Die Deutschen bekommen immer weniger Kinder, lautet die Nachricht, die wir kurz vorm Weihnachtsbraten aufgetischt bekommen vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Bemerkenswert ist die Ursache, die das BiB den kinderlosen Paaren beziehungsweise den Frauen für ihre Enthaltsamkeit entlockte: Die potentiellen Mütter befürchten, den gesellschaftlichen Idealen nicht gerecht zu werden, wenn sie trotz Kindern weiterhin arbeiteten.
Bemerkenswert zunächst, weil dieser Ursachenbereich endlich wegführt von der Chimäre, dass es vornehmlich materielle, finanzielle oder organisatorische Gründe seien, die junge Menschen hierzulande vom Kinderkriegen abhalten. Auch wenn längst nicht für jeden einen Kita-Platz gibt, das Einkommen Einbußen erleidet und auch die Flexibilität der Arbeitgeber sicher zu wünschen übrig lässt: Alle drei Bereiche sind in den letzten Jahren eher besser als schlechter geworden, das völlig unsinnige, weil absehbar erfolglose Betreuungsgeld ist nur ein Beispiel unter vielen.
Bei mir schleicht sich dennoch ein ganz anderer Verdacht ein: Dass die Gesellschaft rings um die befragten Frauen – gerade wenn es um die Mittelschicht geht, bei der das Kinderkriegen besonders eingebrochen ist – von diesen angeblich verlangt, sie sollten mit dem Kind zu Hause bleiben, entspricht meiner Beobachtung ganz und gar nicht. Die vielzitierte Rabenmutter spielt im Diskurs der urbanen Mittelschicht nur eine unbedeutende Nebenrolle.
Mutter und Beruf ist heute nicht verpönt, sondern eher Bedingung für Mütter, um die gesellschaftliche Anerkennung aus dem Umfeld beizubehalten, und genau da liegt das Problem. Das Umfeld besteht nämlich immer mehr aus Kinderlosen, die ihrer Karriere nachgehen. Und die sich über diejenigen aus ihrem Freundeskreis, die den Job vorübergehend ruhen lassen, auch mit dem Risiko, ihn ganz zu verlieren, nur allzu gern erhaben geben – innerlich, aber allzuoft und allzugern eben doch auch spürbar. Nicht zuletzt auch aus einem Selbstschutz heraus, gar nicht erst in Kinderneid zu verfallen.
Was fehlt, ist genau umgekehrt die gesellschaftliche Anerkennung derjenigen Frauen, die zu Hause bleiben, vorübergehend oder bei mehr als zwei, drei Kindern womöglich auch länger oder ganz. Das ist die epochale Veränderung, die in den letzten vier, fünf Jahrzehnten dafür sorgte, dass hierzulande der Mittelschicht die Kinder ausgehen. Und die nach meinem Dafürhalten auch dafür sorgt, dass die Frauen gar nicht auf die Idee kommen, bei den Umfragen anzugeben, dass sie womöglich lieber für eine Zeit zu Hause blieben. Sie wollen es nicht wollen, weil etwas anderes von ihnen erwartet wird. Oder anders ausgedrückt: Mögen haben sie schon wollen, aber dürfen haben sie sich nicht getraut. Das ist keine Missachtung des freien Frauenwillens, sondern entspricht der allgemeinen Erfahrung der Meinungsforschung gegenüber allen möglichen Gruppen von Befragten.
Staatliche Eingriffe gehören nicht zu den Favoriten dieses Bloggers, aber solange das jetzige Rentensystem sich an der Missachtung der daheim bleibenden Mütter in vorderster Reihe mitbeteiligt, darf sich von höherer Stelle niemand über unsere Vergreisung wundern. Dennoch wird der Staat der letzte sein, der diesen fatalen Trend drehen könnte. Wenn es nur so einfach wäre…
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT