Dirk Maxeiner / 03.07.2016 / 06:20 / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Diesel-Gate und Choo Choo

Wer an Volkswagen denkt, hat meist Wolfsburg vor Augen. Eine nicht sonderlich inspirierendes Ambiente, in Zeiten von Dieselgate sogar ausgesprochen garstig, oder wie die jüngste Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Bilanz es formulierte: „Nordkorea minus Arbeitslager“. Da lob ich mir doch Chattanooga in Tennessee, als Standort der amerikanischen Volkswagen-Produktion ebenfalls arg gebeutelt, mental aber anders gepolt.

Die Menschen sind ziemlich krisengewohnt und tragen das mit einer Mischung aus Südstaaten-Blues und der Erfahrung aus dem jahrzehntelangen Niedergang der Industriemetropole, der erst im letzten Jahrzehnt gestoppt werden konnte. Über Stickoxide können sie hier was erzählen, man hatte sich mit seinen Hochöfen einst den Titel als „schmutzigste Stadt der USA“ erworben. 1969 wurde Chattanooga von den Behörden offiziell die schlechteste Luft der USA bescheinigt. Und jetzt halt dicke Luft wegen Volkswagen. Aber es regt sich auch schon wieder Optimismus: Zwei Milliarden hat der Konzern versprochen, in USA in emissionsfreie Fahrzeuge zu investieren – und wo anders sollte das geschehen als in Chattanooga?

Die erste Flaschenabfüllanlage von Coca-Cola

Chattanooga war ja nicht nur ein amerikanisches Eisenbahn-Zentrum, sondern trug in vielfacher Hinsicht zur amerikanischen Ikonographie bei. Beispielsweise  arbeitete hier die erste Flaschenabfüllanlage von Coca Cola. Die dampfende Industrie- und Stahlstadt erlebte dann während des 2. Weltkrieges ihren letzten und größten Boom: 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag wurde Stahl für die gewaltige amerikanische Militär-Maschinerie produziert. Die Schlote rauchten rund um die Uhr. Aus dieser Epoche stammt auch der Ethos amerikanischer Bergleute und Stahlarbeiter als gleichsam nationale Produktionsgarde. Der Niedergang der Schwerindustrie traf sie und Chattanooga hart. Der „Dynamo of Dixie“ lief nicht mehr rund und der Stadt blieben  leere Fabrikruinen und Umweltprobleme.

Die XXL-Lobby des Chattanooga Choo Choo Hotel  war früher die große Halle des Hauptbahnhofes. Der historische Tresen an der Rezeption sieht noch immer so aus, als könne man ein Erster-Klasse-Ticket buchen. Der Gast würde sich nicht wundern, wenn eine Lautsprecheransage den Nacht-Express nach New York oder Baltimore ankündigen würde. Im Dezember 1909 wurde das Gebäude als „Mainstation“ und „Gateway“ von Chattanooga eröffnet. Der Entwurf des Architekten Don Barber hatte zuvor einen Preis des „Beaux Art Institute“ in Paris gewonnen. Der Innenraum wurde auf Wunsch der „Southern Railway“ nach dem Vorbild der damals superschicken „National Park Bank“ in New York gestaltet. Das Gebäude galt als einer der schönsten und fortschrittlichsten Bahnhöfe seiner Zeit.

Eine Kathedrale des Fortschritts, die über 25 Meter hohe Haupthalle heißt entsprechend „great dome“. Chattanooga war Boomtown und man konnte es sich leisten, die Besten der Besten als Architekten und Ingenieure zu beschäftigen. Die Passagiere aus New York, Boston oder Atlanta stiegen an diesem Knotenpunkt in die Züge nach Süden oder Westen der USA um. Im Flugverkehr nennt man eine solche Drehscheibe heute „Hub“, doch statt „American Airlines“ oder „United Airlines“, trafen sich hier „Northern Railways“, „Southern Railways“ und „Western Railways“.

Glenn Miller setzte Chattanogaa  ein musikalisches Denkmal

Glenn Miller und sein Orchester setzten der Eisenbahnfahrt-Fahrt von New York nach Chattanooga später mit dem Swing-Titel „Chattanogaa Choo Choo“ ein musikalisches Denkmal. 1941 stand der Hit neun Wochen lang in den Billboard Hot 100, ein Jahr später wurde er mit der ersten goldenen Schallplatte überhaupt belohnt.  Und auch heute noch können viele Menschen diesen Klassiker aus dem Gedächtnis nachsummen. Zu Beginn imitieren Trompeten das sehnsüchtige Dröhnen amerikanischer Eisenbahnen-Sirenen. Egal wo so eine Fanfare erklingt, sie löst sofort großes Kino im Kopf aus. Es ist der Soundtrack von Fernweh, Heimweh, Abschied, Ankunft, großer Liebe und großem Drama (Udo Lindenberg hat die Melodie für seinen „Sonderzug nach Pankow“ übernommen).

