Hansjörg Müller / 23.11.2014 / 07:00 / 5 / Seite ausdrucken

Der Präsident als Desperado

Vermutlich nahm das Unglück des Barack Obama an dem Tag seinen Lauf, an dem er beschloss, sich um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten zu bewerben. Ein erfolgreicher Rechtsanwalt, gutaussehend und eloquent, hatte er es bis zum Senator des Staates Illinois geschafft, in ein Amt, das – oh welche Symbolik – auch Stephen A. Douglas, der grosse Gegner des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln, innegehabt hatte. Ein Posten, auf dem Obama in Ehren hätte alt werden können.

Als Präsident war ihm wenig Erfolg beschieden. Als grosse innenpolitische Errungenschaft seiner Amtszeit gilt eine Gesundheitsreform von derart furchterregender Komplexität, dass nicht einmal Experten sagen können, wie sie sich auf Dauer auswirken wird. Schlimmer noch sieht es in der Aussenpolitik aus: Obamas Zurückhaltung ist vor dem Hintergrund militärischer Abenteuer seines Vorgängers George W. Bush verständlich, doch hat sie dazu geführt, dass die Schurken dieser Welt, vom russischen Präsidenten Putin bis zu den Kopfabschneidern des Islamischen Staates, nahezu widerstandslos schalten und walten können.

Am Donnerstag nun hat Obama in einem Akt politischen Desperadotums seine Präsidentschaft vollends gegen die Wand gefahren: Seine Entscheidung, ohne Zustimmung des Parlaments bis zu fünf Millionen papierlose Immigranten vor der Ausschaffung zu bewahren, mag aus humanitärer und ökonomischer Sicht sinnvoll sein. Doch dass er in so einer wichtigen Frage den Kongress übergangen hat, ist ein Hinweis darauf, dass sich Obama als Politiker aufgegeben hat.

«Der Präsident hat den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt», donnerte Lamar Smith, ein republikanischer Abgeordneter aus Texas. Das ist masslos übertrieben, doch eines ist richtig: Dem Kongress hat Obama den Krieg erklärt. Und dort werden die Republikaner ab Januar in beiden Kammern die Mehrheit haben. Wenn nicht ein politisches Wunder geschieht, wird Obama von nun an die lahmste aller lahmen Enten sein. So zerrüttet ist das Verhältnis zwischen Präsident und Parlament, dass sich in Washington für den Rest seiner Amtszeit kaum noch etwas bewegen dürfte.

Eine Katastrophe ist das nicht: Die Wirtschaft wächst, also ist es das beste, wenn sich die Politik so wenig wie möglich einmischt. Für Obama aber, der mit dem aktivistischen Anspruch antrat, ein anderes, besseres Amerika zu schaffen, muss der politische Stillstand ein persönliches Drama sein. Zwei Jahre hängt er noch an der Präsidentschaft – und die Präsidentschaft an ihm. Womöglich zählt keiner ungeduldiger die Tage als der Mann im Weissen Haus.

Erschienen in der Basler Zeitung: http://bazonline.ch/ausland/amerika/Der-Praesident-als-Desperado/story/22268386

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Andreas Mertens / 24.11.2014

Ich werde sicher Niemandem zunahe treten wenn ich mal ins Blaue behaupte, das Obamas Vorganger in den Augen unserer Medienschaffenden “nicht ganz das Gelbe vom Ei” waren.  Selbiges trifft wohl auch zu wenn ich konstatiere das ein Großteil der Medienschaffenden in D-Land eine gewisse, wenn nicht gar unverhohlene,  Abneigung gegen die USA offen zur Schau tragen. Man könnte zuweilen sogar von einem haßgeifernden Verbal-Raptus sprechen. Da Herr Obama (scheinbar) für Alles stand was die Präsidenten vor ihm nicht waren. Da dies unseren Meinungsbildnern in ihrer ans sakrale anmutenden Deutungshoheit mehr als nur zu pass kam wurde er unisono glorienumkränzt auf ein himmelhohes Postament gehoben. Jetzt erwies es sich die Realität allerdings als recht hartnäckig gegenüber den Medienwünschen. Sowohl für Herrn Obama und ganz besonders für unsere Medienmacher. Jene habten sich in ihrem Drang dem orwellschen Wahrheitsministerium alle Ehre zu machen, doch recht weit vergallopiert. In Wahrheit war Herr Obama´s politischer Stern immer ein recht blasses Licht unter der Sonne. Er hat den USA geschadet, der Demokratie, seienr eigenen Partei und welchen Schaden sein Wischi-Waschi-Appeasement international angerichtet hart, werden uns zukünftige Soldatenfriedhöfe zeigen.

