Michael Miersch / 22.06.2013 / 17:15 / 0 / Seite ausdrucken

Der Mann, der uns das Meer öffnete

Für heutige Menschen sind Taucherflossen, Atemgeräte und das Schwimmen unter Wasser etwas völlig Normales. Filme über Korallenriffe oder Wale gehören zum Standard der TV-Naturdokumentationen. Doch der Mann, der all dies einmal erfunden hat,  lebte bis vor ein paar Tagen noch. Vergangenen Sonntag starb Hans Hass im Alter von 94 Jahren. 1997 Jahren habe ich ihn in Wien besucht und interviewt. Zu seinem 90. Geburtstag schrieb ich für DIE WELT diese kleine Würdigung:

“Es ist Sonntagmorgen, irgendwo auf dem Grund des Indischen Ozeans. In wunderbarer Schwerelosigkeit gleiten die Fische in den Korallen aus und ein. Niemand ist noch hier unten gewesen, niemand hat sie je betrachtet. Hier schweben sie in einem zeitlosen Schweigen durch ihre bezaubernde Welt.” So kommentierte - mit leichtem Wiener Akzent - Hans Hass 1957 die fünfte Episode von “Expeditionen ins Unbekannte”. 26 Folgen lang tauchte er mit Gattin Lotte für den Süddeutschen Rundfunk und die BBC durch die Weltmeere (insgesamt produzierte er über 100 Filme). Das hübsche Taucherpaar zählte zu den ganz großen Stars der frühen Fernsehzeit. “Keine Grotte ohne Lotte”, witzelte der “Spiegel”, und in einem Londoner Restaurant sprach ein begeisterter Fan den allein speisenden Meeresbiologen mit den Worten an: “Are you Hans and Lotte Hass?”

Heute klingen die Worte “Niemand ist noch hier unten gewesen” sehr, sehr weit entfernt. Millionen Menschen verbringen ihre Freizeit mit Sporttauchen. Von der Geburt des Seepferdchens bis zum Todeskampf des Grauwals hat man schon alles brillant und bildfüllend gesehen. Kaum zu glauben, aber der Mann, mit dem alles anfing, ist unser Zeitgenosse. Hass brachte das Schwimmtauchen nach Europa. Vor seiner Zeit waren Taucher Männer, die mit schweren Metallhelmen und Bleigewichten an den Schuhen am Grunde herumstaksten. Schwimmtauchen gab es nur bei den Perlenfischern in der Südsee. Hass trug zur Entwicklung der Flossen und der Atemgeräte bei, die für das sportliche Vorankommen im Wasser heute so selbstverständlich sind wie Rucksäcke beim Wandern. Auch an der Konstruktion der ersten Unterwasserkameras wirkte er mit.

Die Pionierleistung des Hans Hass kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nur eine Handvoll Wissenschaftler hatte zuvor realistische Vorstellungen davon, wie es am Meeresboden aussieht, welche Pracht und Vielfalt sich unter der spiegelnden Wasseroberfläche verbirgt. Plötzlich konnten die Fernsehzuschauer in ihrem Wohnzimmer einen Blick in dieses Welt werfen, die, wenn auch in Schwarz-Weiß, alles übertraf, was man erwartet hatte. 1952 erhielt Hass für den Kinofilm “Abenteuer im Roten Meere” auf der Biennale in Venedig den Dokumentarfilmpreis, 1959 folgte der Oscar für “Unternehmen Xarifa”. “Ich wollte Fisch unter Fischen sein”, sagte er einmal. Dafür vereinte er in seiner Person die damals höchst ungewöhnliche Kombination aus Sportsmann, Forscher und Filmer und legte zeitgleich mit Jacques Cousteau den Grundstein für eine neue Form der Meeresbiologie, die sich zuvor mit Aquarien und präparierten toten Fischen begnügt hatte. Während Cousteau zunächst in Frankreich und Amerika zu Ruhm kam, war Hass das große Unterwasseridol in England und in den deutschsprachigen Ländern.

Mit sicherem Gespür für den Publikumsgeschmack bereitete er seine Entdeckungen so auf, dass sie zwar immer ein bisschen belehrend waren, doch stets so unterhaltsam und aufregend, dass sich niemand entziehen konnte. Eine Mischung aus Naturdokumentation und Abenteuerfilm. Ehefrau Lotte fügte dem Ganzen eine Prise weiblicher Grazie hinzu. Kameramann Kurt Hirschel (der später für Horst Stern drehte) sorgte für atemberaubende Bilder. Die Filme entstanden zu einer Zeit, als es üblich war, wilde Tiere möglichst bedrohlich darzustellen. Hass dagegen verblüffte seine Zuschauer mit der Botschaft, Haie seien gar nicht so gefährlich, wie man glaubt. Man könne sie durch lautes Brüllen oder mit einem Stock in die Flucht schlagen. Was er in seinen Filmen dann auch immer wieder gern demonstrierte.

