Dirk Maxeiner / 19.03.2017 / 06:20 / Foto: Tim Maxeiner / 2 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Die wilden Siebziger

Es war im Oktober des Jahres 1973. Julius Weitmann bekam von der Zeitschrift „auto motor und sport“ den Auftrag, die Stadt Wolfsburg, die gerade ihren 130 000 Einwohner feierte, fotografisch zu portraitieren. Weitmann, damals 65 Jahre alt, gilt bis heute als einer der besten Auto- und Motorsport-Fotografen überhaupt.

„Jule“ wie er von seinen Freunden genannt wurde, revolutionierte durch seinen unkonventionellen Stil nach dem Krieg die damals noch leblose Automobilfotografie. Eine großformatige Speed-Graphic-Plattenkamera, die er nach dem Kriegsende aus einer Stuttgarter Mülltonne gezogen hatte, wurde sein fotografisches Handwerkszeug.

Die von Weitmann belichteten Autos gaben sich dynamisch, sie fuhren. Weitmann gilt seitdem als Vorbild einer ganzen Generation von Fotografen, als Klassiker eben. Über mangelndes Selbstbewusstsein konnte der Mann nie klagen, was an seiner Vergangenheit liegen mochte. Er war Presseadjudant von Admirals Karl Dönitz. Dass der 1945  die Kapitualtion erklären musste, brachte Weitmanns Weltbild – so fürchte ich – nicht wirklich ins wanken.

Ton und Umgangsformen blieben entsprechend, langhaarige Typen wie mich mochte er jedenfalls überhaupt nicht. Ich war damals Volontär bei „auto motor und sport“ und Weitmann vermutete in mir einen linken Revoluzzer und getarnten Kommunisten, mindestens.  Zu seinem Leidwesen hatte in der Redaktion niemand Zeit ihre Generalität von Stuttgart nach Wolfsburg zu chauffieren, also musste ich das übernehmen.

Was zunächst sogar Spaß machte. Die Chefredaktion hatte uns einen sogenannten „Dauertestwagen“, einen modisch-gelben Mercedes 280 E zur Verfügung gestellt. Der 180 PS starke Sechszylindermotor in der kleinen Baureihe war damals der sportliche Kracher im Mercedes-Programm, außer einem Porsche musste man eigentlich keine Gegner fürchten. Das Auto, machte gut 200 Spitze und brauchte dann auch 20 Liter. Wir kamen gut voran, mussten allerdings öfter tanken. Mich verunsicherte nur eine Eigenart meines erlauchten Beifahrers: Wenn ein Auto vor uns nicht seiner Generalität sofort Platz machte, griff er mit seiner linken Hand höchstpersönlich herüber zum Hupring und veranstaltete so eine Art Blitzkrieg.

„Erzähl mir nicht, wie ich autofahren muß“

Irgendwann, der Abend dämmerte schon, übernahm der ungeduldige Herr dann selbst das Steuer. Als es immer dunkler wurde, drehte er den Lichtschalter eine Stufe nach rechts - Standlicht. Eine Eigenart des Mercedes-Lichtschalters, Weitmann fuhr normalerweise BMW. Als ich ihn höflich darauf hinwies, bekam ich zur Antwort: „Erzähl mir nicht, wie ich autofahren muß“. Also schossen wir mit Tempo 200 und Standlicht durch die Nacht. Immer wieder schlugen andere Verkehrsteilnehmer vor Schreck wilde Haken. Dann triumphierte Weitmann: „Ich weiß gar nicht, was Du willst, man sieht uns doch.“ Als das Ortsschild von Wolfsburg endlich auftauchte, habe ich im Geiste drei Zündkerzen für den heiligen Christophorus gespendet.

