Dirk Maxeiner / 30.04.2017 / 06:25 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 4 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: High Noon in Outlet-City

Leicht ermattet lässt sich das junge Paar auf eine Bank vor der Espressobar am Lindenplatz sinken. „Boss und Diesel hätten wir schon mal abgehakt“, sagt er. Er spricht in jenem zufriedenen Ton, den der Tourist andernorts nach dem Besuch der Uffizien oder des Louvre anschlägt. Sie schaut derweil in den Plan auf ihrem Mobiltelefon und fasst weitere Ziele ins Auge: „Als nächstes machen wir Lacoste, dann Strenesse“. Die beiden stammen aus der Schweiz und ihr Outfit verrät den gehobenen Geschmack von Menschen, die mit ihrer Kleidung ein Zeichen setzen wollen. Am Nachbartisch lärmt eine gut gelaunte Gruppe Italiener. Man muss sie einfach um ihre Sprache beneiden, schon weil sie so unnachahmlich „Arrrmaaani“ aussprechen.

Die Hälfte der Stühle ist mit Einkaufstüten edler Provenienz besetzt, nicht mehr als eine Armlänge Abstand zum Besitzer. Der Homo-Klaumirnix schlürft seinen Espresso ohne seinen Besitz dabei auch nur eine Sekunde aus dem Auge zu lassen. Bei Paaren sind geradezu archaische Verhaltensweisen zu beobachten. Er beschafft an der Selbstbedienungstheke die Nahrung, während Sie über die Einkauftüten wacht wie ein Adler über die Brut.

Der Homo-Klaumirnix ist mir bisher eigentlich eher in Italien aufgefallen, dort tritt er als der gemeine deutsche Autoverriegler auf. Er ist rein äußerlich am gehetzten Blick erkennbar und tritt meistens in Symbiose mit einem Brustbeutel oder einer Gürteltasche auf. Sein Erscheinen folgt meist einem festen Ritus. Und der geht in etwa so: Neuer Audi, hintere Seitenscheiben mit Handtuch verhängt,  Kennzeichen aus Paderborn, biegt auf Piazza ein. Umhersuchende Fahrweise. Entdeckt Parkplatz unmittelbar neben einem Pizzatisch. Hält dort an, Kinder springen raus und besetzen Pizza-Tisch.

Papa räumt Wertsachen in den Kofferraum. Mama fährt alle Scheiben hoch und versteckt eine "ADAC-Motorwelt" unterm Sitz. Papa schaltet Alarmanlage gefechtsbereit und betätigt anschließend Zentralverriegelung. Überprüfendes Rütteln an sämtlichen Türen und Hauben. Papa liest mit einem Auge die Speisekarte und sichert mit dem anderen den Audi. Mama hat Sonnenbrille im Auto vergessen und denkt nicht an Alarmanlage. Sirene heult los und lässt sich nicht abstellen. Drei Minuten Fliegeralarm. Papa entnervt, Mama träumt von Dänemark.

3,6 Millionen Tagestouristen in der schwäbischen Provinz

Aber zurück zum aktuellen Ort des Geschehens. Er hat keinen besonders wohlklingenden Namen, zumindest nicht in Deutschland. Andernorts schon, beispielsweise in Peking, Shanghai oder auch Riad. Auf hochdeutsch: Metzingen. Auf schwäbisch: Mäzinga. Auf neudeutsch: "Outletcity Metzingen". Der kleine Ort am Rande der schwäbischen Alb rangiert in der weiten Welt auf Augenhöhe mit Neuschwanstein, Rothenburg ob der Tauber und dem Hofbräuhaus. Die schwäbische Kleinstadt, etwa eine halbe Stunde vom Flughafen Stuttgart entfernt, gilt als feste Größe unter den internationalen Shopping-Destinationen. Mehr als drei Millionen Tagestouristen aus 185 Nationen brechen Jahr für Jahr in die schwäbische Provinz auf und blasen Halali bei der Jagd auf sogenannte Markenkleidung zu sogenannten reduzierten Preisen.

