Dirk Maxeiner / 09.07.2017 / 06:03 / Foto: dbking / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Geheim-Therapie für Jung-Raser

Illegale Autorennen scheinen sich hierzulande als unverzichtbare Mutprobe für schlecht ausgelastete Jungmänner zu etablieren. Ob die eingeleiteten Strafverschärfungen das Problem wirklich lösen, sei hier einmal dahin gestellt. Möglicherweise wüsste ich einen Ausweg, der auffällige Hasardeure auf den rechten Weg zurückführt, beispielsweise als Teil einer Bewährungsstrafe. Es ist eine sportliche Herausforderung, bei der die Beteiligten nur sich selbst, aber nicht andere in Lebensgefahr bringen. Man könnte die Sache aber auch als Teil der Führerscheinprüfung verpflichtend einführen, dies würde präventiv zu einer gewissen Demut beitragen. Die Methode stammt aus dem ländlichen Amerika und heißt „Bull Riding“. Es geht dabei schlicht darum, auf einem Stier Platz zu nehmen, der seinen Reiter deutlich schneller in eine Umlaufbahn befördert, als ein AMG-Mercedes mit 400 PS und Turbolader.

Also Jungs, wenn ihr euch schon mal kundig machen wollt, dann gebt das Stichwort „Bull Riding“ in eine Internet-Suchmaschine ein und ihr landet ohne große Umschweife im Krankenhaus. Eine ganze Reihe Beiträge kreist um das Thema „Central Nervous System Injuries Associated with Bull Riding“. Das Gesundheitsministerium von Oklahoma schildert beispielsweise in äußerst anschaulicher Weise Bull Riding-Unfälle mit wenig harmonischem Ausgang. Der Krankenhausaufenthalt der „Fallbeispiele“ lag zwischen 5 und 41 Tagen. Neben dem Kopf gilt auch das Gemächt als gefährdet, durchschnittlich ein bis zwei Betroffenen pro Jahr enden im Cowboyhimmel.

Beinahe entrüstet notieren die Mediziner, die Akteure legten offenbar mehr Wert auf „traditionelle Westernkleidung“ als auf „vorbeugende Unfallverhütungsmaßnahmen“. So werde der Cowboyhut meist präventiver Schutzkleidung etwa in Form von „Helmen“ vorgezogen. Außerdem schildert die Studie, dass es den Bullen nachdrücklich am Sinn für fair play mangele, weil diese nach erfolgreichem Abwurf des Reiters dazu neigen, denselben auf die Hörner zu nehmen oder nachzutreten. Unangenehm ist auch ein Aufprall des Reiters auf die Bande. Der Text erinnert an einen Bericht über den versetzten Offset-Crash aus 50 km/h nach "auto, motor, sport"-Norm.

Doch ein Bull Rider, der in der Lage ist, die staubige Arena auf den eigenen Füssen zu verlassen, steigt bei der nächsten Gelegenheit wieder auf. Das ist große Cowboy-Ehrensache. Kenner der Materie merken an, dass nicht nur die Bullen, sondern auch ihre Reiter stur wie Sherman-Panzer sind. „Manchmal flehe ich die zusammengeflickten Jungs geradezu an, nicht zu starten“, berichten Veranstalter und  zucken er mit den Schultern: „Die  Cowboy-Kultur besteht nicht zuletzt darin, gute Ratschläge zu ignorieren.“

An kaum einer Sportart scheiden sich so die Geister. Es treffen Welten aufeinander: Hier die rundum versicherte Nanny-Gesellschaft, die schon beim Genuss eines Rindersteaks um ihre Gesundheit fürchtet. Und da junge Männer mit gehobenem Hormonspiegel, die partout auf dem Pendant einer schlecht gelaunten Rangierlok reiten wollen. Oder wie einer von ihnen sagt: „That’s 8 seconds tied to 2000 pounds of fight’n fury.“ Das Schöne an diesen Jungs ist allerdings: Sie wollen auf ihrem Höllenritt nicht auch noch andere mit ins Grab nehmen.

Ein Herr herein, der sich nur ausnahmsweise auf zwei Beinen bewegt

Wer „The most dangerous sport in the world“ verstehen will, muss sich zunächst auf die Suche nach dem Geist des amerikanischen Cowboys begeben. Am zuverlässigsten wird der Reisende in Texas fündig, wo man beispielsweise einmal in den ehemaligen „Stockyards“ von Ford Worth vorbeischauen kann. Früher war das ein Umschlagplatz und Verladebahnhof für bis zu einer halben Million Rinder pro Jahr. Es war eine Stadt, „in der die Türen nach beiden Seiten auffliegen“ und für die Cowboys das erste Bad und der erste Drink nach dem großen Trail.

