Dirk Maxeiner / 20.11.2016 / 06:10 / Foto: Seattle Municipal Archives / 7 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Jesus, Mohammed, Mr. Wash

Wie Löwe und Kojote am Wasserloch, so treffen sich Panda und Mustang in der Waschanlage. Be­sonders am Samstagmorgen, wenn die Sonne scheint. Während man am örtlichen Wertstoffsammelhof fast nur alte, weiße Männer trifft, ist der Platz vor der Waschanlage ein Ort gelungener Integration. Die rassistische Dimension des deutschen Mülltrennwesens ist mir schon länger aufgefallen, da haben wir noch eine gewisse Bringschuld. Ganz anders beim örtlichen Mr. Wash. Der reißt es voll raus. Die Kombination aus babylonischem Sprachgewirr, verschiedenen Landestrachten und Vollbeschäftigung scheint mir geradezu modellhaft. Der Bau von Waschstraßen bedarf dringend der staatlichen Förderung - nirgendwo können die Mittel für Integration und den Kampf gegen rechts sinnvoller angelegt werden als hier.

Magentaschwarz und alpinaweiß – und alles was dazwischen liegt – treffen sich friedlich um sich gründlich zu reinigen vom Schmutz der Woche. Die bunte Republik will sich für ein paar Stunden gemeinsam, unbefleckt und strahlend der Welt zeigen. Deutsche SUV-Rentner, aufstrebende afrikanische Opel-Liebhaber und die türkische Breitreifen-Fraktion stehen Seit an Seit im Kampf gegen den bösen Schmutz und warten brav bis der andere den Supersauger freigibt. Und die Jungs putzen alle selbst! Ich werde demnächst Margot Käßman als Schutzpatronin des deutschen Waschstraßengewerbes vorschlagen, Vertretungsweise Katrin Göring-Eckardt.

Wir – und damit meine ich die gesamte bunte Republik – fahren auch zur Waschanlage, wenn wir gar nicht schmutzig sind. Sauberkeit ist eben eine Frage der inneren Einstellung. Man kann in die Kirche gehen, man kann die nächste Moschee aufsuchen oder einen buddhistischen Tempel. Aber das ist alles eine Minderheiten-Veranstaltung. 44 Millionen Autos werden in Deutschland im Schnitt 11,5 mal pro Jahr gewaschen: Das macht über 500 Millionen Besuche beim heiligen Mr. Wash, inklusive Empfang der Sakramente. Da können die übrigen Religionen nur von träumen. Nebenbei bemerkt: Waschstraßen sind die einzigen westlichen Kirchen, die in Saudi-Arabien erfolgreich missionieren dürfen.

"Wa­schen mit Trock­nen", da vergesse ich sogar Angela, die Alternativlose

Die alten Griechen nannten den Vorgang der Reini­gung "Katharsis", Psychologen verstehen darunter eine Abreaktion verdräng­ter Af­fekte. Meine Katharsis heißt Mister Wash. Zivili­sierte Menschen zeichnen sich eben dadurch aus, daß sie ihre Affekte in Waschstraßen abrea­gieren und nicht zuhause die Kinder vermö­beln, Flüchtlingsheime anzünden oder sich im Irak dem IS anschließen.  Die positive Auswirkung von Waschstraßen auf die Volksgesundheit kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Ich persönlich empfinde jene Waschanlagen als besonders angenehm, bei denen man während des inneren Waschgangs im Auto sitzen bleiben darf. Für die kleine Verdrängung zwi­schendurch wähle ich meist "Wa­schen mit Trock­nen", da vergesse ich sogar Angela, die Alternativlose.  Wenn die Woche ganz schlimm war lege ich mich allerdings richtig auf die Couch: "Schaum­wä­sche mit Waxen und Polish". Da fällt dann ganz Dunkeldeutschland von mir ab.

Ab geht die ruc­kelnde Fahrt in den prasseln­den, pfeifenden und saugenden Schlund. Bürsten ru­bbeln und dröhnen, bearbeiten die Fronthaube, ver­schwinden don­nernd über Dach und Rücken. Dann wohlige Stille: Seifige Lappen fahren vom Himmel und schlieren in fernöstli­cher Massagetechnik rhythmisch übers Blech. Schließlich das große Don­nerwetter: Sturz­bäche fallen vom Him­mel herab und Wasserkano­nen schießen unters Bo­denblech. Zum Schluss er­scheint Licht am Ende des Tunnels und es erhebt sich ein tosender Sturm, bläst das Wasser weg, säuselt geheimnis­voll durch die Be­lüftung.

Auch auf sein Kopftuch sollte man achten, zumindest wenn ich in der Nähe bin

Waschstraßen sind wunderbar, aber leider viel zu kurz. Es gibt im Grunde keinen schöneren Aufent­haltsort. Abgeschirmt ge­gen die feindli­che Umwelt in seinem zentralverrie­gel­ten, faradayi­schen Käfig darf der Mensch im Getose der Waschstraße das sel­tene Gefühl vollkommener Gebor­genheit ge­nie­ßen. Als mein Sohn noch im Windelalter war, entschlum­merte er be­reits während der Vor­wäsche sanft. Bis zu einem Alter von drei Jahren gilt bei den Kleinen jeder Waschanlagenbesuch als Reise zurück in den Mutterleib. Ich be­haupte, dass es auch bei Personen über drei Jahren dabei bleibt.