Hass hat die Unterwasserwelt popularisiert, aber sich frühzeitig auch um den Naturschutz verdient gemacht. Anfangs gehörte das Harpunieren der Fische zum Tauchsport wie Popcorn zum Kino. Der jugendliche Hass war selbst einst durch die Tauchjagd zur Meeresbiologie gekommen. Auf seiner Abiturreise 1937 sah er in Südfrankreich einen amerikanischen Journalisten, der mit einem Speer nach Fischen pirschte, wie es die Polynesier taten. In seinen frühen Filmen inszeniert er solche Jagderlebnisse mit der zeittypischen Dramatik. Originalkommentar aus “Menschen unter Haien”: “Da bemerke ich, inmitten einer stark bewachsenen Landschaft, den gewundenen Leib einer giftigen Muräne. Des mir am meisten verhassten Tieres, die mir wie eine Kobra entgegendroht ... Sie funkelt mir mit ihren tückischen Augen entgegen ... Ich bin jetzt schon ganz erregt von dem Jagderlebnis, was uns nunmehr bevorsteht.”

Hass erkannte jedoch bald, dass die schönsten Küsten der Welt bald leer gefischt sein würden, wenn nichts geschieht. Denn das Sporttauchen verbreitete sich explosionsartig und wurde sehr schnell zu dem Massenhobby, das es heute ist. In seiner Jugend, sagt er später, war die Unterwasserjagd “ein sehr fairer Sport. Wir verwendeten eine drei Meter lange Lanze, schlichen uns damit an die Fische heran. Später wurden dann Unterwasserschleudern und -gewehre erfunden, die den Menschen gegenüber dem Fisch sehr überlegen machten. Dann haben wir uns dagegengewendet.” Gemeinsam mit anderen Meeresforschern appelliert er an die Taucher und nimmt Einfluss auf ihre Verbände, damit das Harpunieren aufhört. Der Wandel gelingt. Innerhalb kurzer Zeit galt das Schießen auf Fische nicht mehr als männliches Abenteuer, sondern als Meeres-Hooliganismus. Heutzutage ist in fast allen Sporttauchergebieten der Welt die Harpunenjagd verboten.

Wie viele seiner Generation wendet er sich in späteren Jahren verstärkt dem Umweltthema zu. Er gehört dabei zu einer rechtskonservativen, tief pessimistischen Denkschule, die von Konrad Lorenz gegründet wurde und speziell in Österreich einige Verbreitung fand. Menschen kommen in diesem Weltbild nur als Zerstörer und Verderber vor. Als größtes Unglück wird neben dem Wirtschaftswachstum das Bevölkerungswachstum betrachtet. Folglich startet Hass’ Seite im Internet mit einem Appell an die Frauen der Welt: “Jeder Frau auf dem Planeten Erde wird das Recht bescheinigt, zwei Kinder zu gebären - aber nicht mehr.” Sich selbst betrachten die Vertreter dieses Denkens als eine Art philosophische Elite, die von den notwendigen Beschränkungen ausgenommen ist. Als er schon sehr betagt war, antwortet Hass, gerade von den Malediven kommend, auf die Frage, was denn die größten Problem der Umwelt wären: “Die Leute werden zu alt und reisen zu viel.”

In den 80er-Jahren beschäftigte sich Hass vorwiegend mit Ökonomie und Philosophie. Er schrieb Bücher wie “Der Hai im Management” und “Der Hyperzeller - das neue Menschenbild der Evolution”. Als Unternehmensberater begann er eine Karriere auf dem Trockenen. Dabei zeigte er die vielen verblüffenden Parallelen auf, die zwischen der evolutionären Konkurrenz der Arten und dem Wirtschaftsgeschehen bestehen. Wie der Korallenfisch seine ökologische Nische findet, so muss sich der Unternehmer der Nachfrage anpassen. Es folgte die “Energontheorie”, mit der Hass eine Weltformel entdeckt zu haben glaubte, eine Art biologische Betriebslehre der Energiebilanz von Organismen. “Die gesamte Lebensentfaltung ist durch Energiepotenzierung gekennzeichnet”, schrieb er. Allerdings folgte die Fachwelt seiner Betrachtungsweise nicht. Er ließ sich, in seinen eigenen Worten, “nach Vorstößen in unbekannte Meere, zu Haien und Pottwalen, auf etwas sehr Eigenartiges und Schwieriges ein. Diesmal stand ich einer geradezu unübersteigbaren Mauer von Schwierigkeiten gegenüber, die sich aus eingefahrenen Denkformen, etablierten Lehrmeinungen und ideologischen Überzeugungen vor mir aufbaute.” Langjährige Weggefährten wie der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt folgen ihm darin nicht mehr.

Die großartige Leistung von Hans Hass, der morgen 90 Jahre alt wird, liegt nicht so sehr in seinen philosophischen Übungen, sondern in der Popularisierung von Naturwissen. Er schuf den ersten Zugang zu Tieren, die zuvor so fremd wie Außerirdische waren. Die Ozeane bedecken drei Viertel der Oberfläche des Planeten. Das natürliche Verhalten ihrer Bewohner war die größte Zeit der Menschheitsgeschichte nahezu unbekannt. Neben Sir David Attenborough ist Hass der einzige Verbliebene aus der Generation großer Fernsehzoologen, die die Natur ins Wohnzimmer brachten. Durch Popularisierer wie Grzimek, Schuhmacher, Sielmann und Hass erhielten Millionen Menschen intime Einblicke in die Natur, die früher nicht mal Wissenschaftler und Jäger gewinnen konnten. “Man lernt Tiere erst kennen”, sagte Hans Hass einmal, “wenn man sie in ihrem ureigenen Lebensraum beobachtet.” Nett von ihm, dass wir ihm dabei über die Schulter sehen durften.

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