Dirk Maxeiner / 02.04.2017 / 06:14 / Foto: Jon Hurd / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Hundesitter in Paris

Das Überraschende finden wir erst dann, wenn wir nicht nur das machen, was wir uns vornehmen. Als ich in den späten 70er Jahren das erste mal nach Paris kam, hatte ich mir viel vorgenommen: Eiffelturm und Champs Elysées, Louvre und Centre Pompidou, Versailles und Flohmarkt. Ein befreundeter Fotograf hatte mir seine Wohnung am Boulevard Beaumarchais überlassen. Einzige Bedingung: Ich müsse während seiner Abwesenheit seinen Hund betreuen. Das Tier sei aber fromm wie ein Lamm. Was ich nicht wußte: Bei dem Hund handelte es sich um eine deutsche Dogge, mit einem ebenso deutschen Namen: „Ludwig“. Er war tatsächlich fromm wie ein Lamm, allerdings auch sperrig wie ein Pferd.

Der noch junge aber riesige Hund schloß mich sofort ins Herz. Seine Zunge entpuppte sich als feucht und groß wie ein Waschlappen. „Der Hund versteht nur Französisch und das auch nur wenn er will“, klärte mich sein Besitzer auf. Die Befehle „Viens ici!“ (komm' her) und „coucher!“ (leg Dich hin) würden mitunter befolgt. Außerdem, so fügte er dann noch hinzu, „bleibt er nicht gerne alleine zuhause - er frißt dann die Sessel.“ Will sagen: Ich würde Ludwig auf Schritt und Tritt mitnehmen müssen. Mir dämmerte sofort, daß ich keineswegs das machen würde, was ich mir vorgenommen hatte. Der Louvre und der Eifelturm waren gestorben und ich auf den Hund gekommen. Bonjour Tristesse.

Da Ludwig weder mit der Metro noch mit einem Taxi kompatibel war, war ich auf den Fiat-Kleinwagen seines Besitzers angewiesen. Rost und das rabiate Pariser Verkehrsgeschehen hatten diesem Fahrzeug eine Aura gegeben, die man heute wohl als "authentisch" bezeichnen würde. Außerdem war  es aufgrund des intensiven Hunde-Geruchs nur mit offenen Fenstern benutzbar. Schaltknauf und Kopfstützen hatte Ludwig bereits gefressen, am Lenkrad arbeitete er noch. Ich fuhr gewissermaßen mit Ludwigs Hundehütte durch die Stadt. Da das Auto über ein Pariser Kennzeichen verfügte, konnte ich weder auf mildernde Umstände noch sonst irgendwelche Nachsicht im Straßenverkehr hoffen. Das stählt und fördert das Orientierungsvermögen ungemein.

Nach 14 Tagen war ich bereits in der Lage, meinen neuen Wohnsitz aus jeder Himmelsrichtung und ohne Zuhilfenahme eines Stadtplans anzusteuern. Mitunter wurde ich bei der Parkplatzsuche allerdings wieder kilometerweit abgetrieben. Navigationssysteme gab es noch nicht, der junge Mensch von heute kann sich diesen Zustand vermutlich absolut nicht vorstellen. Ein Auto ohne „Navi“ ist ja fast so, als habe jemand ein Sinnesorgan amputiert.

Der Mensch lernt langsam und verlernt schnell.  Anstatt sich Wegmarken und Fahrstrecken einzuprägen, vertraut er blind auf den kleinen Kasten und pflegt die Konversation mit seinem Beifahrer. Mit dem Ergebnis, dass beide keinerlei Vorstellung mehr davon haben, wo sie sich eigentlich befinden. Die urmenschliche Fähigkeit sich an den Himmelsrichtungen zu orientieren ist ja schon lange verloren gegangen. Jetzt verlässt uns auch die zivilisatorische Befähigung aus eigener Erinnerung an der zweiten Ampel rechts und dann hinter dem Kaufhof links abzubiegen. Nun ich hatte ja Ludwig – und der besaß ein ausgezeichnetes Navigations-System. Beispielsweise wenn es um die Lokalisierung der nächsten Chacuterie (Fleischerei) ging.

