Unser Staat und unsere Eliten sind von einer schweren, zerstörerischen Krankheit befallen. Die von der EU vorgegebene Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO), die Ende Mai 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist, ist ein Ausdruck dieses äußerst gefährlichen Leidens. Die Verordnung ist hochgradig problematisch und kann unserer freiheitlichen Ordnung schweren Schaden zufügen, wie beispielsweise dieser bemerkenswerte Aufsatz von W. Veil erläutert. Als krasses Beispiel schauen wir uns hier die deutliche Reduktion der Kommunikationsfreiheit im Bereich der Veröffentlichung von Bildern durch die neue Verordnung an. Beginnen wir mit der Grundfrage: Was sind eigentlich Bilder und warum brauchen wir sie?
Bilder malen Menschen seit mindestens 40 Tausend Jahren (älteste bekannte Höhlenmalerei). Sie sind ein wesentlicher Ausdruck des Menschseins und kommen als Skizze und vollendetes Bild vor. Wahrscheinlich ist die Skizze älter, weil sie im dialogischen Kontext auftritt: Sie dient dazu, einem Gesprächspartner zu verdeutlichen, was man meint, wenn die verbale oder mimisch-gestische Kommunikation nicht ausreicht – beispielsweise durch eine Skizze im Sand, etwa zur Planung der Jagd.
Die Skizze zur Vorbereitung eines Bildes dient der Beschäftigung mit einer Idee, dem Eigendialog. Das Bild ist in erster Linie ein Ausdruck des Selbstbewusstseins, der mimetischen Fähigkeit und der schöpferischen Kraft des Menschen. Bilder sind keine einfachen Abbilder der Wirklichkeit, sondern „ein geistiger Gehalt, der an und für sich über alles Sinnliche hinausweist“ (Ernst Cassirer, Philosophie der Symbolischen Formen, 1923-1929).
In zweiter Linie dienen Bilder – im Gegensatz zu dialogischen Skizzen – der Kommunikation, aber einer unilateralen: Der Schöpfer des Bildes drückt sich darin aus und möchte in vielen Fällen auch anderen Menschen mit Hilfe des Bildes etwas mitteilen, allerdings ohne unbedingt eine Antwort zu erwarten. Diese Eigenschaften des Bildes gelten auch für das moderne Sofortbild, die digitale Fotografie und ihr Derivat, sowie für das bewegte Digitalbild (Video). Menschen möchten damit ihre Erlebnisse und Eindrücke festhalten, wobei der Übergang von Mimesis zum Schöpferischen fließend ist, selbst beim Foto.
Aspekte wie die Wahl des Bildausschnitts, des Lichteinfallwinkels und des Moments, in dem fotografiert wird, erlauben auch beim Handyfoto mit starrer Brennweite zumindest einen minimalen künstlerischen Ausdruck. Beim Digitalvideo sind die Gestaltungsmöglichkeiten jedem Laien sofort erkennbar. Die Hauptintention des digitalen Sofortbilds oder -videos ist jedoch die Kommunikation: Der Erzeuger des Fotos möchte damit anderen Menschen mitteilen, was er erlebt, wie dies geschieht und wie er das Erlebte bewertet.
Oftmals sind Personen zufällig abgelichtet. Darf man das?
Anders als beim gemalten Bild oder beim künstlerischen Foto ist die Intention der Kommunikation auch nicht primär unilateral. Während ein Künstler weiß, dass er nur von einem Bruchteil der Menschen, die sein Bild – falls es erfolgreich ist – ansehen werden, eine Rückmeldung dazu erhalten wird, erwartet ein digitaler Sofortbildfotograf oder Digitalfilmer eine direkte Antwort. Denn er schickt das Bild oder Video mit Hilfe seines Mobiltelefons zu ihm bekannten Mitmenschen oder stellt es in einem sozialen Netzwerk Bekannten und Unbekannten aus: Er „teilt“ das Bildmaterial, wie es im Netzjargon heißt. Dann erwartet er eine Antwort wie einen kurzen Text, ein anderes Foto, einen Film oder eine Sprachnachricht.
Dabei werden in sehr vielen Fällen statische oder bewegte Bilder von Menschen gemacht und verteilt, denn wichtige Erlebnisse sind für die Meisten Begegnungen mit anderen Menschen – oftmals sind die abgebildeten Personen auch einfach zufällig abgelichtet worden. Darf man das? Derzeit ist dies nicht mehr klar, vielleicht darf man es nicht. Wie ist die Rechtslage vor und mit der DS-GVO?