Noch immer passieren schwere Lokomotiven das Stadtgebiet von Chattanooga und die Sirenen dröhnen bis in die Cafes von Downtown. Allerdings werden keine Passagiere mehr befördert. Statt dessen befinden sich ganze Kohorten von schwer beladenen Waggons im Schlepptau der schuftenden Diesel-Lokomotiven - etwa mit Kohle aus Wyoming. Das letzte Stündlein der Passagier-Eisenbahn in Chattanooga schlug im Jahr 1970. Die amerikanische Liebesaffäre mit dem Automobil und das Flugzeug hatten die Fernverbindungen zu Geisterzügen gemacht. Heute wachsen auf den stillgelegten Bahnsteigen Geranien und in den umgebauten Waggons wurde komfortable Betten installiert. Wer darin nachts aufwacht, könnte irrtümlich meinen, er sei ein Eisenbahn-Baron auf Dienstreise.

Heute gilt die Stadt als ein von engagierten Bürgern und Politikern geschaffenes Musterbeispiel für gelungene wirtschaftliche Konversion. Neue Industrien und Dienstleistungs-Unternehmen wurden angesiedelt und ein modernes Kunstmuseum oben auf dem Hügel über der Stadt eröffnet. In einstige Industrieruinen ziehen nach und nach Lofts, Ateliers und Kneipen ein. Unten am Ufer des einstmals völlig verdreckten Tenessee-River steht eines der größten Süßwasser-Aquarien der Welt. Damit die Luft schön sauber bleibt ziehen kostenlose Elektroshuttles ihre Kreise durchs Zentrum entlang der Broad- und der Marketstreet. Noch beeindruckender als der elektrische Antrieb ist freilich die Freundlichkeit von Fahrer und Passagieren. Dem Fremden wird in Chattanooga mit symphatischer Neugier begegnet.

Im Wagon wurde some like it hot’ mit Marilyn Monroe gedreht

Matt Downer trägt einen lustigen Hut und einen roten Vollbart. Er würde gut als „Hobo“ - als amerikanischer Wanderarbeiter und Eisenbahntramp - durchgehen. Das ist er aber nicht. Der Mann arbeitet tagsüber im Aquarium, hat eine Familie und somit eine solide bürgerliche Existenz. Aber das ist nur sein halbes Leben. Denn Matt ist auch ein Musiker. Das hat er von seinem Großvater - und auch die Leidenschaft für „old town music“ - mithin die erste Musik, die in Amerika gespielt worden ist. Die Brutstätten waren Georgia, Alabama und Tenessee, wo schottisch-irische Siedler auf Sklaven und afrikanische Einflüsse trafen. Für einen Fototermin posiert er in einem alten Pullmann-Schlafwagen des „Tenessy Valley Railroad Museum“. Kaum beginnt er sein Geigenspiel wird es mäuschenstil im Eisenbahn-Waggon und alle lauschen als handele es sich um eine Andacht.

Einst durchquerten 20 000 dieser Schlafwagen Amerika, erzählt Bill Schäfer von der Museums-Eisenbahn. Und erfügt hinzu:  „Aber dieser Wagen ist ein ganz besonderer, in ihm wurde ‚some like it hot’ mit Marilyn Monroe gedreht.“ Die Eisenbahn-Afficionados von Chattanooga restaurieren in ihrer Werkstatt in mühevollem Freizeit-Einsatz alte Waggons und Lokomotiven. Um die alten Stücke wieder auf Vordermann zu bringen haben sie sogar aus Polen alte amerikanische Eisenbahn-Werkzeuge und Maschinen zurückgeholt, die nach dem 2. Weltkrieg im Rahmen des Marshall-Plans von den Amerikanern dorthin gebracht wurden. „Die Geschichte der Eisenbahn ist die Geschichte von Amerika“, erklärt Bill „Um diese Faszination zu verstehen, sollte man auf den Spuren des Chattanooga Choo Choo nach New York gefahren sein - immer entlang der Bahnstrecke“.

Die Eisenbahn und das Automobil gehören zum „Sound of the south“ genau wie Geige, Gitarre oder Mundharmonika. Bill Schäfer zieht Karten mit Eisenbahnlinien und einen großen Zettel hervor. Darauf schreibt er einige Stationen, die der Reisende nicht missen sollte: Chattanooga – Knoxville –Bristol – Roanoke – Harrisburg – Bethlehem – New York. Die Entfernung beträgt etwa 1.300 Kilometer und der Zug war seinerzeit beinahe einen Tag und eine Nacht unterwegs. Die Route führt mitten durch das Gebiet, das in USA „Bible-Belt“ genannt wird.  Die Menschen sind hier nicht nur freundlich, sondern auch gottesfürchtig und beinahe jeder Ort verfügt über mehrere Kirchen der unterschiedlichsten Konfessionen. Sie sind stets besonders gepflegt und meist von einem weiten englischen Rasen umgeben. Kirchen und Tankstellen bilden gleichsam das Herz der Infrastruktur, die einen sind für die Verbindung zum lieben Gott, die anderen für die zur nächsten größeren Stadt zuständig. Das Auto ist nach dem lieben Gott der beste Freund des Menschen, gleichsam seine nächste Bezugsperson. Das ist dann doch ein bisschen wie in Wolfsburg.

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