Am nächsten morgen trafen wir uns mit dem damaligen Volkswagen-Pressechef zum Frühstück. Weitmann stellte mich als seinen „Fahrer“ vor, damit klar war, dass ich als Angehöriger der unteren Mannschaftsgrade die Klappe zu halten habe. Der Pressemann war bereits über gewisse Eigenarten des Lichtbildners vorgewarnt, denn es hatte sich schon bis ins VW-Hochhaus herumgesprochen, dass Weitmann im konzerneigenen Gästehaus Rothehof eine morgendliche Sondervorstellung gegeben hatte. Mit seiner doppelläufigen Jagdflinte hatte er gegen 5 Uhr morgens aus seinem Zimmer heraus das Feuer auf Karnickel eröffnet, die sich aus dem Gebüsch getraut hatten. Weitmann war aber sakrosankt, schließlich ging er mit dem Big Boss von VW gemeinsam auf die Bären oder Hirschjagd, irgendwo im tiefen Osten.

Der Volkswagen-Chef hieß Rudolf Leiding. Er kam von Audi und war so etwas wie der erste deutsche Generalsanierer. Volkswagen drohte mit dem veralteten Käfer gegen die Wand zu fahren und es musste in jeder Beziehung aufgeräumt werden. Leiding ist gelernter Generalstabsoffizier, warum er sich blendend mit Weitmann versteht. „Der Schleifer kommt“ hatte das Wirtschaftsmagazin „Capital“ Leidings Aufstieg einmal charakterisiert. Leiding liebe die „Die Russen sind durchgebrochen“-Situationen. Bei Volkswagen ist er damit zum damaligen Zeitpunkt  genau richtig. „Das einzige was Leiding unterschreibt, sind Kündigungen“, hieß es 1973 bei VW. So etwas gibt es in der Konzerngeschichte des Wolfsburger Hauses immer wieder, so ähnlich wie zyklisch wiederkehrende Eiszeiten in der Erdgeschichte. Ich vermute es steht auch aktuell ein solches Naturereignis bevor.

1973 als Geburtsjahr der politischen Auto-Gegnerschaft

Aber zurück in  die frühen siebziger Jahre. Sie  markierten in vielfacher Hinsicht eine Zeitenwende. Der VW-Golf mit Frontantrieb und Quermotor stellte nach dem Käfer die technische Uhrzeit bei Volkswagen auf Null. Patriarchalisch-autoritäre Manager wie Leiding waren die letzten ihrer Art und machten zunehmend diplomatischeren Charakteren Platz, die über eine gewisse Medien-Kompetenz verfügten.

Auch in der großen weiten Welt änderten sich die Dinge erdrutschartig. Die Scheichs drehten den Ölhahn zu und brachten damit die Wirtschaft der westlichen Wohlstandsländer ins Wanken. Am 17. Oktober 1973 verdoppelte sich der Ölpreis an einem einzigen Tag. Im Verlauf des Jahres 1974 sollte der Barrelpreis auf damals astronomische zwölf Dollar steigen (was uns heute geradezu paradiesisch erscheint). Die Regierung konterte mit Sonntagsfahrverbot, befristetem allgemeinem Tempolimit und Energiesparappellen.

Das Jahr 1973 lässt sich auch als Geburtsjahr der politischen Auto-Gegnerschaft festmachen. Das Auto wird plötzlich zum Politikum und vom Hoffnungsträger zum Sündenbock. Politische Bekenntnisse der Autoindustrie und tatsächliche Modellpolitik klaffen allerdings auch ziemlich auseinander (in dieser Bezeihung hat sich seit damals nicht viel geändert). Es gibt damals sogar einen richtigen kleinen Skandal, der schließlich eine Bundestagsdebatte nach sich zieht. BMW stellt seinen 2002-Turbo vor, der angesichts der Energiekrise wie aus der Zeit gefallen scheint. Damit man ihn auf der Autobahn schön im Rückspiegel erkennen kann, ist der Schriftzug „Turbo“ in Spiegelschrift auf die Frontschürze gepinselt. Das ist nicht sehr sensibel. Nach einem Proteststurm lässt BMW den Schriftzug dann verschämt weg.

