Es ist die Osterüberraschung der Demoskopie: Die Linke fällt in den Umfragen auf die magische Marke von zehn Prozent zurück. Während Union und Liberale frühlingshaften Zuspruch erhalten wie der Osterhase, verlieren Lafontaine, Gysi & Co., als seien sie der Winter selbst. Laut Forsa sind die Zustimmungswerte für die Linke auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren gefallen. „Und es wird jede Woche weniger“, heißt es aus den Umfrageinstituten.
Man reibt sich die Augen: Eine fiese Finanzkrise, arrogante Banker, der Kapitalismus vor dem Kollaps – nie schien die Lage so günstig für linke Gemüter. Darum kamen sie im vergangenen Herbst auch wie Dinosaurier aus ihren ideologischen Museen gestampft und spielten für einige Wochen noch einmal Revoluzzerparty. Doch vollkommen erfolglos. Nichts passiert, wovon die Linke kurz geträumt hat. Der Kapitalismus geht nicht unter, die Revolution fällt wieder einmal aus, denn offene Gesellschaften lernen aus ihren Fehlern. Unter den Spätsommer-Spontis macht sich tiefe Enttäuschung breit, denn selten ist ein politischer Stimmungsballon so rasch geplatzt.
Fast alle politischen Beobachter hatten Anfang September noch gewettet, dass nun Oskar Lafontaines Linkspartei ebenso schnell aufsteigen werde wie die Aktienkurse fallen. Die alten Seilschaften von Genossen machten Stimmung wie seit dem Nato-Nachrüstungsbeschluss nicht mehr. Alle raunten von einer „Zeitenwende“, manche gar von einem „zweiten Mauerfall“. Ein halbes Jahr später aber hat es weder eine Zeitenwende gegeben noch einen Mauerfall.
Die gefühlte Stimmung der Genossen und die tatsächliche des Volkes entwickelt sich genau in die entgegen gesetzte Richtung. Das Volk reagiert im Angesicht einer drohenden Rezession konservativ, es spart, scheut jede Veränderung, folgt der soliden CDU-Kanzlerin und hält sich an Bewährtes. Alles Linke hingegen riecht nach Konflikt und Risiko, wo die Mehrheit jetzt vor allem eines will: Sicherheit. Darum dümpelt die SPD in den Umfragen bei Mittzwanzigerwerten, und die Grünen liegen mittlerweile weit hinter der – vermeintlich so schlimm neoliberalen - FDP zurück, obwohl man gerade denen einen Absturz in der Wählergunst vorhergesagt hatte.
Dass es der polischen Linken überhaupt nicht gelingt, aus der turbulenten Lage Kapital zu schlagen, hat auch langfristige Gründe. Zum einen leidet die linke Gedankenwelt seit dem Zusammenbruch des Ostblock-Kommunismus immer noch am totalitären Erbe. Der real existierende Sozialismus hat mit seinen Hinrichtungskellern und Mauern den Langfristkredit der Moralität und Utopie nachhaltig geraubt. Linke Gesellschaftsvisionen klingen immer ein wenig nach der bleiernen Zeit des Ideologischen. Wenn die Linken also vorschnell von einem neuen „Mauerfall“ reden, dann verraten sie nur ihre eigene ideologisch-totalitäre Erblast.
Das zweite Problem der Linken bezieht sich auf das Vorbild. Sie können nicht sagen, wie ihr Beispiel aussieht, ohne sich die autoritären Regime des modernen Staatskapitalismus in China und Russland, Venezuela oder Nordkorea schönzureden. Denn nicht nur die historischen, auch die gegenwärtigen sozialistischen Vorbilder sind allesamt blutig. Dieses Dilemma wirkt vor allem in Deutschland, wo die Erinnerung an die DDR bei vielen Menschen eben viel vitaler ist, als Linke das wahrhaben wollen.
Das dritte Argument für die ausbleibende Resonanz linker Ideologien liegt im fehlenden Modernisierungsversprechen. Linkssein hieß für eine lange Phase im 19. und 20. Jahrhundert auf der Seite des Fortschritts stehen. Seit zwanzig, dreißig Jahren aber haben sich die linken Parteien der westlichen Gesellschaften vor allem als Retardierungsinstanzen profiliert. Sie wollen den Modernisierungsschub der Globalisierung im Wesentlichen bremsen, sind technologieskeptisch geworden und stehen damit nicht mehr auf Seiten der avantgardistischen Evidenz. Vor allem die Gewerkschaften wirken wie steinerne Trutzburgen des Anti-Modernismus. Linkssein klingt daher selbst in günstigen Phasen des Zeitgeistes irgendwie nach Gestern. Vor allem für Intellektuelle und Künstler ist das unattraktiv. Einstmals galt: „Der Geist steht links.“ Später erklärten dann die Neo-Konservativen: „Der Geist steht Links, aber Rechts bewegt er sich.“ Heute steht der Geist nicht einmal mehr links.