Das Tal des Todes ist eine äußerst gefragte Gegend. Über eine Million Besucher zieht der „Death-Valley-Nationalpark" jedes Jahr an, fast die Hälfte davon kommt aus Deutschland. Der amerikanische Hitzepol liegt an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada und befindet sich fast 100 Meter unter dem Meeresspiegel. Unterhalb des Meeresspiegels ist also Leben möglich, was prinzipiell doch eine frohe Botschaft ist. Aber erzählen Sie es den Weltrettern nicht, die halten das womöglich für eine politische Aussage.
Wer über die Nevada State Route 374 von Beatty hinab ins Tal fährt, kommt auch gleich noch an der Geisterstadt Rhyolite vorbei. Aus irgendeinem Grund macht die Location mich froh. Vermutlich der Gedanke: Alles geht vorüber. Wenn die Parteizentrale von Frau Dr. Merkel oder Katrin Göring-Eckardt so aussieht, dann ist für mich die Welt wieder in Ordnung. Die Luft über dem Asphaltband der Strasse flimmert und spiegelt den blauen Himmel, als warte am Horizont ein kühlender See. Wer aus seinem klimatisierten Auto steigt, hat das Gefühl, den Steinkohleofen seiner heimischen Pizzeria zu betreten.
Am 10. Juli 1913, also deutlich vor Donald Trump, sollen im Tal 56,7 Grad gemessen worden sein. Das galt damals als Weltrekord, konnte zum Leidwesen der Tourismusmanager aber seitdem nicht mehr übertroffen werden. Libysche und iranische Wüsten sind wohl noch einige Grad wärmer, aber da ist man nicht so auf Gäste eingestellt. Am nördlichen Ausgang des Death Valley in Stovepipe Wells gibt’s hingegen einen schönen „General Store“ in dem man Reiseproviant einkaufen kann. Das Motel gegenüber besitzt einen Swimmingpool über dem ein großer Thermometer thront. Darunter lassen sich die Touristen fotografieren - im Angesicht des Todes und in der Badehose.
Erstaunlicherweise lebten hier auch vor der Erfindung der Klimaanlage schon Menschen. Eine Stammesgruppe der Timbisha Shoeshone-Indianer siedelte in der feindlichen Umgebung. Obwohl im Jahr gerade mal 40 mm Niederschlag fallen, haben sich 400 Tier- und 900 Pflanzenarten den Verhältnissen angepasst. Im 19. Jahrhundert kamen weiße Minenarbeiter, die Borax für die Seifeproduktion aus dem Boden holten. Mit großen Wagen, die mit 20 Maultieren bespannt waren, wurde die Fracht aus dem Glutofen des Tals über die umgebenden Bergpässe geschafft. Das muss wirklich die Hölle gewesen sein. Es ist immer wieder verblüffend, welche klimatischen Anpassungsleistungen nicht nur die Natur, sondern auch Menschen vollbringen können.
Im Dorfladen kauft man gefrorene Milch am Stück
Das lässt sich auch in Oimjakon besichtigen, gleichsam dem Gegenpol zu Death Valley. Da war ich noch nicht, als amtlich aprobierter Klimaleugner habe ich aber gute Chancen demnächst nach Sibirien exportiert zu werden. Das Bauerndorf in Jakutien im Nordosten Sibiriens nennt sich „kältestes Dorf der Welt“. Am Ortseingang ragt fünf Meter hoch ein Denkmal in den Himmel. „Oimjakon, Polus Choloda“, Pol der Kälte, steht in kyrillischen Buchstaben zuoberst darauf und es folgt der Hinweis „minus 71,2 Grad“. Die Weltrekordmarke stammt aus dem Jahre 1926. Die ist zwar umstritten, weil es damals im Ort noch gar keine Wetterstation gab. Dennoch: Acht Monate dauert hier der Winter und im Januar liegt die Durchschnittstemperatur trotz Klimawandels bei 50 Grad minus. Inzwischen - Death Valley lässt grüßen - bringt der Kältetourismus den Einwohnern ein wenig mehr Wohlstand.