Christopher Reiss / 24.11.2014

Was für ein politischer Versager. Aus Gründen der Humanität und ökonomischer Vernunft übergeht der amerikanische “Desperado” einfach so den Kongress, der sich in den letzten Jahren mit dem mächtigen republikanischen Einfluss doch so kooperativ und stets gesprächsbereit zeigte. Gut, vor gar nicht allzu langer Zeit haben 3-4 Tea Party-Leute mit dem Gewehr in der Hand und der Bibel am Anschlag das komplette Land in einen erpresserischen Schwitzkasten genommen, aber dies war für einen Republikaner wie Lamar Smith natürlich kein Grund von “Kriegserklärung” zu sprechen. Das Land fast die “Fiskalklippe” runterstürzen zu lassen war selbstredend demokratische Basisarbeit und ein versuchter Brückenschlag zwischen Kongress und Präsident. Die Wirtschaft brummt inzwischen wieder nachdem der Bush-Motor ausgetauscht wurde, und mit seiner Gesundheitsreform hat Obama einen Meilenstein gesetzt, der die USA sozialpolitisch ins 21. Jahrhundert verfrachtet hat. Nach ein paar peinlichen Startschwierigkeiten fluppt das Ganze inzwischen recht ansehnlich, das Hui-Bu-Schreckgespenst “furchterregende Komplexität” kann nicht einmal in der Kindergeisterbahn mehr jemanden erschrecken. Obamas vermeintliche aussenpolitische Zurückhaltung kann vermutlich nicht von jedem Terroristen oder jeder pakistanischen Hochzeitsgesellschaft bestätigt werden, nachdem amerikanische Luftpost ihr Ziel erreichte/verfehlte. In einem ganz speziellen Fall hatte die amerikanische Führung es sogar für nötig befunden auf alttestamentarische Nachnahme zu bestehen. “Justice has been done.” Obama muss sich auf Grund seiner Position den Vorwurf gefallen lassen die Büchse der “IS”-Pandora nicht wieder geschlossen zu haben, die der “Mission-accomplished”-Ego Shooter der Vorgängerregierung geöffnet hatte. Auch jahrelang einen eitlen russischen Bären in dessen Wahrnehmung am Nasenring durch die Manege zu ziehen war keine Glanzleistung. Der aufgereizte Problembär soll nun von Frank-Walter Steinmeier wieder eingefangen werden. Na denn. Obama ist schuldig im Sinne der Anklage – er konnte anders als versprochen nicht übers Wasser gehen.

Jens Taipei / 23.11.2014

Das klingt in der Welt- nicht gerade ein Freundesblatt von Obama - aber heute doch bedeutend wohlwollender http://www.welt.de/politik/ausland/article134603414/Barack-Obama-ist-vieles-aber-nicht-gescheitert.html

Uwe Mildner / 23.11.2014

Nachdenklich, einleuchtend, und doch ist diese Präsidentschaft etwas sehr besonderes bis zum letzten Tag. Eine Präsidentschaft der freiheitlichen Demokratie USA. Da sieht es doch in old Germany ganz anders aus, sozusagen alternativlos. Und die Mehrheit scheint daran zu glauben. Ich jedenfalls bin auf die noch zwei Jahre Präsidentschaft Barack Obama gespannt.

Ludwig Reiners / 23.11.2014

Ich würde - persönliche Meinung - Putin nicht zu den “Schurken der Welt” zählen. Zu diesen zählen doch eher diejenigen, die den Sozialismus ungeachtet seiner immer gleichen Auswirkungen für die Menschheit befördern.

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