Dirk Maxeiner / 10.04.2016 / 10:00 / Foto: D J Shin / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Zwischen Reparaturhandbuch und Blechtrommel

Da Archi W. Bechlenberg sich an diesem Sonntag mit seinem Anti-Deppressivum  partout weigert in die lichten Höhen von Kultur und Literatur aufzusteigen und sich statt dessen tief unten im Motorraum seines Austin-Minis zu schaffen macht, also auf fremden Terrain wildert, muss ich an dieser Stelle ein wenig für Ausgleich sorgen. Und so streift mein sonntäglicher Ausflug zumindest den Bücherschrank, wobei ich die Reparatur-Anleitungen der von mir geschätzten Reihe „Jetzt helfe ich mir selbst“ zur Seite schiebe. Deren Auflage liegt mit 15 Millionen Exemplaren auf dem Niveau von Günter Grass, dessen bekanntestes Werk „Die Blechtrommel“ vom tiefergelegten Teil der Bevölkerung ohnehin als Fachbuch für Karosseriebau verortet wird.

Aber kommen wir zu einem Ort, der für mich als Vertreter des fahrenden Volkes gewissermaßen das Herz des Universums ist – an dem allerdings lediglich eine amerikanische Ausgabe der Bibel im Nachttischschrank liegt. Das Mission Bay Motel in San Diego ist ein wenig in die Jahre gekommen und liegt direkt am Highway One. Im Süden wartet die mexikanische Grenze, nach Norden geht es ein paar tausend Kilometer immer am Pazifik entlang bis Alaska. Im Osten liegen die Weiten des amerikanischen Kernlandes, im Westen die des Pazifik. Die nächste Tankstelle in dieser Richtung steht auf Hawaii.

Am Tag liegt das Motel in einem dösigen Dämmerschlaf und der blauweiße Lack rieselt leise von der Fassade. Mit der Dämmerung flackert dann die Neonreklame auf mitsamt einem großen „Vacancy“ Schild. Zimmer ab 79,00 Dollar. Dann fallen sie ein: Die Handelsvertreter mit ihren Business-Anzügen, die Jungs vom Land mit ihren höher gesetzten Trucks, die stillen Pärchen und die lärmenden Studenten, die Party machen wollen.

Nirgendwo wird das symbiotische Verhältnis des Menschen zu seinem Automobil so deutlich wie in einem amerikanischen Motel. Man ruht gleichsam Seite an Seite mit seinem vertrauten Automobil, das vor der Tür knackend abkühlt. Es dient als Bar und Depot für Sixpacks, als Kleiderschrank und Musikanlage. Der Lebensmittelpunkt hat hier eindeutig vier Räder. Das Mission Bay Motel ist ein wunderbarer Ort, um über das Auto und das Leben an und für sich nachzudenken - und zwar aus einem ganz einfachen Grund:  An Schlaf ist wegen der Geräuschkulisse sowieso nicht zu denken. Besonders in Zimmer 101, das unmittelbar an die Fahrbahn grenzt.

"They'r coming to take our cars“

„Wenn Du eine Stunde in der Kirche verbringst, wo bist Du?“ fragte einmal der amerikanische Autor P.J O’Rourke. Statt einer Antwort schickte er eine zweite Frage hinterher: „Wenn Du eine Stunde im Auto verbringst, wo bist Du dann?“ Darauf fiel ihm sofort eine Antwort ein: „At the beach“. Treffender kann man das transzendente Wesen des Automobils nicht in Worte fassen. O’Rourke hat wunderbare Bücher über Wirtschaft und Freiheit geschrieben, darunter meine liebste neoliberale Lektüre „Holidays in Hell“ – eine Reisebeschreibung durch die Krisengebiete dieser Welt. Die meisten sind nicht auf Deutsch erschienen, sein Humor ist für das hiesige Publikum - sagen wir es mal vorsichtig - ein wenig herausfordernd. Und in „Driving like Crazy“, das sogar schon auf der Achse besprochen wurde, hat er sich als alter Fahrensmann dem Automobil gewidmet, wobei er zu folgender Einschätzung kam:

„The feminists grabbed our women,
The liberals banned our guns,
The health cops snuffed our cigarettes,
The bailout has our funds,
The laws of Breathalyzing
Put an end to our roadside bars,
circle the Fords and Chevys, boys,
THEY´RE COMING TO TAKE OUR CARS“

Autonomie heißt nichts anderes als: Ich mache meinen eigenen Fahrplan. Und hier liegt auch der Grund, warum das Automobil von den Freunden der Freiheit so geschätzt und von ihren Feinden so verabscheut wird. Weil das Auto etwas meint, ist es eben auch eine Idee. Das Auto transportiert nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Sehnsüchte. In einem Motel, nur einen Block vom Strand entfernt, liegt diese Einsicht besonders klar vor Augen.

