Rainer Grell / 23.01.2017 / 06:05 / 1 / Seite ausdrucken

Der Straßennamen-Kampf

Nicht alles, was von Goethe stammt ist gut und richtig. Vor allem, wenn es gar nicht von ihm stammt. Mit Zitaten ist das nämlich so eine Sache. Nicht selten lösen sie sich aus ihrem Kontext, verselbständigen sich und führen danach ein Eigenleben, das ihre Herkunft kaum noch oder gar nicht mehr erkennen lässt. Wer behauptet „Namen sind Schall und Rauch“ und sich dabei auf Goethe beruft liegt gleich doppelt daneben: Einmal lautet das korrekte Zitat aus „Faust“: „Name ist Schall und Rauch“, zum zweiten meint Faust im Gespräch mit Gretchen keineswegs den Namen eines Menschen, sondern den Begriff, die Bezeichnung für „Gott“, indem er sich windet und Ausflüchte sucht, die berühmte „Gretchenfrage“ klar und deutlich zu beantworten: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ 

Bei Menschen sind Namen dagegen das A und O ihrer Existenz, ohne Namen und ein Dokument, das diesen belegt, gibt es uns praktisch gar nicht. Wir sind zwar physisch da, existierten aber rechtlich und gesellschaftlich nicht. Aber was noch wichtiger ist: Namen überdauern uns, wenn wir auch physisch nicht mehr da sind, uns mit der Erde um uns herum derart vermischt haben, dass Gott uns glatt zu einem Erdenklos zusammenklumpen und daraus einen neuen Menschen formen könnte. Eine Kombination von Seelenwanderung und evolutionärem Erbgut gewissermaßen.  

Was das soll? Worauf ich hinaus will? Nun, ich meine die Art Unsterblichkeit, die auch diejenigen anstreben, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben. Auf diese Weise kann sogar eine Nachbarschaft zustande kommen, die im wirklichen Leben völlig abwegig erschienen wäre. Schönstes Beispiel ist für mich die Rudi-Dutschke-Straße Ecke Axel-Springer-Straße in Berlin-Kreuzberg.

Was das Verhältnis der Stuttgarter zu Namen angeht, so habe ich dazu bereits das Notwendige gesagt . Doch jetzt kommt Norbert Lammert, seines Zeichens Noch-Bundestagspräsident, und schlägt vor, zwei Gebäude des Bundestages nach Gegnern von Rechtsextremisten zu benennen. Es handelt sich laut einer kleinen Meldung in der „Welt“ um „Abgeordnetengebäude am Berliner Boulevard Unter den Linden“ und die Namen der „Gegner von Rechtsextremisten“ lauten Matthias Erzberger und Otto Wels.

Warum gibt es in Berlin keine Hatun-Sürücü-Straße?

Nun ist es keineswegs so, dass Matthias Erzberger und Otto Wels im Straßenbild deutscher Städte nicht vertreten wären. Eine Otto-Wels-Straße gibt es beispielsweise in Bremen, Hamburg, Hannover, Heilbronn, Karlsruhe, Köln, München, Oldenburg, Würzburg und wer weiß noch wo (manchmal sind es allerdings auch nur Sträßchen). In der Bundeshauptstadt gibt es einen Otto-Wels-Ring (Wels wurde übrigens in Berlin geboren und starb im Exil in Paris) und eine Otto-Wels-Grundschule (in Kreuzberg, Alexandrinenstraße 12). Und auch Matthias Erzberger (im Königreich Württemberg geboren und in der Republik Baden gestorben) kann sich über mangelnde Ehrung nicht beklagen: In Stuttgart findet er sich in der Nachbarschaft von Rathenau und Friedrich Ebert (und dem Obstgartenweg). In Hamburg, Karlsruhe, Magdeburg, Mönchengladbach, Oberhausen und anderswo gibt es eine Erzbergerstraße, und Biberach, wo er auch begraben ist, hat eine Schule nach ihm benannt (in der Leipzigerstraße 11). Sein Geburtsort Buttenhausen, heute ein Ortsteil der Stadt Münsingen (im Landkreis Reutlingen), ehrt ihn mit einer Erinnerungsstätte in seinem Geburtshaus.

In Deutschland ist es allgemeine Regel, dass öffentliche Straßen (Plätze und Brücken) nur nach nicht mehr lebenden Personen benannt werden, soweit nicht andere Kriterien die Benennung bestimmen (z.B. Himmelsrichtung, Länder, Partnerstädte u.a.m). Selbst wenn man diese Regel auch auf die Benennung öffentlicher Gebäude anwendete, bestünden bei Erzberger und Wels keine Bedenken, sind sie doch seit 95 beziehungsweise 77 Jahren tot. Aufhorchen lässt lediglich die Tatsache, dass die Verdienste der beiden Politiker der Weimarer Zeit seit langem bekannt und die betreffenden Gebäude nicht eben gerade fertig gestellt wurden. Offenbar möchte der Bundestagspräsident (wieder mal) „ein Zeichen setzen“ und sich im „Kampf gegen rechts“ profilieren. Das mag man gut finden. Auf mich wirkt es ähnlich peinlich, wie die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft für Hindenburg als „Steigbügelhalter“ Hitlers Jahrzehnte nach dem Ende der Naziherrschaft (man vergleiche dazu auch hier und für Leser, die auch 1300 Seiten nicht schrecken hier.)

Die Stadt Kassel hat am 1. Oktober 2012 einen „Halitplatz“ eingeweiht und nicht versäumt, auf einem der üblichen kleinen Zusatzschilder zu erläutern: „Halit Yozgat, 1985-2006 Kasseler Opfer einer rechtsterroristischen Mordserie.“ Damit auch jeder weiß, wo Kassel im „Kampf gegen rechts“ steht.

Vor kurzem habe ich auf der Achse gefragt: „Warum gibt es in Berlin keine Hatun-Sürücü-Straße? In Stuttgart hat man eine Mehrzweckhalle sogar nach einen Mitglied der NSDAP und der SS benannt – allerdings erst nachdem der Betreffende von der RAF ermordet worden war. Warum dann nicht auch Hatun oder Arzu oder Nezara oder Funda oder Nihal oder Hülya oder Mirjana oder Birsen oder oder oder …?“ Falls jemand nicht weiß, was das soll: Es handelt sich durchweg um Opfer so genannter Ehrenmorde.  

Ich warte immer noch auf eine Antwort.

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Heinz Bannasch / 23.01.2017

Da sind die Amis entspannter. Da trägt die Hauptstadt Washington immer noch den Namen eines Rassisten und Sklavenhalters. Und die Washington Mall ist umsäumt von Monumenten von anderen Sklavenhaltern. Bislang habe ich noch kein Monument über den Genoizid an den Indianern (warum ist “Indianer” eigentlich weniger rassistisch als “Neger”) oder die Massenvernichtung von Zivilisten mit Massenvernichtungswaffen in Hiroshima.

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