Davon übriggeblieben ist eine Western-Kulisse und das Bekleidungsgeschäft „Finchers White Front“. Während des alljährlichen Rodeos lässt sich in dem ehrwürdigen Laden mitunter noch ein Exemplar der selten gewordenen Spezies „American Cowboy“ entdecken.  „Ab und zu geht die Tür auf“, weiß der Manager zu berichten, „und es kommt ein Herr herein, der sich nur ausnahmsweise auf zwei Beinen bewegt“. Meist händigt er wortlos seinen verbeulten und verdreckten Hut aus, der  dann mit einem Dampfgerät gereinigt und wieder in Form gebracht wird. „Einen Cowboy erkennst Du am Hut, an den Stiefeln und an den Händen“, verrät der Mann von „Finchers“.

Hut und Stiefel sind von haltbarer Qualität, aber gut abgehangen. Das untrüglichste Erkennungs-Zeichen aber sind die Hände: Verwitterte, verhornte Schraubstöcke, im Umgang mit Zügel und Lasso erstarrt. Das Verhalten eines Cowboys ist voll auf das Überleben in einer feindlichen Umwelt geeicht. Dazu gehört das Vermeiden überflüssiger Anstrengungen, etwa den Mund aufzumachen. Der Fremde sollte es nicht übel nehmen und keine dummen Fragen stellen. Als besonders dumm gilt übrigens die Frage, was denn so faszinierend daran sei, sich während eines Rodeos von einem schlecht gelaunten Rindvieh auf den halben Weg zum Mond befördern zu lassen.

Die Geburtsstunde des Bull Riding schlug angeblich 1864, als die rivalisierende Belegschaft zweier Ranches sich darauf einigten, ihren Zwist in einem solchen Wettkampf auszutragen. Das Spektakel sprach sich alsbald als Attraktion herum. Das gesellschaftliche Leben in „Great Plains“ des mittleren Westens hat sich seitdem nicht allzu sehr verändert. In Texas werden über 10 Millionen Rinder gehalten, viele grasen nach alter Väter Sitte auf freiem Ranchland – nur die Cowboys sind weniger geworden. Doch trotz Hubschrauber-Einsatzes bedarf es ab und zu noch eines Pferdes und somit eines Miet-Cowboys obendrauf, um die Tiere im unwegsamen Gelände aufzutreiben. Im Dunstkreis von Ansiedlungen mit Namen wie Amarillo, Lubbock, Pampa oder Goodnight gibt es diese Spezies noch, heute sind es jedoch meist freischaffende Kleinunternehmer.

Du kannst jeden kaufen, nur keine störrische Kuh

„Du kannst in diesem Land jeden kaufen, nur keine störrische Kuh,“ sagt etwa Shi, ein Angehöriger des Berufsstandes . Zusammen mit seiner Freundin, 13 Arbeitspferden, einem Pitbull und zwei Pickups zieht er im texanischen „Panhandle“ von Ranch zu Ranch. Die Rancher nennen ihn einen „Tough Bastard“, das ist das größte Kompliment, das ein Texaner zu vergeben hat. Neumodisches Zeug mag man in dieser Branche nicht besonders. „Ein neuer Hut sieht immer gut aus, aber der alte kennt die Größe von Deinem Kopf“, sagt Shi.  Cowboys sind konservativ und hätten vermutlich keine Probleme damit, Dschingis Kahn zum amerikanischen Präsidenten zu wählen, ersatzweise Donald Trump. Andererseits ist ihnen Politik vollkommen wurscht, solange ihnen niemand Vorschriften macht. Das mögen sie überhaupt nicht: „Don’t mess with a Texan“.

Dieser Hang zu überschaubaren Verhältnissen kennzeichnet auch die Spielregeln des Bull Riding. Sie sind so einfach zu begreifen wie die Duellszene in dem Film-Klassiker „High Noon“. Der Reiter darf sich nur mit einer Hand an einem um die Brust des Tieres befestigten Riemen festhalten. Die andere Hand darf den Stier auf keinen Fall berühren, das würde Disqualifikation bedeuten. Ziel der Veranstaltung ist es, möglichst lange oben auf dem Bullen zu bleiben. Acht Sekunden gelten dabei als Maximal-Vorstellung, dem ewigen Leben vergleichbar. Danach ertönt ein quäkender Summton.

