Dirk Maxeiner / 30.10.2016 / 06:10 / Foto: Tim Maxeiner / 3 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Mit Vollgas durch die Milieus

Ich gebe es zu: Ich treibe mich heimlich auf Internet-Portalen herum, die sich „autoscout24.de“ oder „mobile.de“ nennen. Sogar ein italienischer Ableger ist darunter „subito.it“. Das erspart lange Italien-Reisen, besonders meiner Frau. Die hat nämlich mitgekriegt, dass ich während unserer Toscana- und Rom-Aufenthalte, eine heimliche Agenda verfolgte. Uffizien und irgendwelche Tiber-Brücken  ziehen mich nämlich sehr viel weniger an als der örtliche Gebrauchtwagen- oder Schrotthandel, bei dem es immer wieder betagte Fiats oder Alfas zu entdecken gibt. Das sind halt meine Kulturgüter. Aber nicht die meiner Frau. Wenn ich es wage, angesichts eines Schildes „Auto usate“ auch nur die Geschwindigkeit zu verringern, kommt vom Beifahrersitz ein lang anhaltendes und sehr entschiedenes „NEEEIIIIN!“. Seit das so ist, habe ich keinen Bock mehr auf Italien. „subito.it“ tuts auch, man will ja nur träumen.

Allerdings hinterlässt man heutzutage auch dabei Spuren. Und die manifestieren sich in Form der von Google automatisch eingespielten Anzeigen. Wenn ich mir Sabines iPad ausleihe und mich zu lange auf der Achse des Guten herumtreibe, werden ihr später todsicher irgendwelche Kopftuch-Muslima angeboten, gerne auch in Verbindung mit einem Kriegsspiel wie „World warships“ inklusive „actionreichen Seeschlachten“. Dafür sind meine Frau, beziehungsweise ich nach Ansicht der Google-Algorithmen die ideale Zielgruppe. Jetzt fürchte ich mich wirklich vor künstlicher Intelligenz, zumindest solange die noch so abgrundtief blöde ist.

In automobiler Hinsicht funktioniert es aber schon besser, bislang hat Google es jedenfalls nicht gewagt, uns einen, Gottseibeiuns, Toyota-Prius anzubieten. Dann lieber Kopftuch. Statt dessen werden wir schon mal auf Oldtimer-Versteigerungen in wunderbaren fernen Ländern aufmerksam gemacht. Na bitte, geht doch. Und einen gut getarnten Vorwand warum ich Sabine unbedingt mal Hershey-Pennsylvania zeigen muss, finde ich auch noch ( "Weißt Du, da ist diese riesige Schokoladenfabrik und die Laternen haben die Form von Pralinen").

Doch zurück zu den ungebetenen Anzeigen-Offerten. Um nicht ständig an den Falschen zu geraten, spü­ren Deutschlands Verkäufer und Werber ihren Kun­den mit einer immer engmaschigeren  Rasterfahn­dung nach, die sogar Hausbesuche einschließen. Sie wissen grob gemu­sterte Tapeten und röhrende Hirsche, weiße Ten­nissocken und Gesundheitschuhe, schmiedeei­serne Hoftore, Greenpeace-Aufkleber und Kamei-Spoiler zu bewerten. Vom biertrinkenden Vielfernseher bis zum kunst­sinnigen Konzertgänger lassen sie die Befragten dann ihre Einstellungen zur Arbeit und Freizeit, zu Wünschen, Vorlieben und Befürchtungen mit eige­nen Worten beschrei­ben.

Mit Hilfe der Datenkraken im Internet können die Marktforscher ihren Auftraggebern noch sehr viel mehr über den Kunden erzählen. Selbst Dinge, von denen er selbst keinen blassen Schimmer hat. Sie halten unsere merk­wür­digen Einstellun­gen  in "Fas­zinations-Atlanten" fest und erstellen "alltags­äs­thetische Schemata" über Sitten und Bräuche. Sie vermögen ver­schiedene Stämme und soziale Biotope zu charak­terisie­ren und ein­zukrei­sen. Nachdem Sitten und Gebräuche der Himba und Nuba, der Indianer und Eskimos einigermaßen ergründet sind, beginnt der Mensch in Deutschland sich wieder über sich selbst zu wundern.

Die Branche ist von vorurteilsfreier Neugier, interessiert sich für Alter und Ge­schlecht, Bildung und Geschmack, Automobiltyp und Lieblings­kneipe, politische Vor­lieben und se­xuelle Präferenz. Seit der Wie­dervereinigung spielt sogar die Farbe der Socken eine wichtige Rolle. „Man unterscheidet dabei die soziale Lage in drei Schichten: Sozial gehobene Milieus, Milieus der Mitte sowie Milieus der unteren Mitte und der Unterschicht. Dazu kommt die Grundorientierung: Tradition, Modernisierung, Individualisierung und Neuorientierung“. sagt das Marktforschungsnstitut Sinus und teilt das deutsche Wesen folgendermaßen ein:

Sozial gehobene Millieus

Konservativ-etabliertes Milieu (10 Prozent)

Sinus: „Das klassische Establishment: Verantwortungs- und Erfolgsethik; Exklusivitäts- und Führungsansprüche; Standesbewusstsein, Entre-nous-Abgrenzung“.

