Dirk Maxeiner / 15.01.2017 / 06:15 / Foto: Tom Koerner / 6 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Hässliche Entlein

Wie kommt das Hässliche in die Welt? Zumindest ein Teil der Antwort gibt ein geflügeltes Wort: „Ein Kamel ist ein Rennpferd, dass von einem Komitee entworfen wurde.“ Der Konsens von Bürokraten ist meist ein todsicheres Rezept für geschmackliche Desaster. Im Hinblick auf das Automobil haben die Engländer in den 70er-Jahren einen eindrucksvollen Beweis für die These geliefert. Die „British Leyland Motor Corporation“ (BLMC) wurde wegen akuter Pleitegefahr staatlicher Hoheit unterstellt. Der britische Bürger bezahlte fortan mit seinen Steuern Autos, die er freiwillig nicht mehr kaufen wollte. Fahrzeuge wie „Morris Marina“, „Austin Princess“, „Austin Ambassador“, „Mini Metro“ (der damalige Mini-Nachfolger) werden als abschreckende Beispiele in die Automobilgeschichte eingehen: So etwas kommt raus, wenn Beamte über Auto-Design entscheiden.

Die Funktionäre schafften es, selbst die britische Sportwagen-Ikonen geschmacklich vor die Wand zu fahren. Der „Triumph TR 7“, als Nachfolger der klassischen Triumph-Roadster gedacht, ging als  „Kohlenkasten mit Baskenmütze“ in die Geschichte ein. Die Verkaufskurven zeigten fortan die Flugbahn eines Selbstmörders, der sich vom Dach stürzt. Die erschütterte Kundschaft sollte mit der vaterländischen Aufforderung „Buy british“ (kauf britisch) zurückgewonnen werden. Der Slogan kann den Verantwortlichen jedoch nur beim Besuch des örtlichen Sado-Maso-Clubs eingefallen sein.

Im Ostblock waren die für den Automobilbau verantwortlichen Kader ähnlich sachkundig. In der DDR wurden zwei Fahrzeuge gebaut, deren wesentliche Technik noch auf Zweitakt-Vorkriegskonstruktionen von DKW zurückging. Versuche der ostdeutschen Techniker, moderne Nachfolger herauszubringen, wurden vom Politbüro und dem ZK unterbunden. So fuhr man bis zum bitteren Ende mit einem Trabant umher, dessen Crashverhalten dem eines Alibert-Toilettenschrankes gleichkam. Der Wartburg wurde mit „Armaturenverkleidung mit Holzmaserung“ und „Malimo Cord Bezugstoff“ auf Weltniveau gebracht.

„Perfekt für die Idioten“

Legendär sind die Ansichten des rumänische Staatsführers Nicolae Ceausescu hinsichtlich der für sein Land geeigneten Automobile. Zunächst kaufte Rumänien von Renault die Lizenz für den antiquierten Renault 12 . Ceausescu entschied sich für eine Renault-Lizenz, weil  auch Renault ein Staatsunternehmen war. „Gut genug für die Idioten“, habe Ceausescu befunden, der seinem Volk keine besondere geschmackliche Kompetenz zubilligte. Der erste "Dacia"-Prototyp war dem Chef aber trotzdem zu komfortabel: „Zu luxuriös für die Idioten.“ Daraufhin wurde von Bürokraten und Autogewerkschaft „unnötiger Luxus“ eliminiert. Das spartanische Resultat hatte nicht einmal mehr einen zweiten Außenspiegel. Ceausescu befand: „Perfekt für die Idioten.“

Nun muss Mangel und Selbstbeschränkung nicht zwangsläufig zu schlechtem Design führen. Eher im Gegenteil. Volkswagen-Käfer, Renault 4 und Citroen 2 CV gelten heute als Design-Ikonen. Das liegt an ihrer strikten Funktionalität. Das rauhe Ingenieurs-Design brauchte allerdings eine gewisse Zeit, um Beifall zu finden. Der hochmögende britische Industrielle Lord William Rootes, der nach dem  zweiten Weltkrieg das VW-Werk inspizierte, beschied dem Käfer: „Das Fahrzeug entspricht in keiner Weise den elementarsten technischen Erfordernissen eines Automobils. Es ist zu hässlich und zu laut.“ Heute steht ein Käfer-Exemplar im Museum of Modern Art. Citroens kleinster, der 2CV, wurde beim Erscheinen ebenfalls mit Hohn und Spott bedacht, der Name „hässliches Entlein“ ging ja sogar in den Sprachgebrauch ein. Für den Durchbruch an der Geschmacksfront sorgte die 68er-Studenten-Generation, die den 2 CV als Lifestyle-Mobil für sich entdeckte.

