Die Wochenendausgaben deutscher Tageszeitungen waren einst pralle Wundertüten, genauso schwer und fast so seitenreich wie Fjodor Dostojewskis "Schuld und Sühne". Das lag nicht etwa daran, dass die Redaktion so viel zu berichten hatte, sondern schlicht an der Rubrik "Kraftfahrzeuge". Tausende Automobile wurden dort feilgeboten, noch ohne Bild und deshalb mit umso fantasiereicheren Texten. Da solche Anzeigen auch noch teuer bezahlt werden mussten, entwickelte sich eine volkstümliche Kultur der plakativen Beschreibung in kurzer Form: Ganz ähnlich wie heute Tweets.
Die Tageszeitungen sind in dieser Hinsicht inzwischen so ausgetrocknet wie der Aralsee, denn die Karawane ist längst ins Internet weitergezogen, zu Portalen wie Autoscout24.de oder mobile.de. Gedruckt findet man heute nur noch kümmerliche Reste der einstigen Vielfalt. Schwarz auf weiß annoncieren sozusagen die letzten der Mohikaner, die sich trotzig der digitalen Kultur verweigern.
Das macht die Sache aber auch schon wieder interessant, weil hier ab und zu noch bemerkenswerte Funde gemacht werden können. Ihre Besitzer ignorieren nicht nur die digitale Welt, sondern legen auch sonst keinen großen Wert darauf, auf dem Laufenden zu sein. Gerade wer sich für ältere Fahrzeuge interessiert, trifft also auf Verkäufer, die ihre alte S-Klasse für einen betagten Gebrauchtwagen und nicht für ein hochwertiges Anlageobjekt halten.
Die Rubrik "Kraftfahrzeugmarkt" ist schon immer eine meiner Lieblingslektüren, Dostojewski ist mir zu sperrig. Ich will eigentlich gar kein Auto kaufen, sondern nur auf dem Sofa träumen und spinnen. Und deshalb sind mir die Kleinanzeigen – eagl, ob digital oder analog – als kurzweilige und unterhaltsame Lektüre ans Herz gewachsen. Sie erzählen von der Tragik des Alltags, die ja immer auch eine komische Komponente hat.
Meine Allzeit-Bestanzeige erschien vor ein paar Jahren (es können auch einige mehr gewesen sein) unter der Rubrik "Mercedes S-Klasse". Sie enthielt folgende Kurzgeschichte, die nach literarischer Aufarbeitung schreit: "MB Traummod. 1001 Nacht, 500 SEL autom., 187' km, Kühlschr. Minibar hinten, Hirschmannspoiler rundum... VB 9.000,-". Es fragt sich hier natürlich, was der Verkäufer sich so unter "1001 Nacht" vorstellte. Ich tippe mal auf das Märchen "Aladin und die Wunderlampe". In der modernen Interpretation führte dies offensichtlich zu einem Traum, in dem der geräumige Fond seiner S-Klasse, eine mysteriöse Wunderlampe, ein Kühlschrank und eine Minibar eine Rolle spielen. Ferner darf ich mutmaßen, dass eine Blondine vom Schlage der Pamela Anderson den Traum komplett machte.
Offensichtlich war die Sache aber niemals über das Traumstadium hinaus gediehen: Es fand sich keine Pamela (und wohl auch keine Gabi). Daran mag die Wunderlampe schuld gewesen sein, es könnte allerdings auch an den "Hirschmann Spoilern rundum" gelegen haben. "Hirsch" und "Mann" klingt zwar prinzipiell gut. Die Gruppe von jungen Damen, die auf solch erlesenes Zubehör in Verbindung mit einem alterschwachen Mercedes anspricht, ist meiner Erfahrung nach aber ausgesprochen überschaubar.
Der Hirsch im 500 SEL dürfte diese Lektion auf den Balz- und Parkpläzen regionaler Diskotheken mühevoll gelernt haben. Er weinte alleine im Fond seiner Limousine und dachte bei einem gekühlten Scotch über die Ungerechtigkeit dieser Welt nach. Das Erstaunlichste an der Veröffentlichung seiner Lebensgeschichte war allerdings, dass er sie nicht unter Chiffre, sondern unter Angabe seiner vollen Telefonnummer vornahm. So was nennt man Mut.
Die Wortwahl "umständehalber" kündet von schweren Schicksalen
Immer wieder aufschlußreich sind auch Tauschanzeigen. Also beispielsweise: "Maserati-Biturbo, umständehalber gegen Kleinwagen, vorzugsw. Polo zu tauschen gesucht." Die Wortwahl "umständehalber" soll beim Leser den Eindruck erwecken, der Fahrzeugwechsel erfolge aufgrund der Tatsache, dass die Freundin des Verkäufers sich in anderen Umständen befinde und nun ein preiswertes und familientaugliches Automobil angeschafft werden müsse.
Einer näheren Überprüfung halten solche Legenden im Regelfall nicht stand. Dennoch sollte man gegenüber den Verfassern dieser Anzeigen Milde walten lassen. Denn dahinter verbergen sich die ganz herben Schicksale: Junge begeisterungsfähige Menschen ließen sich trotz Warnungen aller Gutmeinenden zum Kauf eines alternden Exoten verführen. Nachdem befreundete Kraftfahrzeugmechaniker das Telefon nicht mehr abheben, führt dies innerhalb von etwa sechs Monaten zum vollständigen finanziellen Ruin. Daraus resultiert die unstillbaren Sehnsucht nach Ruhe und einem zuverlässigen Kleinwagen.
Die Überschrift "Traumauto für Frauen" wird gewöhnlich für einen ganz banalen Kleinwagen verwendet, der zu einem überhöhten Preis losgeschlagen werden soll. Der Verkäufer hält Frauen schlichtweg für die blödere Bevölkerungshälfte und möchte ihnen sein ausgelatschtes Cabriolet andrehen. So etwas muss durch konsequenten Boykott bestraft werden. Zur prinzipiellen Vorsicht rate ich bei Anbietern, die mit Argumenten wie "sportl. Aussehen", "BR" (Breitreifen) oder "weiße Sonderlackierung" werben. Solche Menschen schrecken vor nichts zurück. Noch nicht einmal vor einer Fototapete im Wohnzimmer.
In der kalten Jahreszeit besonders beliebt ist der Ausdruck "Winterauto". Dahinter verbirgt sich in der Regel ein Automobil für ein paar hundert Euro. Vorgeblich soll es den Käufer preiswert über den nächsten Winter bringen. Das tut es natürlich nicht. Der Verkäufer führt in Wirklichkeit etwas ganz anderes im Schilde: Er will sein Vehikel noch schnell loswerden und Entsorgungskosten sparen, bevor es im Winter zusammenbricht. Der Erwerb eines "Winterautos" macht deshalb allenfalls im Frühjahr oder Sommer – also jetzt – Sinn. Und das auch nur für denjenigen, der auch sonst etwas für Thrillsporarten übrig hat.
Meine Interessensgebiete haben sich inzwischen übrigens erweitert, ich schaue auch schon mal nach Immobilien-Anzeigen und gebrauchten Möbeln. Da lässt sich sehr schön über Begriffe wie "hochwertige Sanierung" und "Designer-Sofa" philosophieren. Ich komme demnächst darauf zurück.