Soll heißen: Alte Säcke, meist über 50, haben es im Beruf und finanziell zu etwas gebracht und wollen unter sich bleiben. Ich sage nur Golfplatz. In der Wohnung legen sie Wert auf Einzel- und Erbstücke, im Geiste auf hu­manistische Werte und Verant­wortung, zumindest theoretisch. Sie treten gegen Sittenverfall und "Materialis­mus" ein und regen sich auf, wenn der Nachbarsjung mal besoffen an den Gartenzaun pinkelt.

Liberal-intellektuelles Milieu (7 Prozent)

Sinus: „Die aufgeklärte Bildungselite: liberale Grundhaltung und postmaterielle Wurzeln; Wunsch nach selbst bestimmtem Leben, vielfältige intellektuelle Interessen“.

Soll heißen: Postmaterielle Wurzeln sind ein Must-Have, gut passend zum neuen Hybrid-Mercedes. Ihr aufgeklärtes Bewusstsein führt sie regelmässig in die Esoterik-Ecke des letzten verbliebenen örtlichen Buchhändlers,

Milieu der Performer (8 Prozent)

Sinus: „Die multi-optionale, effizienzorientierte Leistungselite: global – ökonomisches Denken; Konsum- und Stil-Avantgarde; hohe IT- und Multimedia-Kompetenz“.

Soll heißen: Berufsjugendliche mit Nerd-Brille, die in ihrer Freizeit rote Chucks tragen und im Beruf als Controller jede Kreativität abwürgen, was sie wahnsinnig spannend finden.

Expeditives Milieu (6 Prozent)

Sinus: „Die ambitionierte kreative Avantgarde: mental und geografisch mobil, online und offline vernetzt und auf der Suche nach neuen Grenzen und neuen Lösungen“.

Soll heißen: Exzessive Spinner, die geerbt haben.

Milieus der Mitte

Bürgerliche Mitte (14 Prozent)

Sinus: „Der leistungs- und anpassungsbereite bürgerliche Mainstream: generelle Bejahung der gesellschaftlichen Ordnung; Wunsch nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen.“

Soll heißen: Alte weiße Männer, die ihre Steuern bezahlen. Generation Täter.

Adaptiv-pragmatisches Milieu (9 Prozent)

Sinus: „Die moderne junge Mitte unserer Gesellschaft mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül: zielstrebig und kompromissbereit, hedonistisch und konventionell, flexibel und sicherheitsorientiert; starkes Bedürfnis nach Verankerung und Zugehörigkeit.“

Soll heißen: Wohnen im Passiv-Reihenhaus mit Wärmepumpe und fahren strafverschärfend einen VW-Golf. Darüber hinaus sind keine weiteren Verfehlungen bekannt.

Sozialökologisches Milieu (7 Prozent).

Sinus: „Konsumkritisches /-bewusstes Milieu mit normativen Vorstellungen vom „richtigen“ Leben: ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen; Globalisierungs-Skeptiker, Bannerträger von Political Correctness und Diversity“.

Soll heißen: Neigen dazu Szene-Cafes mit schlecht erzogenen Göhren zu terrorisieren und verlangen auch noch, dass man das gut findet.Entstammen einem urdeutschen Biotop, dessen heimliche Hauptstädte Freiburg und Bremen heißen. Dort leben sie glücklich und zufrieden bis das industrielle Erbe der Väter und Mütter endlich vernichtet ist. Dann wird alles gut.

Milieus der unteren Mitte / Unterschicht

Traditionelles Milieu (14 Prozent.)

Sinus: "Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegs-/ Nachkriegsgeneration: verhaftet in der alten kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur; Sparsamkeit, Konformismus und Anpassung an die Notwendigkeiten.“

Soll heißen: Reif für das sozialverträgliche Frühableben, stören die Harmonie in der Esoterik-Ecke und lassen es an Willkommenskultur mangeln.

Prekäres Milieu (9 Prozent).

Sinus: „Die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht mit starken Zukunftsängsten und Ressentiments: Häufung sozialer Benachteiligungen, geringe Aufstiegsperspektiven, reaktive Grundhaltung; bemüht, Anschluss zu halten an die Konsumstandards der breiten Mitte“.

Soll heißen: Denen kann man nichts verkaufen. Bitte keine Niederlassung in Dresden eröffnen.

Hedonistisches Milieu (15 Prozent).

Sinus: Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht / untere Mittelschicht: Leben im Hier und Jetzt, Verweigerung von Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft.“

Soll heißen: Kevin goes Ballermann. Nicht satisfaktionsfähig, aber ideale Zielgruppe für Bitburger/Warsteiner. Gut mit RTL ruhig zu stellen.

Foto: Tim Maxeiner

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netiquette:

otto regensbacher / 30.10.2016

Ironie kann man so übertreiben und in einer derart verklausulierten Art darstellen, dass man keine Lust mehr hat,  einen solchen Artikel sich zu Gemüte zu führen! Ich schreibe dies auf die Gefahr hin, dass diese “kleine Lesepost” kassiert wird! Freundliche Grüße otto regensbacher

Peter Müller / 30.10.2016

Tja, so ist das Leben, wenn man sich seiner Frau unterwirft. Der durchschnittliche deutsche sogenannte “Mann” ist derart von seiner Partnerin dressiert, daß er ungefähr noch so willensstark ist, wie ein Bettvorleger.

Hjalmar Kreutzer / 30.10.2016

Vielen Dank für die Übersetzung von Marketing-Geschwurbel ins Deutsche, köstlich! Im übrigen bin ich für eine Frauenquote auf Gebrauchtwagen- und Schrottplätzen bzw. eine Männerquote bei der Planung von Urlaubsunternehmungen.

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