Schauen wir uns das einmal an – wem dieser Absatz zu technisch wird, kann gleich nach unten zum nächsten Absatz springen. Schon vor der DS-GVO war es durch §22 des Kunsturhebergesetzes (KUG) untersagt, Bilder von Personen ohne deren Einverständnis zu veröffentlichen (sog. „Recht am eigenen Bild“). KUG §23 lässt allerdings Ausnahmen für Werke der bildenden Künste und der Fotografie zu, nämlich zur Abbildung von zeitgeschichtlichen Ereignissen, bei Personen als Beiwerk, Bildern von Versammlungen und bei nicht bestellten Bildern, die Ausdruck von Kunst sind. Daher sieht man auf Pressefotografien, fiktionalen Filmen, künstlerischen Fotos und Dokumentarfilmen ständig Bilder von Personen, die nicht in ihre Abbildung eingewilligt haben, sowohl bei Beteiligten als auch bei Unbeteiligten. In der Tat wäre es sonst de facto nicht mehr möglich, Filme zu drehen, Veranstaltungen zu fotografieren oder realistische Bilder von Menschengruppen, beispielsweise nach einem Foto, zu malen.
Doch das Recht auf Abbildung von Personen ohne deren Einverständnis wird laut KUG durch folgenden Aspekte eingeschränkt: bei Abbildungen der Privat- oder Intimsphäre, Abbildung mit ehrverletzendem oder rufschädigendem Charakter sowie Bildern zu kommerziellen Zwecken oder für Werbung muss eine sehr vorsichtige Abwägung erfolgen, ob die Veröffentlichung nicht im Einzelfall berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt. Die bisherige Rechtslage erreicht also eine sinnvolle Balance zwischen dem Rechtsgut „Schutz des eigenen Bildes“ und dem Datenschutz einerseits und dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information sowie der Nachfrage von Konsumenten nach Kunstprodukten andererseits.
Für die Veröffentlichung von Fotos oder Videos zu beruflichen und privaten Zwecken, wie sie für soziale Netze und bei der Internet-basierten Kommunikation besonders relevant sind, bietet das KUG zusammen mit dem Datenschutz- und dem Strafgesetz einen vollkommen ausreichenden Rechtsrahmen, um missbräuchliche Veröffentlichungen zu verhindern, denn beispielsweise ist die Veröffentlichung entwürdigenden Bildmaterials ohne das Einverständnis der abgebildeten Person strafbar, und Täter können bei legaler Nutzung des Internets praktisch immer identifiziert werden. Es bestand also für diese Bereiche kein Gesetzgebungsbedarf.
Fotoalbum – für Dritte verboten?
Dennoch wurde die DS-GVO eingeführt. Sie verbietet die Veröffentlichung von Bildmaterial ohne Einwilligung der Abgebildeten total, doch sieht sie in Art. 85 einen nationalen Gestaltungsspielraum zur Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, „einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken“ vor. Die Verordnung sieht aber explizit keinen eigenen Gestaltungsspielraum im beruflichen oder privaten Bereich vor, auch die „Haushaltsausnahme des Art. 2 II d DS-GVO ist zu eng gefasst” (W. Veil, loc. cit.).
Die Auslegung der Rechtslage durch die deutsche Judikative bleibt abzuwarten, doch bedeutet dies im schlimmsten Fall, dass – so lange die nationale Rechtsprechung den Spielraum der DS-GVO nicht maximal nutzt oder eine Abweichung vom EU-Verordnungsrahmen in Kauf nimmt – die Verbreitung von Bildmaterial durch Privatpersonen ohne schriftliches Einverständnis der Abgebildeten verboten ist. Damit wäre es also verboten, Fotos der Videos per App an Dritte zu versenden oder in einem sozialen Netzwerk zu veröffentlichen, wenn man kein schriftliches Einverständnis der Abgebildeten hat.
Dies käme einem Abbildungsverbot nahezu gleich, selbst das Vorzeigen eines Fotoalbums an Dritte wäre in bestimmten Zusammenhängen in Frage gestellt. Wir werden unten sehen, dass es gar nicht so wesentlich ist, was die Verordnung eigentlich will, da es schlicht und ergreifend nicht durchsetzbar ist – doch bevor wir dazu kommen: Wie konnte so eine Verordnung entstehen?
