Dirk Maxeiner / 03.04.2016 / 10:00 / Foto: Richard Arthur Norton / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Mit dem Moped beim Premierminister

Mal angenommen, Walt Disney bekäme den Auftrag, England nachzubauen: Das Resultat wäre Bermuda. Im Schatten der Palmen regeln Bobbies den Linksverkehr und schwitzen. Kein Wunder, dass ich während eines Aufenthaltes dort ständig an den Morris Minor Traveller denken musste, den ich zuhause seit einiger Zeit von einem vielbeschäftigten Freund in Pflege habe. Er wäre genau das richtige Auto für diese Gegend. Doch Ausländer dürfen auf Bermuda gar nicht erst hinters Steuer, Leihwagen sind verboten, die Inseln einfach zu klein. Nur Mopeds können gemietet werden.

So verdanke ich einem Yamaha-Moped die Wiederentdeckung der Schräglage. Wobei die jungen Bermudianer, besonders die mit afrikanischen Wurzeln, einen ganz besonderen Fahrstil entwickelt haben. Man könnte ihn afrozentrisch nennen. Und das geht so: Man setze sich ganz weit hinten auf die Sitzbank und zwar nur mit der linken Hälfte des Gesäßes. Der Lenker wird nur vom rechten Arm gehalten, wobei der Ellenbogen weit nach unten zeigen muss. Dies visualisiert die ganz offene Drosselklappe. Jede Bewegung des Gasgriffs wird zu einem dramatischen für jeden sichtbaren Stakkato im Arm. Die Geschwindigkeit darf nicht kontinuierlich, sondern nur durch rhythmischen Wechsel zwischen Leerlauf und Vollgas geregelt werden. Zu empfehlen ist weiterhin eine leichte Windjacke, die sich schon bei geringem Tempo im Rücken mächtig aufbläht. Ich brauchte ein paar Tage zur Vervollkommnung meines Bermuda-Stils, was von den Erwachsenen mit maßlosem Erstaunen und von der schwarzen Jugend mit Verunsicherung aufgenommen wurde.

Bermuda besteht aus 133 Inselchen, alle zusammen sind halb so groß wie Sylt und doppelt so englisch. Bermuda ist ein Biotop unerschütterlicher Engländer und flüchtiger Milliardäre. So lebte die Upperclass in England vor 100 Jahren. Nur selten beeinträchtigt der deprimierende Anblick hart arbeitender Menschen die Aussicht aufs Meer, einmal abgesehen von Butlern oder Gärtnern (also Pflegeberufen).

Ein besonders schönes automobiles Erlebnis hatte ich in dem Bonsai-Britannien übrigens bei meinem ersten Besuch 1994, lang ist's her. Auf dem Weg zum Strand sehe ich dieses blau-weiß gestreifte Zeltdach. Darunter spielt das Orchester vom Bermuda-Regiment. Eine Tea-Party. Ich schlendere über den Rasen. Allerdings lässt meine Garderobe zu wünschen übrig: Strandlatschen und Badeshorts. Eine elegante Dame erkennt den Fremden in mir und stellt sich vor: „I am Lady Swan." Das hilft mir nur wenig weiter, deshalb ruft sie ihren Gatten zu sich. „Dies ist mein Mann", sagt Lady Swan, „der Premierminister." Ich verstehe und beginne langsam, aber sicher im Boden zu versinken.

Ich stelle mich als Journalist vor. Dies zieht keinen Rausschmiss, sondern eine Einladung in die offizielle Residenz nach sich, es ist wirlich lange her. Wir schreiten die breite Wendeltreppe hinauf. Meine Strandlatschen untermalen die Konversation: flip, flop, flip, flop. Im Salon werde ich in einem gelben Sofa untergebracht. Dort saßen vor mir George Bush und die Queen, König Fahd und Marschall Tito, allerdings keiner von ihnen in der Badehose.

Das Geheimnis hinter meinem Sonderempfang: Der Premierminister will mit mir über deutsche Autos fachsimpeln. So leistet er sich als Staatskarosse einen alten Siebener-BMW. Nun ist auf Bermuda (350 Meter Autobahn) normalerweise kein Auto mit mehr als zwei Liter Hubraum zugelassen. In einer zähen Parlamentsdebatte erstritt der Premier eine Ausnahmeregelung. Die Opposition sprach von „einem Powerboot im Swimmingpool". Doch der Premier gelobte, sich strikt an das örtliche Tempolimit zu halten: 35 km/h. Very, very British.

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