Meine Giulia war das am gründlichsten observierte Auto Stuttgarts

Die Energiekrise erwischt die Autoindustrie mitten in einer Aufrüstungsspirale – und aufgrund der langen Entwicklungszeiten lässt sich daran kurzfristig auch gar nichts ändern. Leistung ist gefragt – und sie bleibt es erstaunlicherweise auch.  Der Turbo wird entdeckt.  Bei der Farbgebung begibt man sich ins Fahrwasser der psychedelischen Bewegung. Prominente pilgern nach Indien, dann Hinz und Kunz - und alle hoffen auf Erleuchtung. Gurus sind in. Opel präsentiert in einer Anzeige einen Rekord „Maharadscha“ zusammen mit Flamingos in einer leicht bekifften, indischen Farbkulisse. Der Ford Capri kommt im „frischen Maisgelb“ daher, wie die Beatles mit ihrem „yellow submarine“.  BMW und Porsche setzten – wie die SPD – auf Orange. Willy Brandt leitet außenpolitisch die Entspannungspolitik zwischen Ost und West ein und gibt innenpolitisch die Parole vom „Mehr Demokratie wagen“ aus.

Besitzer schneller Automobile zogen in den siebziger Jahren allerdings aus ganz anderen Gründen eine lästige Aufmerksamkeit der Polizei auf sich - besonders wenn sie jugendlich und langhaarig waren. Das lag daran, dass die Baader-Meinhof-Terroristen schnelle Autos bevorzugten. Ich hatte mir von meinem ersten anständigen Redakteursgehalt eine Alfa Gulia Super zusammengespart, mit der ich grundsätzlich in jeder Verkehrskontrolle herausgewinkt wurde, oft mehrmals am Tag.

Zu allem Überfluss wohnte ich in Stuttgart-Botnang in einer Dachmansarde in der Donizettistrasse – direkt gegenüber der Villa des damaligen Mercedes-Entwicklungs-Chefs und späteren Vorstandsvorsitzenden Werner Breitschwerdt. Der wurde nach dem Mord an Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer (1977) bewacht wie Fort Knox. Meine Gulia dürfte in jener Zeit das am gründlichsten observierte Auto Stuttgarts gewesen sein.

Foto: Tim Maxeiner

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Bernhard Freiling / 19.03.2017

Dazu habe ich auch eine nette Geschichte beizutragen. Zu dieser Zeit war ich mit einer Französin verheiratet. Ins Muster passten wir auch, weil wir nur 2 km von der nächsten Autobahnauffahrt entfernt wohnten. Internet, SMS und Twitter waren noch nicht mal stiller Gedanke ihrer Erfinder - es wurden also Briefe geschrieben. Üblich war, das Empfängerland in Großbuchstaben auf den Umschlag zu schreiben. Nun schrieb Schwiegermutter gerne Briefe, vermerkte jedoch auf dem Umschlag nicht etwa “Deutschland” oder “RFA” für Republic Federal d’Allemagne, sondern “R A F”, (fälschlicherweise) wohl für Republic Allemagne Federal. Und genau so sahen die Briefe, die wir erhielten, auch aus. Die waren durchweg alle derart zerknüllt, daß man nicht mehr feststellen konnte, ob sie schon mal geöffnet wurden oder nicht. Es muß so während der “Blütezeit” der RAF gewesen sein, als Schwiegermutter uns mitteilte, daß Jocelyne, eine Schwester meiner Frau, ihr erstes Kind erwartete. Einige Tag lang stand bei Tag und bei Nacht ein Opel Rekord, permanent besetzt mit 2 Männern, nicht weit von unserer Haustür entfernt. Ich war schon versucht, den Ärmsten Kaffee zu bringen. Wir nahmen’s leicht und amüsierten uns darüber, daß jetzt möglicherweise Heerscharen von Codeknackern damit beschäftigt waren zu entschlüsseln, was wohl mit der Nachricht “Jocelyne erwartet in 14 Tagen ihre Niederkunft”  gemeint sein könnte.

Andreas Rochow / 19.03.2017

Die Kulturgeschichte des Automobils kann so amüsant sein. Bitte unbedingt mehr davon!

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