Zu jedem gelungenen Waschgang gehört die abschließende Behandlung mit dem Super­staubsauger. Diese wunderbaren Geräte haben eine geradezu sagenhafte Saugkraft. Ich habe in ein­drucksvollen Momenten beobach­tet, wie der Su­persauger Damen die Nylons vom Leibe riss und Herren das Toupet wegfrass. Auch auf sein Kopftuch sollte man achten, zumindest wenn ich in der Nähe bin. Ich selbst büßte letzte Woche eine Sonnenbrille, zwei Mandarinen sowie einen Bund frische Petersilie ein.

Wo wir gerade beim Träumen sind: Die wahrschein­lich längste Waschstraße der Welt steht in Mün­chen auf dem Gelände des Hauptbahnhofes. In der sil­bernen Röhre werden allerdings keine Autos ge­waschen, sondern der ICE. Über mehrere hundert Meter wird der Schnellzug gerubbelt und geföhnt. Da möchte ich mal mitgewaschen werden. Doch unverständlicherweise dürfen Passagiere diesem Großreinemachen nicht beiwohnen, sondern müs­sen vorher aussteigen. Die Bahn muss noch viel lernen.

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Leserpost

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Christoph Schulze / 21.11.2016

wirklich ein sehr schöner, kreativer und unterhaltsamer Text :)

U. L. Kramer / 21.11.2016

Danke für den Artikel, gut geschrieben, er hat mich zum Lachen gebracht. Ich bleibe auch lieber im Auto sitzen, finde es schrecklich, wenn man hilflos zusehen muß wie das Auto von den Maschinen traktiert wird. Obwohl man ja letztlich auch nichts machen kann, wenn man drin sitzt und der Scheibenwischer des Vordermannes, der in den Bürsten hängen geblieben ist, einem den frisch polierten Lack zerkratzt (eine alptraumhafte Vorstellung, die aber wohl zum Glück nicht so häufig vorkommt wie man befürchtet). Einer der Gründe, wieso ich selbst leider nicht so entspannt durch die Waschstraße rolle. Ich werde beim nächsten Besuch an Ihren Artikel denken. ;-)

Jürgen Uebber / 20.11.2016

Nicht vergessen sollte man auch den integrativen Charakter bezüglich Migranten in die deutsche Arbeitswelt. Die Königsdisziplin ist doch die Innenreinigung bei Mr. Wash & Co! Wie, “die Jungs putzen alle selbst”? Also ich nicht. Nach der Erlebniswelt Waschstraße, fahre ich zweimal im Jahr in den nächsten Bereich und auf eine Art Fließband. Während meine alte Karre da langsam vor sich hin gerollt wird, stürzen sich 5 bis 6 syrische Ingenieure gleichzeitig in die Kiste und saugen und putzen die blitzblank. Einschließlich Fenster, eine Nummer, für die ich persönlich 3 Stunden brauche und immer noch Streifen vorfinde. Währenddessen schreite ich als stolzer Besitzer nebenher wie bei einer VW Werksbesichtigung. Ok, die Syrer wirken alle irgendwie osteuropäisch aber ohne Ironie- sie haben meinen innigsten Dank und größte Hochachtung!

Joachim Nowak / 20.11.2016

Komisch…..meine Autos waren höchstens 2mal im Jahr in der Waschstrasse. Regnet genug hier. Aussaugen ging dann mindestens monatlich und da reichte die nächste Tankstelle aus. Nun bin ich seit 2009 stolzer Besitzer eines Fahrrades mit 21 Gängen ! Soviel hat nicht einmal ein Benz. Das wurde noch nie gewaschen. Fahr auch durch den Regen damit und das reicht…. Aber es stimmt vollkommen. Die absoluten Stammkunden bei den Waschcentern für die Mammuthstoßzähne vor der Hütte sind durchweg die selben Blitzbirnen, die dann Hausarbeit für “Frauenkram” halten. Zu Doof einmal Staub zu wischen, aber mit der Zahnbürste die Alufelgen bis in die letzte Fuge reinigen. Phänomenal…..! :D :D :D

Fanny Brömmer / 20.11.2016

Danke für “die einzigen westlichen Kirchen, die in Saudi - Arabien erfolgreich missionieren dürfen”! Und natürlich die selbst putzenden Jungs. Wunderbar!

Thomas Thürer / 20.11.2016

Ein wunderbarer Text! Danke! Nur mit dem Rechnen (44*11,5 ist ungleich 50) - da üben wir noch mal.

Karla Kuhn / 20.11.2016

” Die positive Auswirkung von Waschstraßen auf die Volksgesundheit kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.” Danke für den herrlichen Witz am Sonntagmorgen. Wir lachen noch immer.

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