Dirk Maxeiner / 15.05.2016 / 06:07 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Ein Denkmal für den unbekannten Schrauber

Hersteller moderner Automobile bemühen in ihrer Werbesprache ständig irgendwelche „Emotionen“. So ein Neuwagen soll uns unterbewusste Glücksmomente bescheren, genau wie der damit verbundene Klimbim, etwa durchgestylte Verkaufshallen oder Werkstätten, deren antiseptische Ausstrahlung jeder Unfall-Chirurgie zur Ehre gereichen würde. Sie nennen das Erlebniswert beim Autokauf. Ich persönlich werde davon eher weniger angesprochen, um es mal freundlich auszudrücken. Schließlich muss der Kunde ja den ganzen Schnickschnack bezahlen. Emotionen gehen für mich anders.

Etwa in jenem Dorf, in dem ich einen Stellplatz für meinen Oldtimer gefunden habe. Er gehört zu einem alten Pferde- und Bauernhof. Dahinter verstecken sich zwei alte Scheunen. Und dort versteckt sich Paul - ich nenne ihn aus Datenschutzgründen mal so. Paul ist Werkstattbetreiber und sorgt dafür, dass der Betrieb des Fahrzeug-Altbestandes der Region weiterhin gewährleistet ist. Draussen stehen sich ein paar alte Gebrauchtwagen die Reifen platt und dazwischen picken die Hühner. Sowas nenne ich artgerechte Tierhaltung. Ich weiß nicht, ob die Eier später nach Castrol 10 W50 schmecken, aber die Hühner sind auf jeden Fall glücklich.

Paul tauscht nicht alles aus, sondern repariert noch. Er ist ein Meister darin perforierte Auspuffe zu schweißen und bringt so manche ansonsten dem Tode geweihte Kiste noch einmal über den TÜV. Und er weiß, wo er gebrauchte Ersatzteile herbekommt.  Seine Leibesfülle weist ihn als barocken Genussmenschen aus. Neulich haben sie einen männlichen Pin Up-Kalender der Region Oberschwaben veröffentlicht und da war Paul drin - oben ohne und in Latzhose. Seitdem ist er eine lokale Attraktion.

Und wenn er eine Rechnung oder eine Quittung schreibt, dann findet sich oft ein geschwärzter Fingerabdruck am Rande. Schließlich macht der Chef den Ölwechsel hier noch selbst. Das Ambiente erinnert mit Werbegeschenken und alten Kalendern an viele lange Berufsjahre. Es soll Leute geben, die fahren ihr altes Auto nur deshalb weiter, weil sie mit einem neuen nicht mehr zu Paul gehen könnten. Moderne Marketing-Fuzzies nennen das „Customer-Relations-Managment“.  Paul hat davon noch nie etwas gehört, aber er weiß offenbar genau, wie es funktioniert.

Mein zweiter Lieblingsschrauber heißt Hans und versteckt sich in einem Hinterhof in der Stadt. Wer zu ihm will, muss ein mächtiges Holzschiebetor zur Seite drücken, dann wandert er durch ein dunkles Labyrinth von Regalen mit Gebrauchtteilen. Schließlich stellt sich das hauseigene Wachpersonal in Form eines Bullterrier-Mischlings in den Weg. Wer weiter gehen will, hat zwei Möglichkeiten. Entweder Hans auf dem Handy anrufen, dabei aber bitte keine ruckartigen Bewegungen machen. Oder das Tierchen mit Namen ansprechen und anschließend an der richtigen Stelle kraulen (hinter den Ohren). Das ist das Sesam-Öffne-Dich. Schließlich gelangt man in ein hölzernes Kabuff, das mit Reparaturanleitungen und Ersatzteilkatalogen aus vielen Jahrzehnten vollgestopft ist. Außerdem steht das mit einem künstlichen Leopardenfell gepolsterte Körbchen der Kampfmaschine im Eck. Und mittendrin thront Hans.

Das Bedauerliche an Paul und Hans und wie sie alle heißen: Wir können diese Oldtimer nicht für die Nachwelt erhalten. Sie werden aussterben und mit ihnen eine Kultur des Reparierens. Aber vielleicht stiftet ja jemand ein Denkmal für den unbekannten Schrauber.

Und hier noch ein Fernsehhinweis: "Tankstellen des Glücks" mit Friedrich Lichtenstein. Morgen am Pfingsmontag 16.5.2016 werden die 10 Folgen der TV-Serie  im Rahmen des Thementags „TANKSTELLEN-TRÄUME“ bei ARTE ausgestrahlt. Trailer hier.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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