Dirk Maxeiner / 04.12.2016 / 06:25 / Foto: Tim Maxeiner / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Tierischer Verkehr

Nachdem der Mensch seine Liebe zum Auto entdeckt hat, zieht die Tierwelt nach. Vögel beispiels­weise haben die Kühlergrills von Mercedes und BMW, von Volkswagen und Opel als kostenlo­ses Schnellbuffet entdeckt: Die darin steckenden Insekten schmecken prima und werden hübsch mundgerecht serviert. Aus den gefiederten Jägern werden so Sammler mit einer gewissen Selbstbedienungsmentalität.

Biologen fanden inzwischen auch heraus, warum an bestimmten Kiosken auf Autobahnrastplätzen manch seltener Vogel besonders häufig anzutreffen ist. Die dort von gesundheitsbewußten Autofahrern verspeisten Körnerbrötchen gelten als Ursache. Unsere gefiederten Freunde lieben die herabfallenden Sonnenblumen- oder Kürbiskerne und siedeln sich in der Nähe der 24-Stunden-Kantine an. Gute Wohnlagen an der Autobahn werden bereits knapp. Während Deutschlands Autofahrer Biosprit weiterhin konsequent ablehnen, hat die Vogelwelt ohne geringste Skrupel auf Vollkornsprit umgestellt.

Auch Piepmätze, die frische Ware bevorzugen, arrangieren sich politisch völlig unkorrekt mit den Hinterlassenschaften der automobilen Gesellschaft. Auf verwilderten Schrottplätzen – die meisten sind inzwischen dem Umweltschutz zum Opfer gefallen – versteckt sich zwischen verrosteten Kotflügeln und alten Reifen oft auffällig viel wilde Natur. Eine Gebrauchtwagenhalde an der Frankfurter Borsigallee entpuppte sich bereits vor vielen Jahren bei einer Untersuchung als artenreichstes Biotop der Stadt. Eine Zählung des Umweltdezernats wies sie als eines der wertvollsten Insek­tenbiotope in der Mainmetropole aus. In Frankfurt lebten laut der Untersuchung seinerzeit 102 Vogel-, 14 Amphibien-, 2000 Käfer- und 33 Ameisenarten – und da haben sie den Zoo und das Bahnhofsviertel noch nicht einmal mitgezählt.

In einem Fiat Panda, den ich viele Jahre lang benutzte, hatten sich hingegen nur drei verschieden große Spinnen als Dauermieter eingerichtet, sie sind dadurch ziemlich weit gereist. Andere Mitfahrer mieden das Auto. Nicht wegen der Spinnen, sondern weil ein Marder sein Revier unter der Motorhaube mit Urin markiert hatte. Erst zerriß dieser Vandale sämtliche Dämmatten, dann krönte er sein schändliches Tun mit beißender Flüssigkeit. Selbst ein ganzer Wald von Duftbäumchen kommt nicht gegen den Geruch an. Ich hatte es sogar mit Toilettensteinen versucht. Deshalb konnte das Fahrzeug nur noch mit völlig geöffnetem Stoffdach bewegt werden, was im Winter für gesundheitliche Abhärtung sorgte und meine Widerstandskräfte aktivierte. Verkaufen konnte ich den Fiat mit dieser Duftwolke nie, ich fuhr ihn also, bis endlich ein Kolben frass und das Pleuel durch die Ölwanne ins Freie gelangte. Noch nie habe ich mich über einen Motorschaden so gefreut wie über diesen. Endlich.