So wie sich in der Wüste von Las Vegas die Spielkasinos aneinanderreihen, so stehen hier die riesigen Outlet-Stores der großen Marken Wand an Wand. Der „Outlet-Strip“ hat allerdings ganz bodenständige Namen wie „Lindenplatz“,  „Reutlinger Strasse“ oder „Stuttgarter Strasse“. Die Größe der Kassenanlage im Haus "Hugo Boss" erinnert mich in Größe und Geschäftigkeit an die Mautstelle einer italienischen Autobahn, Hochsaison, kurz vor Rimini. Imposant sind auch die XXL-Einkaufstüten, in die mühelos die Schwiegermutter passt, falls man sie einmal entsorgen möchte.

Das Paar aus der Schweiz  parliert mit dem Kellner ein wenig auf italienisch, zahlt seine Espressi und greift nach den "Hugo Boss"- XXL-Tüten. Sie beschließen, ihre bisherige Beute erst einmal im Auto zu verstauen. Im Parkhaus an der Reutlinger Strasse weisen die Kennzeichen auf Besucher aus dem ganzen Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland hin, bemerkenswert ist auch die erhöhte Porsche-Dichte.

Marktforscher nennen den in Metzingen vorherrschenden Käufer-Typus „Smart Shopper“. Dessen Eigenschaften werden sogar schon im Online-Lexikon „Wikipedia“ beschrieben: Ein Smart Shopper ist ein Konsument, dessen Verhalten durch gleichzeitiges Streben sowohl nach Preisvorteilen als auch nach Qualität - beispielsweise hochwertige Marken - gekennzeichnet ist.“  Der idealtypische Metzingen-Kunde ist demnach Norbert Lammert auf der Suche nach Montblanc-Füllern. In einfacher Sprache könnte man auch sagen: Diese Sparbrötchen posen gerne im Porsche, neigen aber nicht dazu, die Rechnung für den Espresso auf zwei Euro aufzurunden.

Zwei zauberhafte Chinesinnen stellen sich in Positur

Vor dem Outlet von "Hugo Boss" stellen sich zwei zauberhaft lächelnde Chinesinnen für ein Foto in Positur – beinahe so als handele es sich beim Hintergrundgebäude um das Brandenburger Tor. Doch es bleibt garantiert nicht beim Erinnerungsfoto: Die Metzinger Stores machen mit den Käufern aus China jährlich genauso viel Umsatz wie die Geschäfte in unserer Bundeshauptstadt. Dafür sind die Bürgersteige in Metzingen deutlich sauberer als in Berlin, wobei das mittlerweile vermutlich sogar in Kalkutta der Fall ist.  Das Outlet in der schwäbischen Provinz beschämt in der Jahresbilanz sogar spektakuläre New Yorker Flagship-Stores. Alle Okkasions-Jäger, die nach Metzingen kommen, eint die Entschlossenheit auch tatsächlich Beute zu machen. Im Durchschnitt lässt jeder Besucher 400 bis 500 Euro an den Kassen.

Am Anfang stand der Personalverkauf der örtlichen Herren-Oberbekleidungs-Marke „Hugo Boss“. Auslaufende Kollektionen oder leicht fehlerhafte Ware wurden den Mitarbeitern zur stark herabgesetzten Preisen angeboten. Öffnungszeiten einmal die Woche für ein paar Stunden. Die Mitarbeiter brachten die Familie mit, die Familie die Freunde. Die Öffnungszeiten wurden immer länger, die Verkaufsflächen größer. Umsatz und Mund-zu Mund-Propaganda gingen irgendwann ab wie eine Mondrakete. In Frankfurt mieteten Jung-Banker Kleinbusse und fuhren mit ihrer Kreditkarte ins Schwäbische zum „Boss“. Inzwischen kommen sie auch aus London oder Moskau.

Man könnte fast meinen, Metzingen sei eine Freihandelszone. Wichtige Hinweisschilder und Beschriftungen sind auch in Arabisch, Chinesisch, Japanisch, Russisch oder Türkisch gehalten. Verkäufer- und Verkäuferinnen zeigen sich mit fremden Sitten und Gebräuchen mittlerweile so vertraut, wie jene auf einem internationalen Großflughafen.

