Dirk Maxeiner / 09.10.2016 / 06:15 / 2 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Der Trabi als philosophisches Begriffssystem

Der Geier ist nicht nur ein ausgesprochen hässliches Tier, sondern auch ein sehr nützliches. Und die Geschichte der Menschwerdung, dies erläutert ein faszinierendes Buch des Münchner Evolutions-Biologen Professor Josef Reichholf, ist aufs engste mit den fliegenden Entsorgern verknüpft. Der heutige Mensch (auch der gemeine Skinhead) ist Nachfahre eines Afrikaners, denn unsere Familie stammt ausnahmslos aus einem relativ eng umrissenen Gebiet in der ostafrikanischen Savanne. Dort lernte der Mensch im Laufe der Jahrmillionen den aufrechten Gang und erwarb sein großes Gehirn.

Bei beidem war ihm der Geier behilflich: Sie zeigten den kleinen Gruppen der Urmenschen den Weg zu frisch verendetem Großwild. Die Menschen hatten nämlich weder die Kraft noch die Schnelligkeit um großes Wild zu Jagen. Das Aufrichten, der nach oben bewegliche Kopf mit den guten Augen, all dies installierte die Evolution zunächst zwecks besserer Beobachtung der Geier. Die schneller werdenden Beine garantierten ein Eintreffen bei der Beute, solange sie noch frisch war. Die ersten Werkzeuge, scharfe Steine, dienten dem Zerteilen. Die freien Hände dem Wegtragen und in Sicherheit bringen.

Das Prinzip war so erfolgreich, dass das Gehirn aufgrund der Dreisterne-Nahrung immer größer werden konnte. Überraschend: Der moderne Mensch verdankt seine Existenz einer frühen Symbiose mit den Geiern. Viele heutige Verhaltensweisen sprechen ja auch noch dafür: Wenn einer anfängt zu rennen, fangen bald alle an (Das Schlussverkaufs-Syndrom). Auch die Gaffer haben womöglich hier ihre Wurzel. Aber ich schweife ab. Der Kern der Sache lautet: Tief in unserem Unterbewusstsein sind wir hundertprozentige Restverwerter, das "Ausschlachten" ist uns angeboren, nicht das Wegwerfen.

Der Sammeltrieb konzentriert sich nicht mehr auf Pökelfleisch sondern auf Gemälde oder Autos

Der Weg von der Beobachtung der Geier zum Sammeln von Modellautos der Marke Wiking oder Teddybären der Marke Steif ist zugegebenermaßen weit. Aber es gibt ihn. Die Fähigkeit Vorräte anzulegen und Lebensmittel haltbar zu machen, bedeutete einen weiteren Schritt in der Erfolgsgeschichte des Menschen. Dieser Sammeltrieb hat sich heute von seiner ursprünglichen Bestimmung losgelöst und verselbstständigt. Der Wunsch nach Besitz und der Ordnungs- und Klassifizierungstrieb konzentriert sich nicht mehr auf Pökelfleisch oder Walderdbeeren, sondern auf Gemälde, Bücher, Uhren, Landkarten, Oldtimer und was es sonst so gibt. Gesammelt werden kann grundsätzlich alles. Ich beispielsweise sammele alte Hosen, sie könnten ja mal wieder passen. Wir lernen: Auch ganz einfache Gegenstände des praktischen Lebens verwandeln sich in der Hand des Sammlers in Gegenstände der Betrachtung und Reflexion.

Jeder sechste Bundesbürger ist Sammler. Die Auflösung all dieser Sammlungen würde unsere Mülltonne wahrscheinlich bis ins dritte Jahrtausend verstopfen. Aber dazu wird es nicht kommen. Denn die Sammlung selbst dient der seelischen Entsorgung. Schon Goethe attestierte den Sammlern sie seien "glückliche Menschen". Mitunter ist sammeln aber auch bittere Notwendigkeit, siehe oben Geier. Der Schlüsselsatz, der das Schicksal des deutschen Arbeiter- und Bauernstaates besiegelte, war nicht unbedingt : "Wir sind das Volk". Ich hätte da noch einen anderen Vorschlag: "Hamm wa nich, krieg'n wa och nich rin". Die Aussicht zehn Jahre auf einen Trabant warten zu müssen und dann im Radius auf die Mecklenburger Seenplatte beschränkt zu sein, bringt irgendwann den bravsten Familienvater auf die Palme.

Das Paradies der Werktätigen war eine klassische Mangel-Gesellschaft. Da man für Geld ohnehin nichts kaufen konnte, blühte der archaische Tauschhandel. Weggeworfen wurde  gar nichts, jedes Schräubchen stellte einen kleinen Schatz dar. Der Name des DDR-eigenen Recycling-Systems war durchaus als Programm zu verstehen: Sero (und das heißt Null). Es lässt sich nicht leugnen: Spaß und Freude mögen Triebfedern zum Bewahren sein, noch viel stärker freilich ist die erzieherische Wirkung des Mangels. Kaum fiel die Mauer, wurde der treue automobile Freund der DDR-Gesellschaft undankbar über Bord gekippt. Das Ende der DDR war zugleich das Ende eines Recycling-Großversuchs. Alte Trabis lagen am Straßenrand wie McDonalds-Tüten. Inzwischen werden sie wiederentdeckt und die Preise steigen. Als Geldanlage würde ich einen Trabi inzwischen einer Deutschen Bank-Aktie vorziehen. Winds of Change, wer hätte das 1989 gedacht.

