Wirtschaftswissenschaftler Vaclav Klaus. In einem Interview hat er eben dieser Tage festgestellt, dass nach dem Ende der diktatorischen System unter dem Deckmantel der europäischen Einigung bereits wieder ein „Zentralismus“ entstanden ist, der sich durch „ein komplettes Fehlen von Demokratie“ auszeichnet. Dass die Griechen dabei nicht mehr mitspielen wollen, macht Hoffnung. Und wie immer das Kräftemessen am Ende ausgehen mag, mit dem Rausschmiss der Troika haben sie wenigstens den Versuch unternommen, die Würde der Demokratie in Europa zu bewahren. Andere werden ihnen nachfolgen, um zu verhindern, dass der Turmbau zu Brüssel in den Himmel wächst.