Dirk Maxeiner / 01.01.2017 / 06:29 / Foto: Frank Schulenburg / 5 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Brückentage

Früher kamen solche Nachrichten immer aus den USA. Inzwischen ist China die Heimat des Superlativs. So auch vorgestern: Da ist in China die höchste Brücke der Welt eröffnet worden. Der Bau verbindet auf einer Höhe von 565 Metern die benachbarten Provinzen Yunnan und Guizhou. Zum Vergleich: Der Eifelturm ist 324 Meter hoch. Vielleicht sollte man die Chinesen mit dem Bau einer Brücke von Shanghai nach Berlin beauftragen, die wäre sicher schneller fertig als der deutsche Hauptstadtflughafen.

Die Brücke ist immer eine gewagte Konstruktion. Denn unter allen kühnen Bauwerken ist sie das politischste. Und unter den politischen Bauwerken ist sie das diplomatischste: Die Brücke ist Symbol der Solidarität, Zeichen menschlicher Zusammengehörigkeit über Raum und Zeit hinweg. „Von allem, was der Mensch in seinem Lebenstrieb errichtet und erbaut, scheint in meinen Augen nichts besser und wertvoller zu sein als die Brücken", schrieb einst der Dichter Ivo Andric.

Brücken kann man abreißen, sprengen, bombardieren - in den Köpfen der Menschen bleiben sie bestehen und wirken fort. Brücken können unheimlich trotzig sein: Zum Beispiel die amerikanische Luftbrücke, mit der Berlin während der sowjetischen Blockade versorgt wurde. Diese Brücken-Konstruktion verfügte über die größte Spannweite aller Zeiten und hat wahrscheinlich einen Krieg verhindert. Sie wird als politische Meisterleistung in die Geschichte eingehen. In der Abteilung für intelligente Strategie verdient der Rosinenbomber einen Ehrenplatz (irgendwo neben dem trojanischen Pferd).

Brücken geben nach, schwanken im Wind, dehnen sich aus und ziehen sich zusammen. Sie passen sich an und sind zäh. Die Tiberius-Brücke über den Rubicone in Rimini ist nach 2000 Jahren noch gut in Schuss und sogar täglich in Gebrauch. Das kühnste bis heute erhaltene Brückenbauwerk stammt aus dem Jahre 18 vor Christus: Pont du Gard beim französischen Nimes. Das Aquädukt besteht aus drei übereinander liegenden Bogenreihen mit verschiedenen Funktionen: Unten verkehren Fuhrwerke und Reiter, darüber laufen die Fußgänger und ganz oben strömt das Wasser in der Leitung.

Brücken fördern die Ausbreitung von Stück- und Gedankengut

Der Bau einer Brücke bedeutet immer etwas nicht Umkehrbares. Denn sie verändert das Zusammenleben der Menschen auf Dauer.  Selbst wenn man ihnen die Brücke wieder wegnimmt, werden sie nicht mehr die alten sein. Zu allen Zeiten haben sich Potentaten, Fürsten, Bischöfe und Eroberer mit dem Bau einer Brücke ein Denkmal gesetzt. Mitunter schuf das Bauwerk politische und gesellschaftliche Fakten, die gar nicht in der Absicht der Erbauer lagen. Eine Brücke ist ja keine Einbahnstraße. Brücken fördern die Ausbreitung von Stück- und Gedankengut. Sie haben ansteckende Wirkung. Ihr Bau ist deshalb stets eine Gleichung mit mehreren Unbekannten.

Brücken durchdringen jeden Aspekt unseres Alltags bis hin zur Sprache. Es gibt "Eselsbrücken" und „goldene Brücken', Gegensätze sind „überbrückbar", häufig auch nicht. Und es kommen immer noch neue Wortschöpfungen hinzu. Die aktuellste, Zeichen der Zeit, nennt sich „Urlaubsbrücke".

Die Brücke im übertragenden Sinn ist ein dankbares Thema für Schriftsteller, Dichter und Schlagersänger. „Sur le pont d'Avignon", singen Franzosen. Die Deutschen: „Über sieben Brücken musst du gehen." Die Angelsachsen beschreiten eine „Bridge over troubled water". Die Germanen waren vom Regenbogen fasziniert, der schwerelosesten und ästhetischsten Brücke überhaupt. Erwählte und Götter benutzen den Regenbogen in der Myththologie als leuchtenden Pfad in den Himmel. Auch christliche Darstellungen aus dem Mittelalter zeigen Jesus, wie er vom Regenbogen herab über die Welt richtet. Der Papst trägt als Bischof von Rom den Titel „Pontifex maximus", ist mithin nach katholischem Glauben der größte Brückenbauer zwischen Himmel und Erde.