Die Amerikaner hatten hingegen nie ein gutes Händchen für Kleinwagen, weil sie stets versuchten, Straßenkreuzer zu schrumpfen. Der Nash-Metropolitan aus den 50er-Jahren geriet folgerichtig zu einer Kreuzung aus Lincoln Continental und Autoscooter. Aber auch bei den ganz Großen gab es so manchen Flop. Als der Klassiker unter den Styling-Katastrophen gilt der Ford-Edsel aus dem Jahre 1958. Sein Äußeres wurde aufgrund umfangreicher Käuferbefragungen festgelegt (vergleiche Komitee oben), was unter anderem zu einer Kühlermaske führte, die den Betrachter an einen Toilettensitz erinnert (wobei es sich noch um die harmloseste der möglichen Assoziationen handelt). Ähnliches gelang später nur noch Stutz mit dem Blackhawk III.

Kreuzung aus russischem Panzerwagen und Discokugel

Doch auch Europas große Marken sind kein Hort absoluter Geschmackssicherheit. Selbst Mercedes-Benz besitzt ein Gruselkabinett, man denke nur an die S-Klasse W 140, die inzwischen als „Kohl-Klasse“ gehandelt wird. Als die ersten Fotos des panzerartigen Fahrzeugs auftauchten, glaubten die meisten Betrachter, es handele sich um noch stark getarnte Prototypen. Das war ein Irrtum, der große Benz sah tatsächlich so aus.

Nicht einmal in Italien ist man frei von Tadel. In bleibender Erinnerung wird auch der ellenlange Lancia-Thesis bleiben, dessen Gestalt Ferdinand Piech einst beim ersten Augenschein so kommentierte: „Das ist ein weiterer Nagel am Sarg dieser Marke.“ Ein mahnendes Beispiel liefert der Fiat-Multipla, der als Kreuzung eines Frosches mit einer Postkutsche aus dem Hause Thurn und Taxis vor das Publikum trat. Der einzige mir bekannte Mensch, der aufrichtig von diesem Fahrzeug schwärmte, ist Henryk M.Broder. Er hat sich dann aber für die zweitschlimmste Verirrung der Fahrzeuggeschichte entschieden, den Daihatsu Materia. Der sieht aus wie eine Kreuzung aus russischem Panzerwagen und Discokugel. Das hat den Vorteil, dass er zu den am seltensten geklauten Autos aller Zeiten gehört.

Wochenlang auf einer Zuffenhausener Streckbank gefoltert

Zum Porsche Panamera sind keine solchen Zitate des Chefs bekannt. Doch auch der große Porsche leidet sichtlich an seinen Proportionen, die an einen Porsche 911 erinnern, der wochenlang auf einer Zuffenhausener Streckbank gefoltert wurde. Schönsein und Nichtschönsein hat eben nicht nur etwas mit den Linien eines Autos zu tun, sondern auch mit den Volumina und Proportionen. Und wenn da etwas nicht stimmt, dann sieht der Mensch das gnadenlos. Wenn ein Pygmäe Schuhgröße 48 hat, dann wirkt er komisch, egal wie fein seine Gesichtszüge sind.

Dass oft nur Nuancen über Schönsein oder Nichtschönsein entscheiden, illustriert eindrücklich die Volkswagen-Golf-Baureihe. Der Urgolf (Golf 1), von Giugiaro entworfen, gilt als großer automobilhistorischer Wurf. Auch der Golf IV, dem Designer Helmut Warkuss zugeschrieben, erntet viel Gestalter-Lorbeer. Ganz anders der Golf II, der aussieht wie ein durch Schilddrüsen Dysfunktion aufgedunsener Golf I. Verständlich, dass sich kein Designer so recht dazu bekennen will. Ein ehemaliger Volkswagen-Designer, der aus verständlichen Gründen anonym bleiben will,  kommentierte es so: „Den will keiner gewesen sein.“

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Hans-Peter Hammer / 16.01.2017

Bezüglich der Amerikaner hat Herr Maxeiner den Chrysler PT Cruiser vergessen! Pelikanschnauze im Kutschendesign mit Kühlschranktürheck! Dagegen ist sogar der Multipla zwar nicht schön, aber wenigstens interessant! (Die Geschmäcker sind verschieden!)