Mich überkommt Klaustrophobie und ich will nur noch heim

Meinen persönlichen Versuch, einen Anzug zu erwerben, habe ich allerdings aufgegeben. Eine Auswahl von mehr als drei passenden Stücken überfordert mich seelisch, moralisch und überhaupt. Und hier gibt’s gleich Hunderte. Das ist nix für mich. Soll ich die etwa alle anprobieren? Ich bin eher der Typ für eine sozialistische Kaufhalle. Braun, grau oder blau? Blau bitte, danke und auf Wiedersehen. Geht hier aber nicht. 25 verschiedene Blaus! Mit Längsstreifen, Querstreifen, Karos und womöglich Blümchen. Spätestens nach der zweiten Anprobe überkommt mich Klaustrophobie und ich will nur noch heim.

Für Studenten der Sozialwissenschaften dürfte Metzingen hingegen ein ideales Exkursionsziel darstellen. Die Typologie der Käufer und die zugrunde liegenden evolutionsbiologischen Verhaltensweisen dürften allemal eine Doktorarbeit wert sein. 

Am interessantesten finde ich Gruppen, die sich per Mobiltelefon über die jeweils entdeckten Angebote informieren und auf diese Weise eine regelrechte Treibjagd nach Beutestücken organisieren. Rheinische Freundeskreise, russische Familienclans und japanische Busgemeinschaften zeigen über alle Kulturen hinweg exakt das gleiche Verhalten. Das liegt wohl am gemeinsamen evolutionären Erbe. Den Urmenschen in der afrikanischen Savanne zeigten die Geier den Weg zu frisch verendetem Großwild. Die schneller werdenden Beine garantierten ein Eintreffen bei der Beute, solange sie noch frisch war. Die Geier wurden inzwischen durch das Handy ersetzt und an die Stelle der Antilope tritt eine Wildlederjacke von Joop - aber ansonsten sind wir ganz die Alten geblieben.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Egon Hünxe / 30.04.2017

Wunderbarer Artikel! Danke !

Wilfried Paffendorf / 30.04.2017

Sehr geehrter Herr Maxeiner. Beim Lesen Ihres Artikels erinnerte ich mich an einen Fall aus meinem Bekanntenkreis, wo man mit seiner Rostlaube mehr als 70 Km (Freiburg i. Brsg. - Lörrach) fuhr, um zwei Jeanshosen im Sonderangebot zu kaufen. Ich war erstaunt, als der Bekannte mir freudestrahlend über seinen “Coup” berichtete. Natürlich habe ich ihm um des lieben Friedens willen die tatsächliche Kosten seiner Einkaufsreise nicht vorgerechnet. Und von einer Milchmädchenrechnung zu sprechen, wäre eine grobe Beleidigung der Milchmädchen. Man wundert sich, welche Art von Rechnung solche Menschen aufstellen, um zu einem “Einsparergebnis” zu gelangen. Meiner Meinung nach geht eine solche Rechnung nur auf unter der Voraussetzung einer fortgeschrittenen kognitiven Phimose.

Olaf Romer / 30.04.2017

Armes Konsumentenherz brennt und blutet..Könnte nicht immer Weihnachten sein..

Georg Dobler / 30.04.2017

Herr Maxeiner, Ihre literarischen Ergüsse sind einfach herzerfrischend gut. Der Vergleich der Sauberkeit von Berliner Gehwegen mit denen Kalkuttas ist echt gemein.  Interessant wirds auch wenn Sie mal mit Insidern (Schneider bei Boss) reden, da erfahren Sie, dass die Waren fürs Outlet extra angefertigt werden und nicht immer mit der Qualität der Ware in den Marken-Shops und Läden überall in der Republik identisch ist. Die Partner-Kaufhäuser und Läden würden sich dagegen verwehren dass die selbe hochwertige Ware im Outlet billiger verscherbelt wird.

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