Wer lange genug oben bleibt, bekommt Haltungsnoten. Die Maximalpunktzahl liegt bei 100. Der Reiter kann nur die Hälfte davon, nämlich 50 Punkte erreichen, etwa indem er sich besonders elegant und aufrecht hält oder dem Bullen zusätzlich die Sporen gibt. Die anderen 50 Punkte muss der Bulle durch besonders wildes und gemeines Verhalten beitragen. Gesamtergebnisse um die 50 Punkte sind dem Sportflugzeug-Führerschein vergleichbar, 70 Punkte entsprechen der Kampfjet-Lizenz mit Landeerlaubnis auf einem Flugzeugträger. Das bisherige „All time high“ von 96,5 Punkten entspricht dem nächtlichen Tiefflug mit einem Apache-Kampfhubschrauber durch die Innenstadt von Kabul.

Die Bullen sind von durchaus unterschiedlichem Charakter und auch ihre Tageslaune ist praktisch nicht vorhersehbar. „Arm Jerker“ sind jene Jungs, die in einer Art buckeln, dass es dem Reiter beim Festhalten schier den Arm abreißt. „Chute Fighter“ habe hingegen die Angewohnheit sich schon in dem schmalen Aufsitz-Schacht (Chute) als Knochenbrecher zu profilieren. Ein „Crow Hopper“ wirft nicht das Hinterteil in die Höhe, sondern steigt mit allen vieren auf. Ein „Double Kicker“ wirft das Hinterteil gleich zweimal in die Höhe - ohne zwischendurch abzusetzen. Ein „Head Hunter“ ist ein Bulle, der pausenlos nach einem zweibeinigen Ziel Ausschau hält. Ein „Hooker“ ist besonders virtuous darin, dieses Ziel kunstvoll auf die Hörner zu nehmen. Ein "Union Bull" („Gewerkschafts-Bulle“) gehört hingegen zu der eher angenehmen Sorte: Sofort nach dem Ertönen des 8-Sekunden-Zeichens stellt er jegliche Buckel-Arbeit ein. „Du weißt nie, was Du kriegst“, sagt der eingangs erwähnte Professional Mike Lee, „nicht immer sind die schwersten Stiere die gefährlichsten, mitunter sind die kleineren Kaliber die übelsten Burschen“.

Die Gefahr vom Güterzug überrollt zu werden

Lee ist 65 Kilo schwer und 1.75 Meter groß, seine Statur und seine Bewegungen verraten einen perfekt durchtrainierten Athleten. Eine gute Körper-Balance und Bewegungs-Koordination sind Grundvoraussetzungen für ein längerfristiges Überleben in diesem Job, genau wie blitzschnelle Reflexe. Ihre mentale Vorbereitung nennen die Bullrider „Cowboy up“. Nach einigen Sekunden der Konzentration – oder der Fürbitte bei höheren Instanzen – rutscht der Reiter dann von oben auf den Rücken des Bullen, der im „Chute“ eingepfercht ist. Die Hand des Bull Riders ist mit einem dicken Handschuh geschützt, außerdem sind inzwischen zumindest Kevlar-Westen üblich, die den Oberkörper vor Verletzungen bewahren sollen. Ein Nicken mit dem Hut genügt und das eiserne Gatter springt auf. Für den Stier ist dies wiederum das Zeichen, den blinden Passagier auf seinem Rücken möglichst schnell loszuwerden, was ihm meist auch rasch gelingt. Profis versuchen, sich möglichst weit seitlich vom Bullen wegzustoßen und dann rasch das Weite zu suchen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Bull Rider „hooked“ (auf die Hörner genommen) oder „freight trained“ (vom Güterzug überrollt) wird. Ist dies der Fall, wird die hilflose Person in der Arena als „Rag Doll“ bezeichnet. „Clowns“ versuchen dann, den wütenden Stier abzulenken und den verletzten Cowboy in Sicherheit zu bringen.

Alleine in USA gibt es mittlerweile Tausende von Bull Riding-Wettbewerben. Je weniger echte Cowboys es gibt, desto populärer wird ihr Hardcore-Sport. Wobei man wohl zwei Arten von Veranstaltungen trennen muss. Da sind einerseits die Edel-Rodeos, auf denen sich die Profis goldene Nasen verdienen. Und da sind die vielen kleinen Holzklasse-Rodeos, auf denen sich Cowboys, „Ranchhands“ und heranwachsende Jungmänner einer Mutprobe unterziehen. Jeder Teilnehmer zahlt fürs Mitmachen sagen wir 75 Dollar und der Sieger bekommt dann 100 Dollar. Das beherrschen der Grundrechenarten ist somit eher hinderlich. Also auf nach Texas, liebe Bei-Rot-über-die-Ampelraser .

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