Ich gehöre zu keiner Großfamilie. Und auch der Freundeskreis ist überschaubar. Trotzdem werde ich ständig zu Hochzeiten eingeladen. Das liegt nicht an mir. Es liegt an meinem Auto. Besser gesagt an meinem Zweitwagen. Einem Cadillac, Baujahr 1956. Er ist mir irgendwann Ende der 70er Jahre in der Schweiz zugelaufen. Stand auf einer Gebrauchtwagenhalde und blickte mich treu an wie ein verkommener mallorquinischer Straßenköter. Ich konnte einfach nicht nein sagen.
Ich kann überhaupt schlecht nein sagen. Und das hat sich irgendwie unter angehenden Hochzeitspaaren herumgesprochen. Alle paar Wochen klingelt das Telefon und die zuckersüße Stimme einer jungen Frau erkundigt sich, ob ich bereit wäre, sie samt ihrem Göttergatten zur Kirche oder zum Standesamt zu chauffieren. Der alte Cadillac ist für diesen Zweck offenbar eine schwer coole Ansage.
Interessanterweise rufen übrigens immer die Frauen an. Die haben offenbar mehr Mumm. Womit schon eine gewisse Rollenverteilung vorgegeben ist. Ich freue mich über diese jungen Talente. Man merkt, dass sie viel telefonieren, sie könnten mir auch mühelos eine Luxus-Wohnung in Hoyerswerda verkaufen.
Warum der Cadillac so eine magische Anziehungskraft hat, kann ich nur mutmaßen. Vielleicht liegt es daran, dass seine Karosserie im Grunde eine komplette Ansammlung Freudscher Symbole darstellt. Die raketenartigen Hörner in der vorderen Stoßstange können gleichermaßen als männliches und weibliches Fruchtbarkeitssymbol durchgehen. Die Amerikaner haben sie seinerzeit „Dagmars“ getauft, nach einer gleichnamigen Fernsehblondine in den 50er Jahren. Stellen Sie sich die Venus von Willendorf vor, allerdings so groß ist wie ein Schulbus: Das ist mein Cadillac. Wenn Sie ihn mal in Aktion sehen wollen, dann klicken Sie hier.
Wie gesagt: Ich lasse mich in Sachen Hochzeits-Kutscher immer wieder breitschlagen. Und zwar umsonst, weil ich den Start ins gemeinsame Glück nicht mit einer Tankrechnung versauen will. Zum Ausgleich bekomme ich tiefe Einblicke in die Rituale und Riten derjenigen, die später meine Rente bezahlen sollen.
Ich trage bei diesen Anlässen ein schwarzes Dinner-Jacket mit glänzenden Aufschlägen und dazu eine schwarze Seiden-Fliege mit nachgemachten kleinen Edelsteinen darauf und schwarze Lackschuhe. Das habe ich vor Jahren mal als Set für 59 Pfund bei Marks & Spencer in Brighton erstanden. Ich finde, ich sehe damit aus wie James Bond. Die Hochzeitspaare glauben, dass ich damit aussehe wie ihr Chauffeur. Auf jeden Fall sind alle glücklich. Es lässt sich dabei übrigens beobachten, wie schnell sich der Mensch an Annehmlichkeiten gewöhnt. Spätestens nach der Rückfahrt von der Kirche zum Gasthof geht er davon aus, dass ihm das Personal die Tür aufreißt. Auf dem Weg zum großen, gemeinsamen Besäufnis hat sich inzwischen der Autokorso durchgesetzt, akkustisch stilbildend waren dabei unsere türkischstämmigen Landsleute.
Aber eins nach dem anderen. Vor derm Termin in Kirche oder Standesamt müssen im Regelfall die Hochzeitsbilder geschossen werden. Und die sind heutzutage mindestens so wichtig wie die Trauung selbst. Die Hochzeitsfotografen beherrschen mittlerweile auch auf dem Land den aus Funk und Fernsehen überlieferten Profi-Sprech: „Jawooohl Baby! Nochmal Baby! Hierher Baby!“ Es werden komplette Fotoromane inszeniert, die oft eine außerordentliche Komik enthalten, die aber nur mir auffällt. Auch in dieser Hinsicht habe ich mich daran gewöhnt, der Geisterfahrer zu sein. Dabei setze ich selbstverständlich ein Gesicht auf wie Mr. Bond beim Poker-Duell.
Auch die Gottesdienste werden immer kreativer, besonders hinsichtlich der musikalischen Ausgestaltung. Kultur und Ästhetik der Casting Show und der Geruch von Weihrauch harmonieren übrigens vortrefflich. Neulich hatte ich eine Braut, die selbst zum Mikrofon griff und einen kompletten Helene Fischer-Auftritt hinlegte. Das war sehr selbstbewusst. Ich habe mich derweil auf das Interieur der barocken bayrischen Wallfahrtskirche konzentriert. Und bin zu dem Schluss gekommen: Da war der selbe Designer am Werk wie bei meinem Cadillac. Am späteren Nachmittag mache ich mich dann so diskret wie möglich vom Hof, denn vor den Hochzeitsschmaus hat der liebe Gott eine schwere Prüfung gesetzt: Die Sketche der Freunde und Verwandten.