Der Marder akzeptiert das Auto zunehmend als natürlichen Lebensraum

Diese Marder haben es ereicht, dass ich an meiner sowohl tierlieben wie pazifistischen Grundeinstel­lung zweifle. In wieder­kehrenden Racheträumen habe ich Steinmarder bereits mehrmals zu Tode gemeuchelt, teil­weise mit unfeinen Methoden wie Häuten, Köpfen, Zersä­gen, Teeren und Federn. „Und immer lockt das Auto“, überschrieb BMW eine Pressemitteilung, in der das Werk über eine vom Autohersteller beim „Arbeitskreis für Wildbiologie“ in Gießen in Auftrag gegebene Studie berichtete. BMW formuliert es so: „Der Marder akzeptiert das Auto zunehmend als seinen natürlichen Lebensraum und gibt dies von Generation zu Generation weiter.“

Die Tierchen nutzen das Auto als Schlafstelle und als Vorratslager. Jungtiere werden auf ihren nächtlichen Streifzügen mit dem Revier vertraut gemacht und lernen hierbei die verschiedenen Vorzüge von Ford und Fiat, Renault und Porsche kennen. Wurden früher reihenweise die Hühner von der Stange geholt, fallen jetzt Autos aller Klassen dem Spielverhalten der Rabauken zum Opfer. Bei einer Umfrage gaben Hunderte Hamburger Bürger der Forstbehörde Hinweise auf Steinmardernester, lediglich in der Nähe des Altonaer Bahnhofs muss der Nachwuchs ein wenig vorsichtig sein: Dort hat jetzt ein Uhu sein Revier.

Die sogenannten Kulturfolger haben inzwischen sogar ein gewisses Verständnis für die Straßenverkehrsordnung entwickelt. In Hamburg habe ich auf einer bewachsenen Verkehrsinsel während der rush hour vier disziplinierte Kaninchen gezählt. Wildschweine pochen jedoch auf das Recht des Stärkeren: Vier Wildschweinmütter und 16 Frischlinge legten auf dem Spandauerdamm in Berlin den Berufsverkehr lahm. Manchmal verirren sie sich aber auch in ein bürgerliches Wohnzimmer, das sie dann sorgfältig in Kleinholz verwandeln.

Falken und Greifvögel als miese Söldner

Wer hierzulande aus dem Fester des ICE schaut, sieht immer wieder Rehe und Füchse in der Nähe der Trasse – und zwar entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten am hellichten Tag. Der Grund: In der Nähe der Bahntrasse darf der Jäger nicht herumballern, in der Stadt auch nicht. Aus dem selben Grund siedeln sich Hasen und Karnikel gerne auf Liegenschaften der chemischen Industrie an, denn zwischen all den hochexplosiven Rohren ist die Schrotflinte natürlich tabu. Wenn die Sache überhand nimmt, werden deshalb inzwischen Falken und Greifvögel als miese Söldner unter Vertrag genommen.

Ein internationales Phänomen: Die Bewohner Stockholms stöhnen über Elche, die auf ihre Vorfahrt bestehen. Im australischen Canberra dringen Känguruhs immer weiter in die City vor und fallen durch sprunghaftes Verhalten auf. Im kanadischen Churchill ignorieren die Eisbären kosequent die Ampelsignale und sorgen für allerhand Beschädigungen, das rückwärts einparken üben die bis zu 800 Kilo schweren Zottel noch. Sie werden daher eingefangen und in eine Gegend ohne Parkuhren ausgeflogen. Es hat sich ein regelrechter Hubschrauber-Shuttle eingespielt, denn die die Jungs sind oft so schnell wieder da wie arabische Antänzer, die von der Domplatte verwiesen werden.

Im afrikanischen Namibia machte hingegen ein Nashorn durch rüpelhaftes Einparken auf sich aufmerksam. Die Ranger eines Schutzgebietes kamen nach einem Fußmarsch zu ihrem in der Wildnis abgestellten Jeep zurück und mußten sich doch sehr wundern. Ein Nashornbulle hatte während ihrer Abwesenheit ein dickes Loch in den Kühler gerammt. Der parkende Jeep war einfach nicht aus dem Weg gegangen. Da lobe ich mir doch die Vogelwelt und besonders die deutschen Stare: Einige von ihnen  können inzwischen klingeln wie eine Straßenbahn, außerdem beherrschen sie sämtliche Handy-Klingeltöne. Andere fliegende Artgenossen haben die Vorzüge von Wärmedämm-Fassaden aus Styrophor entdeckt. Sie hacken Löcher hinein und bauen sich ein gemütliches Nest gemäß EnEV.

Foto: Tim Maxeiner

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