Ludwig, eigentlich von hellbrauner Farbe, war im Quartier bekannt wie ein bunter Hund. Pariser mögen große Hunde (in kaum einer Stadt der Welt gibt es mehr Hunde pro Einwohner als in Paris). Und so fraß sich die Nachricht von dem neuen Mann an Ludwigs Seite von der Concierge-Loge im Parterre hinauf durch die sieben Stockwerke unseres Hauses und wieder hinab. Dann nahm die Neuigkeit ihren Lauf entlang der Rue Saint Claude zum Friseur, von wo sie sich dann in alle Himmelsrichtung zum Bäcker, zum Kaufmann und zum Bistro an der Ecke weiter verbreitete. Der Metzger wußte bereits bei meinem ersten Besuch Bescheid. Kaum hatte ich den kleinen Laden betreten, rief er seiner Gattin zu: „Liebling, schneide bitte zwei Kilo Boeff Bourguignon für Ludwig!“ Er verabschiedete mich wie einen alten Freund und ich konnte seine Gedanken dabei lesen: „Welch ein guter Kunde. Zwei Kilo täglich. Mon dieu!“

Mir blieb fast die Luft weg, und dies nicht wegen der vielen Treppen

Bepackt mit Metzgertüten und gezogen vom Hund stieß ich dann im Treppenhaus mit Isabelle zusammen. Gesichtszüge mit einem Hauch von Asien, schlank  und hochgewachsen wie ein Lagerfeld-Modell. Mir blieb fast die Luft weg, und dies nicht wegen der vielen Treppen. Ludwig sabberte freudig am hellgrauen Kostüm der jungen Dame und wurde dafür auch noch mit ausgiebigen Streicheleinheiten belohnt. Die beiden kannten sich ganz offensichtlich schon länger. Isabelle begrüßte schließlich auch mich und erbot sich, den Hund am Sonntag morgen mit in den Bois de Boulogne zum Joggen zu nehmen: „Er braucht viel Auslauf.“ Ich gab daraufhin die einzige Antwort, die mein rudimentäres Französisch hergab: „Ich auch.“ Das war ungewollt schlagfertig. Pariser lieben den schnellen Witz, die ironische Replik. Isabelle willigte ein: Treffpunkt Sonntag acht Uhr, vierte Etage rechts, zweimal kurz klingeln. Ich begann, meinen Paris-Aufenthalt zu mögen.

Zu meinem Leidwesen liebte Isabelle den Hund, mich betrachtete sie im wahrsten Sinne des Wortes als Begleiterscheinung. Paris ist ziemlich ungerecht. Andererseits haben wir dann doch noch viel zusammen unternommen. Dabei gaben wir ein etwas ausgefallenes Bild ab. Erstens dieses Astralwesen von Frau. Zweitens dieses Riesenbaby von Hund. Und drittens dieser Fritz, dessen Hund Ludwig heißt und mit dem er gebrochen Französisch spricht: „Ludwig, viens ici!“ So etwas mögen die Pariser, weil es ihre Phantasie beflügelt. Im Restaurant bekamen wir samt Hund stets einen guten Platz, gleichsam als Attraktion des Hauses. In einem Straßen-Bistro am Place des Vosges band ich Ludwig an unserem Tisch im Freien an. Dann tauchte gegenüber eine attraktive Hundedame auf. Woraufhin Ludwig samt Tisch und dem darauf servierten Dinner die Straßenseite wechselte. Er hinterließ uns ratlos und mit einer ziemlich hohen Rechnung fürs Geschirr.

Die Strassen und Gassen um den Place de Bastille und das Marais haben wir auf unseren Streifzügen kaum einmal verlassen. Nach wenigen Tagen in der kleinen Welt dieser großen Stadt fing ich an, die ersten kleinen Privilegien zu genießen. Die gewünschte Zeitung am Kiosk lag morgens schon bereit, Stammplatz im Bistro und Trinkgewohnheiten waren dem Kellner bekannt, die Concierge nahm die Post des neuen Mitbewohners persönlich entgegen. In Paris geht nichts ohne solche Privilegien und jeder fängt mal klein an. Die arbeitende Bevölkerung begnügt sich meist mit dem kleinen Kosmos des eigenen Quartiers. Dem Neuling entblättert sich das Viertel nur allmählich und schichtweise wie eine Zwiebel.

Wie die meisten Pariser war Isabelle absolut nicht bereit, irgendwelche Sehenswürdigkeiten oder gar den Champs-Élysées aufzusuchen. Später habe ich das dann allein nachgeholt. Wenn ich heute an Paris denke, denke ich aber meist an jene chaotischen Tage, als ich nichts von dem tat, was ich mir vorgenommen hatte. Ludwig zog übrigens aufs Land und ist heute im Hundehimmel. Und Isabelle heiratete einen Mann, der Bugattis sammelt. C’est la vie.

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