Bildverbote sind traditionell in sakralen Kontexten zu finden. Sie dienten der Abgrenzung des heiligen einen Gottes gegen die Götter des Polytheismus. Bildverbote sind also ursprünglich Ausdruck der kulturellen Leistung, die vom Judentum bei der Überwindung des Polytheismus durch Einführung des Monotheismus erbracht wurde.
Das erste uns bekannte Verbot der Abbildung Gottes findet sich daher in Exodus 20,1-6: „Du sollst dir kein Gottesbild machen […].” Im Christentum, das aus dem Judentum hervorging, war die Abgrenzung weniger nötig, allerdings gab es im frühen Christentum ebenfalls Verbote der Abbildung Gottes, doch konnte schon ab dem 3. Jahrhundert Christus, der menschgewordene Gott, abgebildet werden, und ab dem 8. Jahrhundert (Zweites Konzil von Nicäa) konnte auch Gottvater dargestellt werden – der Heilige Geist als drittes Element der Trinität wurde schon früh symbolisch abgebildet.
Im Islam wird in der Hadith hingegen ein ganz klares Verbot der Darstellung Gottes ausgesprochen; des weiteren sind Bilder von Lebewesen überhaupt verboten oder stark eingeschränkt. Wesentliche Gründe dafür sind im Islam die Beseeltheit der Lebewesen und die Absicht, eine Konkurrenz menschlicher künstlerischer Schaffenskraft mit der Schöpfungskraft Gottes zu unterbinden. Diese archaisch anmutenden Verbote aus dem 8. Jahrhundert sind kulturgeschichtlich anders zu bewerten als im Juden- oder frühen Christentum, die kein generelles Verbot der Darstellung von Lebewesen kennen. Doch auch sie dienen dem Schutz des Sakralen: dem heiligen einen Gott.
Die paradoxe Sakralisierung des Individuums
Was drückt das moderne Bildverbot in der DS-GVO aus? Ist dies ein Unfall, der wie andere Aspekte der DS-GVO von der schlechten handwerklichen Qualität der Verordnung zeugt? Nein, denn dieses Bildverbot drückt eine paradoxe Sakralisierung des Individuums aus – es will gewissermaßen das heilige Individuum schützen. Warum sakral, warum paradox? Seit Pico de la Mirandola ihn einführte, wurde der Begriff der Würde des Menschen bis zu Kant immer stärker ausdifferenziert und in das Zentrum der praktischen Philosophie gestellt. Er wurde zum Kern des Selbstverständnisses des Menschen.
Parallel dazu erklärte der italienische Humanismus die subjektive Selbstverwirklichung zum Ideal der florentinischen Patrizier. Denker wie Herder und Rousseau forderten dann, das authentische Leben in Selbstverwirklichung zu einem der obersten Ziele des menschlichen Lebens zu machen. Beide Entwicklungen führten zu einer fortschreitenden Bedeutungszunahme des Individuums, seiner Würde und Selbstverwirklichung bis hin zur Substitution Gottes durch den Menschen bei Nietzsche: Für ihn kann der Mensch nur wirklich Mensch sein, wenn Gott tot ist und der Mensch seinen Platz einnimmt. Damit wurde die Sakralisierung des Menschen vollendet. Doch ihre serielle Umsetzung erfolgte erst, wie Ortega y Gasset aufzeigte, durch die industrielle Produktion, die den Massen die materielle Grundlage dazu bot.
Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs haben staatliche Institutionen konsequent an der Sakralisierung des Individuums gearbeitet, durch Erzeugung von immer mehr Minderheitenrechten und durch eine Vielzahl staatlicher Regulierungen und Vorschriften, die das Individuum scheinbar schützen sollen, dabei aber die fundamentalsten Freiheitsrechte verletzen. Das Bildverbot der DS-GVO zum Schutz des „Rechts auf das eigene Bild“ ist der vorläufige Höhepunkt der Entwicklung von scheinbaren Schutzrechten mit freiheitseinschränkendem Charakter. Sie erhebt das eigene Bild zur Ikone des sakralen Individuums.
Allerdings traut die EU-Kommission den Menschen nicht zu, die oben beschriebene Güterabwägung zwischen Kommunikationsfreiheit und Schutz des „Rechts auf das eigene Bild“ selbstständig durchzuführen, sondern bevormundet die Bürger massiv, indem sie die Kommunikation mit Bildern unter Strafe stellt. Paradox ist diese Sakralisierung, weil sie das Individuum so übereifrig zu schützen versucht, dass ein wesentliches Mittel zur Selbstverwirklichung, nämlich die Kommunikation mit anderen Menschen, durch das Bildverbot stark eingeschränkt wird. Selbstverwirklichung braucht die Fähigkeit zum autonomen Handeln, welches nach Kant die Würde des Menschen konstituiert, und gerade das will die EU einschränken, um dem Individuum zu dienen: Das Paradoxon besteht in der Entmündigung des Individuums zum Schutz seiner Persönlichkeitsrechte. Doch das entmündigte Individuum ist nicht mehr autonom und hat keine Würde mehr – also verdient es eigentlich keinen Schutz mehr!