Dr. Robin Schürmann / 15.01.2017

Eine sehr schöne Übersicht, Herr Maxeiner, die natürlich unvollständig ist, sonst würde sie jeden vertretbaren Rahmen sprengen. Jedenfalls haben Sie das Kamel-Prinzip wunderbar herausgearbeitet. Wenn ich heutzutage im Straßenverkehr Monstrositäten wie die Rennlaster Audi Q7, BMW X7 oder den wohl schlimmstdenkbaren Design-Unfall Range Rover Evoque mit seinem schießschartenartigen Heckfenster sehe, dann staune ich jedes Mal aufs Neue und bewundere die Personen, die sich offenbar freiwillig mit solchen Hässlichkeiten sehen lassen, denn sie beweisen ein enormes Selbstbewusstsein. Ergo: Man kann noch so scheußliche Autos bauen; es finden sich immer Käufer, die der Welt demonstrieren müssen, dass sie über mehr Geld als Geschmack verfügen.

Archi W. Bechlenberg / 15.01.2017

Der Fiat Multipla ist eines der ganz wenigen Autos, die selbst durch die Milde einer späteren nostalgischen Betrachtung niemals rehabilitiert werden können. Selbst schlimme Entgleisungen wie die dem British Elend zu verdankenden Karren haben inzwischen wieder ihre Anhänger, die trotzig zu Old- und Youngtimertreffen fahren und denen man durchaus abnehmen kann, dass sie der von allen guten Designern verlassenen Ästhetik einen gewissen Charme des Bizarren abgewinnen können. Der Multipla hingegen… als ich ihn zum ersten Mal auf der Straße sah, machte er mir Angst, was sich bis heute nicht gelegt hat. Diese kleinen, widerwärtig glotzenden Augen erinnern mich mit ihrem heimtückischen Blick an eine Muräne; einen Fisch also, dem man jede noch so perfide Schurkigkeit zutraut, und das zu Recht. Um das Bild abzurunden ergänzen die Luftschlitze an der Front das Bild der zum Zubiss bereiten Muräne. Das die gesamte Breite der Frontscheibe unterfütternde, mit zwei weiteren Muränenaugen versehene Blechgeschwür rundet den Eindruck ab, ein Pate des “Designers” habe FIAT einst ein Angebot gemacht , das die Firma nicht ablehnen konnte.

Georg Siegert / 15.01.2017

Eine ganze Fahrzeugkategorie, die nach meinem Dafürhalten nicht einmal von japanischen Designkatastrophen der 70er-80er Jahren (z.B. Toyota Celica) übertroffen wird, ist das sogenannte SUV-Coupé (BMW X6 usw.). Wirkt auf mich wie die Kombination des Körpers eines 2 m großen Bodybuilders mit dem Kopf eines Kleinkindes. Vollkommen disharmonische Proportionen.

B.Klebelsberg / 15.01.2017

Eine kleine Ergänzung noch den Mercedes Panzer betreffend ist vielleicht anzubringen: dieser ist inzwischen nämlich zum Liebhaberobjekt geworden. Fast unmöglich zu bekommen, weil alle Gebrauchtfahrzeuge sofort nach Russland abwanderten wo sie mit schwarzen Scheiben den Bisinessmen zur Verfügung standen. Die PS starken Versionen erhielten das Label ” Brabus ”  . Aus Russland sind sie inzwischen verschwunden, in den zentralasiatischen Staaten sind sie noch beliebt. Eine relativ junge Designsünde von Mercedes ist die wenig bekannte und schnell eingestellte R Klasse. Eine umwerfend scheußliche Riesenkreatur, so etwas wie ein Großraumfahrzeug für eine Senioren WG. Allerdings auch hier: das Ding avanciert gerade zum Liebhaberobjekt, denn es hat neben dem unkonventionellen Design außerhalb des Mainstreams auch noch viel Platz und gute Technik bei niedrigem Preis zu bieten.

Wolfgang Keßler / 15.01.2017

Einer der heißesten Anwärter für das gestalterische Gruselkabinett ist momentan der Nissan Juke. Der sollte umgetauft werden in “Junk”...

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