Dirk Maxeiner / 26.02.2017 / 06:08 / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Christine oder Burka

In seinem Thriller „Christine“ erzählt Stephen King die Geschichte eines Plymouth Fury, der ein mörderisches Eigenleben entwickelt und reihenweise Menschen ins Unglück oder gar ins Jenseits befördert. Christine ist das Böse schlechthin. Stephen King ahnte 1983, als er den Roman schrieb, sicherlich nicht, dass er damit dem fahrerlosen Auto ein frühes Denkmal setzen würde.

Als ich vor einiger Zeit die kalifornische Universitätsstadt Stanford besuchte, musste ich jedenfalls ständig an Christine denken. Stanford wirkt wie ein Vorzeige-Amerika. Viel parkartiges Grün, noble Gebäude, gepflegte Straßen. Alles ist hier sauber und ordentlich. Lauter junge Leute, die sich auffallend gut benehmen. Hier wirft keiner eine Pizza-Schachtel weg. Aber so ein Paradies hat ja auch immer ein bisschen was von Hölle. Wenn jemand einen Thriller über Political Correctness drehen wollte, dann wäre das genau der richtige Ort. Gnadenlos gut. Der Verkehr fließt ruhig und rücksichtsvoll dahin. Die Leute halten sich provozierend genau an die Verkehrsregeln. Man sollte hier mal ein paar Pariser Taxifahrer aussetzen, das wäre ein Spaß. Oder eben Christine, das wäre eine noch größerere Gaudi.

Aber die Idee  ist gar nicht so weit hergeholt. Ein kleiner Volkswagen-Polo nähert sich einer Kreuzung. Langsam rollt der weiße Kleinwagen an die von Ecke Campus-Drive und Searsville-Road. Der Wagen hält am Stoppschild an, um den Verkehr auf der Vorfahrtsstraße vorbei zu lassen. Ein Radfahrer kommt heran, blickt ins Innere des Volkswagens, erstarrt einen Moment regelrecht und macht dann eine Vollbremsung. Er steigt ab, blickt ungläubig von außen in das Auto. Dann schiebt er sein Rad vorsichtig und zögernd vorbei. So als ob da ein Krokodil auf der Fahrbahn lauere, um ihn zu verschlingen.

Der Grund für sein verunsichertes Verhalten: Niemand sitzt hinterm Steuer des Autos. Es befinden sich auch keine Passagiere im Fahrzeug. Nachdenklich radelt er weiter und beobachtet noch, wie das Geisterauto langsam in die Hauptstraße einbiegt. Zum Glück verschwindet es in die andere Richtung. Das hat Christine auch so gemacht, nur um dann, langsam und drohend aus dem Nichts wieder aufzutauchen.

Wie kommunizieren Menschen mit Robotern?

Eine kleine Kamera im Auto hält die Szene fest. Professor Wendy Ju und ihre Studenten von der Universität von Stanford sitzen etwas später vor ihrem Labtop und schauen sich die gefilmte Szene an. Kein Thriller sondern Wissenschaft – und mitunter richtig unterhaltsam. Wendy ist Direktor der „Interaction Design“-Abteilung  am Designforschungs-Zentrum der Universität. Das Team, bei dem zumindest bei meinem Besuch die Frauen in der Mehrzahl sind, residiert in einem sonnig-luftigen Werkstattgebäude etwa zehn Autominuten vom Campus der Universität entfernt.

Es besitzt einen modernen Fahrsimulator und Werkstatteinrichtungen für die rollenden Versuchsfahrzeuge. Die technikbegeisterten Studenten  können ihr theoretisches Wissen hier in der Praxis anwenden. Hinten in der Halle steht ein Solarfahrzeug, das Australien mit der Kraft seiner Sonnenzellen durchquerte. Weiter vorne beugen sich die Studentinnen über einen offenen elektrischen Buggy, der als Forschungsträger für das autonome Fahren dient. Sie haben ihn hier selbst gebaut und mit Computern vollgestopft.