Wie alle guten Erfindungen beruht auch die Brücken-Konstruktion auf wenigen und einfachen Prinzipien. Als da sind: Balkenbrücke, Bogenbrücke, Hängebrücke. Nicht mehr, nicht weniger. Klar doch, Technikfreaks holen jetzt erst richtig Luft: Sie zählen die verschiedenen Zwitter-Konstruktionen auf, sie schwelgen in Bogenschub- und Schnittkräften, in Stütz-, Torsions- und Biegemomenten, sie sezieren Rollenlager und Zugbänder. Für den Laien wird all dies ein Geheimnis und ein Mysterium bleiben. Auch weiterhin wird, bei aller Bewunderung für die Kühnheit der Konstruktion, ein wenig Angst mitschwingen und viel Sehnsucht.

Brücken sind untergründig anziehende Wesen

Brücken sind untergründig anziehende Wesen und somit Magnete für Selbstmörder. Seit dem Jahr 1937 haben sich beispielsweise von der Golden Gate Bridge in San Francisco weit über 1000 Menschen zu Tode gestürzt. Der Selbstmordexperte  Richard Seiden erklärt sich da so: “Viele Lebensmüde haben diese romantische Vorstellung, dass sie bei einem Sprung von der Brücke von den Wellen verschlungen werden." In Wahrheit ist das Wasser beim Aufprall hart wie Beton. Der kalifornische Psychiatrie-Professor Jerry Motto vermutet: „Die Brücke hat für Selbstmordkandidaten einen ästhetischen, symbolischen Reiz."

In der Tat sind Brücken oft besonders schöne Bauwerke. Brücken gehören zur Baukunst so wie Kathedralen. Brückenbau ist Kunst und jede Brücke ist eine weithin sichtbare Plastik. Sie muss auf die Umgebung Rücksicht nehmen und sich mit ihr in Harmonie befinden. Es macht einen großen Unterschied für den Baumeister, ob eine Brücke in der Stadt steht, sich in ebenem Gelände erhebt oder sich über ein Gebirgstal streckt. Die Schonung der Landschaft und historischer Stadträume war den Brückenbauern schon immer Gesetz.

Häufig  wurden Brücken zu Leitbildern der Architektur-Entwicklung gemacht. Als George Stephenson am 27. September 1825 die erste Eisenbahnlinie eröffnete, war dies nicht nur ein technisches, sondern auch ein architektonisches Ereignis. Die Strecke führte über 18 Kilometer vom britischen Stockton nach Darlington. Zwischen den beiden Ortschaften mussten gleich zwei Eisenbahnbrücken gebaut werden. Die beiden ungewöhnlichen eisernen Konstruktionen waren die eigentlichen Stars des Tages. Hunderte von Schaulustigen hatten sich an ihrem Fuße versammelt. Beim Anrollen der dampfenden Lokomotive stockte allen der Atem und sie waren voller Zweifel: Hält dieses filigrane Metallgerüst?

„Tand, Tand ist das Gebild von Menschenhand."

Die Ehe zwischen Eisenbahn und Brücke wurde eine im wesentlichen feste Beziehung, wenn man von wenigen Katastrophen absieht, die aber psychologisch nicht vernachlässigt werden dürfen. Die berühmteste: Am 28. September 1879 stürzte in einem Orkan die drei Kilometer lange schottische Tay-Bridge ein. Bei ihrer Eröffnung war sie die längste Brücke der Welt. Ein Zug mit 75 Passagieren stürzte in die Fluten. Der deutsche Dichter Theodor Fontane ließ in seiner Ballade „Die Brücke am Tay" die drei Sturmhexen die inzwischen geflügelten Worte sprechen: „Tand, Tand ist das Gebild von Menschenhand."

Es wird dem Betrachter auch hierzulande und heutzutage noch ganz schummrig, wenn er beispielsweise zur 107 Meter hohen Müngstener-Talbrücke bei Solingen emporblickt. Der lichte Stahlbogen ist immer noch Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke und hat sich längst bewährt. Seit der Einweihung im Juli 1897 haben unzählige Züge hier die Wupper überquert - und tun es auch weiterhin. Der Bau hält selbst den heutigen Verkehrsanforderungen stand. Tragik des Schicksals: Der Chefingenieur stürzte sich seinerzeit vor der Einweihung von der Brücke. Er glaubte, einen verhängnisvollen Rechenfehler entdeckt zu haben.