Die Bürgermeisterin empfängt angeblich jeden Gast, der es tatsächlich nach Oimjakon schafft, persönlich zur Audienz und überreicht ihm eine Urkunde, die den Besuch im kältesten Dorf der Welt amtlich verbrieft. Im Dorfladen kauft man Milch nicht in Litern, sondern in Zentimetern. Die Verkäuferin fräst das gewünschte Stück einfach aus einem eisigen Milchblock. Kühe gibt es keine, sie würden erfrieren, die halbwilden Pferde der Einwohner aber überleben auch ohne schützenden Stall. Sie wurden vor 500 Jahren von den Mongolen hierher gebracht und dienen nicht nur als Fortbewegungs-, sondern auch als Lebensmittel. Der Meteorologe Valera Vinokurov, der im Dorf geboren wurde, ist viel in der Welt herumgekommen, möchte aber nirgendwo anders leben: „Wer weggeht, kehrt früher oder später zurück.“
Das Klima prägt uns Menschen bis tief in die Psyche hinein, bestimmt mit über Lebensfreude, Lebensstil und Lebensart. Und das erstaunliche dabei: Was den einen höchst bedrohlich erscheint, ist für die anderen schlichtweg der Normalfall. Die Shoeshone-Indianer fühlen sich ihrer Heimat genauso verbunden wie die Jakuten in Sibirien. Zwischen beiden Regionen kann das Temperaturgefälle schon mal über 100 Grad betragen - und doch geht das Leben seinen jeweils gewohnten Gang. Außer natürlich in Berlin, unsere Klimakanzlerin werden weder Ochs noch Esel daran hindern, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Endlich eine Grenze, die Frau Merkel schützen kann. Die Menschen in Death Valley und Oimjakon sind beeindruckt.
Aristoteles schrieb dem Klima die Überlegenheit der Griechen über die Barbaren zu
Bevor das „Globalklima“ die Schlagzeilen eroberte, verstanden die Menschen unter dem Begriff „Klima“ jene unterschiedlichen meteorlogischen Bedingungen, die das Leben einer Region seit alters her geprägt haben. Dem Bodensee billigte man ein freundlicheres Klima als Hamburg zu. Das Wort Klima stammt aus dem Griechischen und heißt übersetzt „Neigung, geographische Lage“. In niederen Breiten ist der Neigungswinkel der Sonne steil, in höheren dagegen flach. Dieser unterschiedliche Einfallswinkel ist ein Hauptgrund dafür, dass es auf der Erde verschiedene Klimazonen gibt. Aristoteles schrieb dem Klima die Überlegenheit der Griechen über die Barbaren zu. Das war allerdings vor dem Eintritt der Griechen in die EU. Auch heute noch glauben viele, das jeweils eigene Klima sei dem fremder Landstriche überlegen. Allerdings halten bestimmte Aussagen, etwa die, dass ein milderes Klima tolerantere und fleißigere Menschen hervorbringe, einer Überprüfung nicht stand. Der Soziologe Nico Stehr sieht darin „Jahrhunderte alte Behauptungen und Vorurteile“.
Die Wiege der Menschheit liegt in den Tropen; wir sind eine Wärme liebende Spezies. Mobilität und moderne Kommunikationsmittel erlauben es immer mehr Menschen, sich die klimatischen Bedingungen auszusuchen, unter denen sie leben. Migrationsströme von Klimaflüchtlingen sind längst im großen Stil im Gange - allerdings freiwillig. So haben sich viele Millionen Amerikaner in den vergangenen Jahrzehnten in den warmen südlichen Staaten angesiedelt, Nord- und Mitteleuropäer erwarben Häuser in Spanien, der Provence oder der Toskana. Den noch länger hier Lebenden bleibt nur die Hoffnung auf die Klimaerwärmung, aber auch diesen Gedanken sollte man für sich behalten, er wird mit mindestens 15 Jahren veganer Ernährung bestraft.
In der modernen naturwissenschaftlichen Debatte wird Klima ganz nüchtern definiert. Klima ist die Statistik des Wetters. Der Begriff bezieht sich auf einen längeren zeitlichen Mittelwert von Einflussgrößen wie Temperatur oder Niederschlag. Während jedermann das tägliche Wetter spüren und empfinden kann, handelt es sich beim Begriff Klima um ein Hilfsmittel, das der Wissenschaft die Beschreibung von langfristigen Veränderungen ermöglichen soll.
