Dirk Maxeiner / 03.01.2016 / 12:30 / 2 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer (3): Verlorene Biotope

Kürzlich führte mich eine Reise nach Argentinien. Irgendwo an der einsamen Landstraße zwischen Cordoba und Buenos Aires, traute ich meinen Augen kaum. Mitten in der Pampa baute sich wie eine Wagenburg ein mächtiger Schrottplatz auf. Auf der staubigen Fläche versammelten sich überwiegend europäische und amerikanische Autos der fünfziger und sechziger Jahre, aber auch Vorkriegsmodelle. Die Einfuhr neuer Fahrzeuge wurde lange Zeit mit hohen Strafzöllen geahndet, also wurden die alten Fahrzeuge bis ins hohe Alter bewegt. Auch heute noch wimmelt es auf dem Land von Oldtimern, die auf der Strasse ergrauten. Viele stehen auch heute noch ächzend jeden Morgen mit ihren Besitzern auf und fahren zur Arbeit. Selbst in Buenos Aires ist es noch möglich ein Peugeot-504 Taxi mit einer Million Kilometer auf dem Tachometer heranzuwinken.

Der verwunschne Schrottplatz in der Pampa rief bei mir sofortige Erinnerungen an die Kindheit hervor. Ich bin sozusagen mit einem Schrottplatz aufgewachsen. In unserem Keller stand ein demontierter Vorkriegs-Hanomag, den sein Besitzer dort im Krieg versteckt hatte. Einen schöneren Kinderspielplatz kann ich mir bis heute nicht vorstellen. Hierzulande ist der klassische Autofriedhof ja längst eine vom Aussterben bedrohte Art und die oft romantische Erinnerung an diese letzten automobilen Ruhestätten verblasst allmählich.

Die Branche hat technisch und semantisch aufgerüstet, der Schrothöker von heute verwaltet seinen Lagerbestand mit dem Computer und nennt sich Recycling-, Verwertungs- oder Entsorgungsbetrieb. Das fördert das Image, nicht aber die Artenvielfalt. Der traditionelle Schrottplatz war nämlich auch ein Biotop für seltene Gewächse. Das ist zunächst einmal ganz wörtlich zu nehmen: So stellte sich einmal bei einer Biotopkartierung der Stadt Frankfurt heraus, dass ausgerechnet auf dem Gelände einer Gebrauchtwagenhalde eine besonders hohe Vielfalt an Pflanzen und Tieren anzutreffen war. Und dabei sind noch nicht einmal jene ausgeprägten Formen menschlicher Eigenart berücksichtigt, die solche Einrichtungen traditionell hervorbrachten. Ein gewisser Hang zur Anarchie und die ostentative Ablehnung bürgerlicher Umgangsformen gehörten zum genetischen Erbe der Branche. Die Fähigkeit Messer und Gabel korrekt zu gebrauchen, machte eine Person sofort verdächtig. Menschen ohne Altölränder unter den Fingernägeln mussten sich das Vertrauen dieser scheuen Spezies mühsam erdienen.

 

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Andrea Reich / 03.01.2016

Der Name Biotop für die treuen Schätzchen trifft den Sachverhalt genau. Ich bin selbst seit 25 Jahren Besitzerin eines VW Golf II aus 3er Hand, der mich trotz seiner knapp 400 000km noch mit erstem Motor noch nie im Stich gelassen hat. Ich bedaure sehr, daß in Deutschland die Biotope der letzten Ruhestätten so wenig Anerkennung und Anhänger finden, denn dadurch wird es zunehmend schwierig, passende, lebensverlängernde Teile zu finden. Ich bin überzeugt, daß in der Summe über die Nutzungszeit die Ökobilanz so eines zuverlässigen altgedienten Schätzchens ohne Elektronik und Kunststoff(müll) nicht schlechter abschneidet als ein “modernes” Fortbewegungsmittel mit einer angedachten Lebenszeit von etwa 10 Jahren. Argentinische Ökonomen sind mir sympatisch.  

Rolf Menzen / 03.01.2016

Ein Taxi mit ner Million Kilometer auf dem Zähler ist aber auch in Deutschland keine Seltenheit. So ne Droschke läuft locker ihre 100.000 km pro jahr. Da ist die Million schnell erreicht.

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