Warum ist die Geschichte der Eisenbahn eigentlich so aufs innigste mit der Kunst des Tunnel- und Brückenbaus verbunden? Ganz einfach: Große Steigungen sind von Übel. Flach wie ein Pfannenboden muss die Eisenbahnstrecke sein und möglichst gerade, wie mit dem Lineal gezogen. In gebirgigen Ländern helfen da nur Tunnel und Brücken. Die Erfindung der Eisenbahn bescherte dem Brückenbau somit einen Boom ohnegleichen.

Die Bahn, ihre Brücken und Tunnel waren stets Ausdruck eines eisernen Willens, der sich immer einen Weg schafft. So entstand oft eine patriotische Dimension, mitunter wurde sie auch ganz bewusst forciert. In Amerika und Russland, wo der Bau der ersten großen Strecken mit der Erschließung und Eroberung des riesigen Raumes zusammenfiel, wurden sie zum Mythos. Und der Mythos fasziniert die Menschen noch immer. Im Herzen Europas errichteten beispielsweise die Franzosen die größte Hängebrücke der Welt über das Tal der Tarn. Höher als der Eifelturm und länger als die Goldengate-Bridge bietet das Bauwerk mitunter ein einmaliges Erlebnis: Mit dem Auto über die Wolken zu fahren.

Foto: Frank Schulenburg CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 01.01.2017

Ein Teil der Brücken über den Rhein können derzeit ihre verbindende Funktion nicht mehr erfüllen, zumindest für den Schwerlastverkehr. Und während man sich schwer tut, ein funktionierendes Konzept der Sperrung durchzusetzen, Sanierung und Planung von Ersatzbauten ihre Zeit kosten, bauen die Chinesen zügig und effizient, und was die “Hochbrücke” angeht, auch sehenswert. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß sie sicher ebenso zügig und erfolgreich die hiesigen Infrastrukturprobleme in diesem Bereich beheben würden, wobei allerdings in deren Planungen Eingaben und Beschwerden von Umwelt- und sonstigen Aktivisten sicher keinen Raum haben.

Uwe Wilken / 01.01.2017

Prost Neujahr, Herr Maxeiner, hier zwei Besserwissereien: der Ponte d`Augusto quert nicht den Rubicone, sondern einen Altarm der Marecchia. Und dass sich der Baumeister der Müngstener Brücke verrechnet habe und sich von der Brücke stürzte, ist eine Legende, Ihrem Link folgend nachzulesen bei Wikipedia. Ich hoffe, im Neuen Jahr noch viel von Ihnen zu lesen.

Julia Westermann / 01.01.2017

Wunderbarer Artikel zu der Bedeutung von Brücken über die rein technischen Aspekte hinaus! Zur Müngstener Brücke eine kleine Korrektur: Dass sich der Baumeister wegen Fehlberechnungen von der Brücke in den Tod stürzte, ist ein Mythos. Er starb erst 30 Jahre nach Fertigstellung der Brücke eines natürlichen Todes. Allen Autoren und Lesern von Achgut wünsche ich ein glückliches Neues Jahr mit hoffentlich positiven Entwicklungen in unserem Land und der Welt. Julia Westermann

Wilfried Cremer / 01.01.2017

Es gäbe auch längst eine Brücke über Fehmarn nach Skandinavien, wenn nicht die Grünen mit ihren Wahnvorstellungen unser Land im Würgegriff hielten. Die Brücke hätte angeblich Vögel irritieren können. Bezüglich der Vögel und Fledermäuse, die an Windrädern verenden, werden dagegen tunlichst die Pobacken zusammengekniffen, damit möglichst kein Furz von Info abgeht. Jetzt aber bauen die Dänen alleine - einen Tunnel. Die deutsche Technikfeindlichkeit, die z.B. in Einsprüchen und Bauverzögerungen durchschlägt, ist das Erbe Heideggers und seiner Entpersonifizierung von Schuld.

Arnd Siewert / 01.01.2017

Danke für diesen “Sachertorten” Beitrag und ein frohes neues. Schön wäre die Möglichkeit die Artikel auch über whatsapp empfehlen zu können.

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