Das Globalklima wurde trotzdem zum Globalthema, wobei Medien und Politik vor allem eine plakative Kenngröße im Auge haben: Die Globaltemperatur. Das ist insofern erstaunlich, als sie ein statistisches Artefakt ist und nirgendwo tatsächlich herrscht. Genauso wenig, wie jemandem das globale Durchschnitts-Einkommen ausgezahlt wird. Um den Globus herum stehen einige tausend Messstellen an Land und auf Schiffen zur Verfügung. Jede Station errechnet aus mehreren Messungen über 24 Stunden eine durchschnittliche Tagestemperatur, aus der wird dann über 365 Tage die Jahresmitteltemperatur generiert. Die Werte von Nord- und Südhalbkugel, auf dem Land und auf dem Meer, werden zusammengenommen und wiederum gemittelt. Heraus kommt die Globaltemperatur.
Die globale Erwärmung ist erstaunlich lokal
Die regionale und zeitliche Aufschlüsselung der weltweiten Messungen birgt dann weitere Überraschungen. So ist die globale Erwärmung erstaunlich lokal. Schon die getrennte Betrachtung von Nord- und Südhalbkugel offenbart das. Der bei weitem größte Teil der Erwärmung entfällt auf die nördliche Hemisphäre und dort auf die kältesten Gebiete Nordamerikas, Sibiriens und des arktischen Meeres, wo die Temperaturen in der Polarnacht 40 Grad und mehr unter dem Gefrierpunkt liegen (es ist dann nicht mehr ganz so kalt, Oimjakon lässt grüßen). Das Phänomen lässt sich mit einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Man stelle sich ein Haus vor, bei dem es im Keller minus 20 Grad kalt ist, und unter dem Dachboden plus 20 Grad warm. Als Durchschnittstemperatur ergäbe sich null Grad. Wenn es nun im Keller nur noch 10 Grad minus hat, dann ergibt sich daraus eine durchschnittliche Erwärmung des Hauses um fünf Grad. Was nichts daran ändert, dass im Keller immer noch Dauerfrost herrscht. Der Eisbär im Souterrain muss also nicht ausziehen.
Das Beispiel zeigt auch, dass die Globaltemperatur zwar eine hohe symbolische Bedeutung hat, ihr Aussagewert aber begrenzt ist. Das Klima könnte sich nämlich komplett auf den Kopf stellen, ohne dass sich die Durchschnittstemperatur im Geringsten ändert. Dafür ein extremes Beispiel: Wenn Death Valley und Oimjakon die Temperaturen tauschen, dann bleibt die Globaltemperatur die gleiche, und doch würden wir wohl auf einem anderen Planeten leben. Eine Reihe Wissenschaftler kritisieren deshalb die starke Fixierung auf die globale Lufttemperatur, weil ein solcher Durchschnittswert mehr verschleiere als verrate. „Das ist ungefähr so sinnvoll wie aus dem Telefonbuch einer Stadt die durchschnittliche Telefonnummer zu bilden“, meint Bjarne Andresen, Thermodynamik-Experte und Professor am Niels Bohr-Institut in Kopenhagen.
Es sei praxisfremd und bringe wenig Erkenntnisgewinn, so argumentieren sie, die verschiedenen Klimaten auf der Welt in einen Topf zu werfen und ein fiktives Globalklima daraus zu machen. Anstatt von einem artifiziellen Durchschnittsklima auf regionale Veränderungen rückzuschließen, solle man genau umgekehrt vorgehen. Eine intensivere Erforschung der je nach Region unterschiedlichen Klimaten (und der jeweiligen Einflüsse darauf) sei für die Menschen viel wichtiger - und erlaube darüber hinaus auch eine zuverlässigere Einschätzung des globalen Wandels. Verschiedene Klimate wie in Death Valley oder Oimjakon bestimmen nach ihrer Ansicht das Globalklima - und nicht umgekehrt. Die Grenzen zwischen Philosophie und Wissenschaft sind in der scheinbar so nüchternen Klimaforschung durchaus fließend. Außer im sogenannten politischen Berlin, da haben sie keine Zeit zum Nachdenklen, sie müssen ja mal kurz die Welt retten. Auf der Überholspur und hoffentlich auf der richtigen Seite der Autobahn.