Was die Rennpappel und der Porsche 911 gemeinsam haben

Das Auto, das der Dauerhaftigkeit der Rennpappe hierzulande am nächsten kommt, ist pikanterweise der Porsche 911 (Vergessen Sie diese Lastwagen mit Namen wie Porsche Cayenne oder Panamera. Das sind keine Porsches, sondern Irrtümer von Leuten, die McKinsey für einen Formel 1-Rennfahrer halten). Mehr als zwei Drittel aller jemals gebauten Porsche 911 sind noch im Straßenverkehr - eine unglaublich gute Ökobilanz. Durch die grüne Brille betrachtet ist dies natürlich der ideologische Supergau. Weshalb dieser schlimme Fall von Rechtsüberholen noch nicht einmal ignoriert wird.

Und wenn so ein alter Porsche mal nicht mehr will, wandert er nicht auf den Schrott, sondern zum Restaurateur. Porsche gewährt natürlich auch eine kostenlose Rücknahme-Garantie für seine 911, wobei die Schwaben sich dabei heimlich scheckig lachen: Nur ein geistig völlig Umnachteter würde davon ernsthaft Gebrauch machen. Selbst für einen Schrotthaufen werden fünfstellige Summen bezahlt.

Das Prinzip Trabant und das Prinzip Porsche sind sich eigentlich sehr ähnlich. Der feine Unterschied: Den Trabant teilte irgendein ominöser Plan zu beziehungsweise nicht zu. Beim Porsche sorgt ganz profan der Preis für eine eingeschränkte Kundschaft. Je teurer ein Gegenstand ist, desto geringer ist die Gefahr, dass er auf dem Müll landet. Je teurer ein Gegenstand ist, desto besser lässt sich natürlich auch Qualität bauen. Und je besser die Qualität, desto eher lohnt sich das reparieren oder restaurieren.

Deutlich umweltfreundlicher als Claudia Roth

Im übrigen: Jemand, der 20 Jahre lang die U-Bahn nimmt, weil er auf einen Porsche spart und ihn anschließend 30 Jahre lang benutzt, ist deutlich umweltfreundlicher als jemand der 50 Jahre frustriert Kleinwagen fährt oder Claudia Roth, die statt dessen alle drei Minuten mit einem neuen Fummel um die Ecke kommt. Im übrigen lässt sich mit so einem Porsche sogar Kathrin Göring-Eckardt übertönen, wenn sie in der Sonntagspredigt über Aluminium-Milchdöschen jammert, die direkt in die Klimakatastrophe führen. Ich bestehe darauf: Deutsche, spart auf einen Porsche 911 und vererbt ihn künftigen Generationen! (Leider hat sich mein Vater nicht dran gehalten).

Deshalb hab ich nur die Möglichkeit, mir ein hübsches altes Auto zu kaufen, das nicht jeder hat. Gerade habe ich mir für 1 000 Euro wieder einen Volvo 940 gekauft. 300 000 Kilometer und läuft wie ein Uhrwerk. Das Design entspricht maßstabgetreu einem Ziegelstein und ist bei jungen Leuten sehr beliebt. Wenn ich mir kein neues Auto leisten kann, repariere ich eben das alte und habe auch noch Spaß dabei.

"Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten" hieß das Kultbuch der amerikanischen Hippie-Bewegung. Der Autor Robert M. Pirsig versucht in dem Bestseller "eine alternative zum materiellen Erfolg" aufzuzeigen und begibt sich dabei mit (und in) seinem Motorrad auf die Spur des Zen Buddhismus. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass ein Motorrad ein in Stahl ausgeführtes "Begriffssystem" und vor allem anderen ein "geistiges Phänomen" ist. Um das richtig zu verstehen, müsste ich wahrscheinlich 200 Jahre Philosophie studiert haben. Ich bin deshalb auf bloße Ahnungen angewiesen. Jedenfalls habe ich neulich die Lichtmaschine des Volvo auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Als der Motor tatsächlich startete, kam ich mir vor wie der Erfinder des Verbrennungs-Motors und Buddha zugleich.

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otto regensbacher / 10.10.2016

Der Verfasser hat die Obergrüne Roth eigentlich zu dürftig beschrieben. Sie zählt zwar zu den GRÜNEN ERZIEHERN und will uns Deutsche generell zu Fußgängern und Radfahrern umfunktionieren. Dennoch, sie selbst ist kaum per pedes unterwegs. Sie bedient sich auf für kurze und ganz kurze Strecken den Diensten der Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestages. Man predigt eben, dass das gemeine Volk Wasser zu trinken und genießt selbst den Champus!

Stephan Profittlich / 09.10.2016

Der Porsche unter den Kameras heißt Leica. Die schmeißt man auch nicht auf den Müll. Wahrscheinlich liegt die Zahl der noch verwendeten oder in der Vitrine stehenden Leicas noch über dem Wert von Porsche. Eine Leica M und ein 911er sind Seelenverwandt.

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