Verachtung der Bürger, Rechtsunsicherheit und Willkür
Wir sehen an der DS-GVO sehr deutlich, dass unsere betreute EU-Pseudodemokratie nur scheinbar dem Individuum dienen will, in Wirklichkeit geht es ihr um Entmündigung und Herrschaft. Verordnungen wie die DS-GVO zeugen von einer Verachtung des Bürgers und von der tiefen Überzeugung, die Menschen wüssten von sich aus nicht, wie sie sich zu verhalten haben. Damit kündigt der Staat die Grundlage des Gesellschaftsvertrags auf: ohne autonome Bürger keine Demokratie und kein Rechtsstaat.
Die Verordnung erzeugt insgesamt Rechtsunsicherheit und Freiheitsverlust. Denn sie gefährdet alle Grundrechte: Meinungs-, Presse-, Informations-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sowie unternehmerische Freiheit. Sie benennt nicht einmal das Schutzgut, dem sie dient. Sie ist als Maßnahmensammelsurium in sich inkonsistent. Ihre Durchsetzung erzwingt eine das ganze Leben der Menschen erfassende, regulierende und Abweichungen bestrafende Bürokratie. Sie ist feindlich gegenüber Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts zur Datenverarbeitung.
Sie ist voller Widersprüche und so gefasst, dass die nationalen Judikativen gar nicht mehr in der Lage sind, Recht zu sprechen, mit dem die Bürger vorab rechnen können – ähnlich wie dies bereits in anderen Rechtsgebieten, beispielsweise dem Steuerrecht, zu beobachten ist. Die DS-GVO zeugt damit von dem absolut unsinnigen Begehren, die normale Alltagskultur der menschlichen Kommunikation restlos regulieren und überwachen zu wollen. Dies ist gar nicht möglich, sondern die Verordnung stößt hier an die Grenzen der Durchsetzbarkeit eines Rechts, das der traditionellen, über Jahrtausende entstandenen Kultur widerspricht.
Verhaltensmuster, die zum tief tradierten, unbewussten Handlungsinventar der Menschen gehören oder diesem widersprechen, lassen sich staatlich nicht verbieten oder erzwingen – ein schönes Beispiel ist der Gesslerhut. Versucht dies der Staat, kündigen die Menschen dem Staat und seinem Recht den Gehorsam, sie ignorieren es – das Recht erodiert, weil es eigentlich dazu dient, unsere Kultur zu kodifizieren, aber nicht dazu taugt, sie von oben herab gewaltsam zu verändern. Die Menschen verlieren dann den Respekt und die Achtung vor dem Recht.
Der Versuch der DS-GVO, unsere Art des Zusammenlebens von oben herab auf sinnlose, unsere Freiheitsrechte zerstörende Weise zu verändern, führt zu Willkür. Sie entsteht durch Verbindung aus eingeschränkten Freiheitsrechten mit der Unsicherheit der Gültigkeit der Verordnung und den von der DS-GVO formulierten Eingriffs- und Strafmöglichkeiten des Staates, mit denen der Staat das gesamte Kommunikationsverhalten der Bürger steuern und sanktionieren könnte. Merken die Bürger, dass ihnen ein Recht auferlegt wird, an das sie sich gar nicht halten können und das zahlreiche der einstmals hart erkämpften Freiheitsrechte bedroht, verlieren sie die Bereitschaft, sich dem Staat zu unterwerfen.
Sie werden einen absurd gewordenen Staat, der ihnen ihre Rechte nimmt, einfach abschütteln – wie die Appenzeller es ab 1828 erfolgreich getan haben. Falls der Staat dann sein Gewaltmonopol missbraucht, um dies zu verhindern, fließt wieder Blut – wir sind dies nicht mehr gewohnt, aber offene staatliche Willkürgewalt und Bürgerkrieg können jederzeit wiederkehren. Es braut sich etwas zusammen in Europa, und die DS-GVO ist nur ein Symptom der zerstörerischen Krankheit, die unseren Staat und seine Eliten ergriffen hat.