Die europäische Entsprechung zum Motel lieferten mit der ersten großen Reisewelle in den 50er Jahren die Campingplätze auf dem Weg nach Italien. Eine ganze Armada von Käfern krabbelte über die Alpen.  Im Radio dudelt der Evergreen „Capri Fischer“ („Wenn auf Capri die rote Sonne im Meer versinkt...“) Italien wurde zum Sinnbild des süßen, leichten Lebens im Kontrast zum harten Malochen in der grauen, kalten Heimat. Wenn heute in unserem Lande weniger teutonische Strenge herrscht, dann ist es auch diesen Lockerungsübungen zu verdanken. Das Auto hat den Deutschen paradoxerweise sowohl das Wirtschaftswunder gebracht, als auch die Einsicht, dass das nicht alles sein kann.

Das Auto muss nicht fahren, es genügt, wenn es da ist

Sein gewaltiger kultureller Einfluss unterscheidet das Auto  von den meisten anderen technischen Gegenständen. Ein Toaster oder eine Waschmaschine bringt Dich nicht ans Meer. Ein Auto schon. Selbst ohne Benzin, im Reich deiner Träume. Das Auto ist eben nicht nur etwas, es MEINT etwas. Es meint Freiheit und Autonomie. Und das tollste daran: Um das zu meinen, muss das Auto nicht einmal fahren. Es genügt, wenn es da ist. Natürlich kann man auch mit der Bahn fahren - aber sie passt eben  nicht in die Garage.

Die heutige westliche Kultur wurde vom automobilen Gedanken irreversibel geprägt. Die massenhafte Verbreitung des Autos, die sich in USA zuerst vollzog, lieferte den Amerikanern das geeignete Transportmittel zur Unabhängigkeitserklärung nach. Die unveräußerlichen Rechte eines jeden Menschen auf „Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit“ („The Pursuit of Happiness“), sind in USA untrennbar mit dem Auto verwoben. Dafür genügt ein Blick in die amerikanische Literatur.

Der kalifornische Schriftsteller John Steinbeck beispielsweise machte ein altes Auto in „Die Früchte des Zorns“ zum rettenden Element einer heimatlosen Farmersfamilie, der man ihr Land weggenommen hat. „Der ehrwürdige Hudson mit seinem verbeulten Kühler, staubig und mit fett beschmiert, halb Lastkarre, halb Limousine, ist jetzt der neue heimische Herd der Joads“, schreibt der italienische Literaturkritiker Attilio Brilli, „in einer der eindruckvollsten Passagen der amerikanischen Literatur, die im Rhythmus dem Ton des alten Testamentes folgt, wird von der Metamorphose erzählt, die aus Pächtern wieder Pilger macht, Pioniere der Neuen Welt, welche auf ihren klapprigen Wagen zu Helden der ewigen Wanderung in das gelobte Land werden.“

Das Reparaturhandbuch als Gleichnis einer analogen Welt

Über ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1989, zog eine heimatlose Karavane durch Europa. Ausreisewillige DDR-Bürger auf dem Weg ins gelobte Land Bundesrepublik stranden mit ihren klapprigen Trabis und Wartburgs auf ungarischen Campingplätzen. Die Ungarn zerschnitten dann gemeinsam mit den Österreichern den Stacheldraht des eisernen Vorhangs. Durch den offenen Zaun stürmten hunderte Bürger der DDR. Ein ganzer Treck von rauchenden Trabis setzte sich in der Folge via Ungarn gen Westen in Bewegung und der Geruch von bläulichen Zweitakter-Öl verband sich mit dem Duft  der Freiheit. Es war, als habe man einen Stopfen aus dem Fass namens DDR gezogen, der Sozialismus kam buchstäblich unter die Räder. Der kleine Trabant wurde zu einem sympathischen Symbol der friedlichen deutschen Revolution. Ein historisches Foto zeigt einen Trabi-Auflauf, der sich vor der Westberliner Coca-Cola Niederlassung gebildet hat. „Go West“ wurde für einen kurzen, glücklichen Moment zu einer deutsch-amerikanischen Angelegenheit. Die erste Autoreise gen Westen führte dann nach Österreich oder Italien - die Caprifischer ließen grüßen. Im Gepäck lag das Trabant-Reparaturhandbuch als Gleichnis einer analogen und überschaubaren Welt, die man nicht nur verstehen, sondern auch auseinandernehmen und danach wieder zusammen bauen konnte. Übrigens: In diesem Monat vor  25 Jahren, am 30. April 1991 um 14.51 Uhr rollte der letzte Trabant aus dem Sachsenringwerk in Zwickau vom Band und fuhr ins Museum.

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