Wendy Ju und ihr Team wollen herausfinden wie Menschen mit Maschinen und Robotern kommunizieren können - und umgekehrt. Einer ihrer Schwerpunkte ist derzeit die Erforschung der Schnittstellen zwischen Menschen und selbstfahrenden Autos. Es geht beim autonomen Fahren eben nicht nur um die rein technische Umsetzung, also das fehlerfreie Zusammenspiel von Fahrzeug, Sensoren und Computertechnik. Der zweite Bereich dreht sich um den Menschen selbst, also die Frage wie er mit der neuen Technik zurechtkommt. Die Forschung muss sich also mit der Psyche und dem Wahrnehmungsapparat der Menschen beschäftigen. Beispielsweise mit der Frage: Fühlt der Mensch sich als Insasse eines autonomen Autos sicher oder ist er gestresst?

Kann man einen indischen Rikschafahrer berechnen?

Und das gilt nicht nur für die Insassen des Autos. Mindestens genauso wichtig sind die anderen Verkehrsteilnehmer. In USA gilt beispielsweise an vielen Kreuzungen die Regel, dass derjenige, der an der Stopplinie zuerst anhält, auch als erster wieder losfahren darf. Dafür muss er aber Sichtkontakt mit den anderen Autofahrern herstellen. Doch wie soll das funktionieren, wenn in einem Auto niemand am Steuer sitzt? „Das zweite Fahrzeug, muss ihm in irgendwie signalisieren, dass es verstanden hat“, sagt Wendy Ju, „beispielsweise durch ein rotes oder grünes Licht in der Windschutzscheibe.“ Ich stelle mir gerade vor, wie das Ganze beispielsweise in der Innenstadt von Kalkutta funktionieren soll. Und habe einen tröstlichen Gedanken: Kein Computer der Welt vermag vorauszuahnen, was ein indischer Motor-Rikschafahrer als nächstes tut. Außer natürlich einem anderen indischen Rikschafahrer. Es wird wohl noch etwas dauern, bis unsere Autos auf der ganzen Welt selbst fahren.

Wendy Ju hat mit ihren Studenten viele Stunden Video-Aufzeichnungen ausgewertet und produziert. Wobei die pfiffigen jungen Leute auf eine kostensparende Idee kamen. Es wäre sehr teuer und langwierig diese psychologischen Verkehrsstudien mit einem tatsächlichen selbstfahrenden Auto durchzuführen. Deshalb entwickelten sie so eine Art Tarnkappe: Einen Ganzkörper-Anzug mit einem unauffälligen Sehschlitz, der einem leeren Fahrersitz täuschend ähnlich sieht. Es ist so eine Art Burka im Dienste der Wissenschaft – und somit erstmals ein sinnvoller Einsatzbereich für ein solches Kleidungsstück.

Eine ausbaufähige Idee für Geschwindigkeitskontrollen

Eine zierliche junge Frau setzt sich damit in ein präpariertes Auto und dreht ihre Runden durch Stanford – und sie ist durch fast nichts von einem leeren Fahrersitz zu unterscheiden. Ich finde das eine ausbaufähige Idee, besonders für Geschwindigkeitskontrollen.

Die Reaktion der Menschen könnte unterschiedlicher nicht sein. Da sind die einen, die erschrocken zurückweichen. Das ist gleichsam Typ 1. Er hat ein eingebautes Vorsichts-Gen, das besagt: Einem Auto ohne Fahrer ist nicht zu trauen. Es gibt aber auch Typ 2: Er bleibt völlig ungerührt, obwohl er registriert, dass niemand hinterm Steuer sitzt. So jemand hat Nerven wie Drahtseile und wählt Angela Merkel .

Wieder andere sind mit sich selbst beschäftig und merken gar nichts. Oder sie telefonieren. Und dann ist da noch eine ganz spezielle Standford-Spezies: Der interessierte Student, der über die Versuche mit den autonomen Autos Bescheid weiß und sich aufrichtig freut, mal einem zu begegnen. Von der Nummer mit der Burka ahnt er freilich nichts.

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