Hansjörg Müller / 03.07.2015 / 06:30 / 1 / Seite ausdrucken

Der Last Action Hero des Vulgär-Keynesianismus und das lange Warten auf die Katharsis

Viel ist in den Kommentarspalten der sogenannten Weltblätter über den griechischen Premierminister Alexis Tsipras und seinen Finanzminister Jannis Varoufakis geschimpft worden. Zu Recht: Griechenland ist ruiniert und die Regierung des Landes erzählt einem Volk, das über seine Verhältnisse lebt, dies könne so weitergehen. Konsequenter das Falsche tun kann man kaum, auch wenn speziell Varoufakis dabei zum Last Action Hero des Vulgär-Keynesianismus wurde, zum offiziösen Gegen-Schäuble, dem auch nordeuropäische Linke bewundernd an den Lippen hängen.

Doch so irrational und schurkisch das Verhalten Athens manchem auch erscheinen mag: Ein Erpresser benötigt immer ein Opfer, das sich erpressen lässt. Und ein solches geben die übrigen Mitgliedsstaaten der Eurozone ab. Den Launen Tsipras’ und Varoufakis’ sind sie ausgeliefert, weil sie an einer falschen Idee festhalten: Als die Staats- und Regierungschefs der damaligen Europäischen Gemeinschaft im Februar 1992 in Maastricht die Einführung einer Gemeinschaftswährung beschlossen, handelten sie aus rein politischen Motiven, wirtschaftliche Überlegungen liessen sie ausser Acht. Das erklärte Ziel: eine «immer engere Union der Völker Europas».

Dieser politischen Union sollte die Währungsunion vorausgehen, wobei letztere erstere mit der Zeit erzwingen sollte. Eine gemeinsame Währung, so dachten die Unterzeichner des Vertrags von Maastricht, würde eine weitgehende Vereinheitlichung der Fiskal- und Sozialpolitik notwendig machen.

Damit hatten sie recht, doch verdrängten sie, dass ein solches Ausmass an Integration von den Völkern Europas nicht gewollt wird. Dies erklärt die Panik, mit der die Regierungen der Eurozone nun auf die unbotmässigen Griechen blicken: In jeder neuen Verhandlungsrunde stossen das Ideal der Gemeinschaftswährung und mit ihm das des europäischen Bundesstaats mit dem Ideal der nationalen Souveränität und damit der Demokratie krachend zusammen.

«Scheitert der Euro, dann scheitert Europa», erklärte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2010 vor dem Bundestag, wobei sie mit «Europa» die EU in ihrer heutigen Form meinte. Tsipras und Varoufakis wissen um derartige Ängste, und in Form immer neuer Hilfspakete ist es ihnen bisher gelungen, sie zu Geld zu machen. Wie weit Athen dabei gehen kann, wird dieser Tage ausgetestet.

Dabei läge die Lösung in Form eines Tauschgeschäfts auf der Hand: Griechenland könnte die Eurozone verlassen und erhielte im Gegenzug seine Souveränität zurück. Dies wäre schmerzhaft, aber auch befreiend: eine Katharsis. Die Syriza-Regierung könnte ihre desaströse Wirtschafts- und Sozialpolitik erst einmal unbehelligt von Einmischungen aus Brüssel weiterführen. Mit der Zeit würde den griechischen Wählern bewusst werden, wer schuld ist am Elend des Landes. Und Selbsterkenntnis ist bekanntlich oft der erste Schritt zur Besserung.

Erschienen in der Basler Zeitung hier.

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Leserpost

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Berthold Bohner / 05.07.2015

“Scheitert der Euro , so scheitert Europa” Diese Aussage war schon 2010 offensichtlich falsch. Es sind durchaus Gegenentwürfe zu einer weitgehenden politischen Union denkbar. Die Unterschiede in der Mentalität der Europäer sind immmens. Bei einheitlichen Gesetzesvorschriften werden diese in Deutschland bis auf Punkt und Komma umgesetzt , während man sich in Frankreich damit begnügt solche Dinge annähernd sinngemäß zu handhaben , weiter südlich geht man noch legerer damit um , wie am Beispiel Griechenland zu sehen ist. Ich wundere mich sehr darüber , wie in der Bevölkerung und Medien nachsichtig mit den griechischen Standpunkten umgegangen wird. Der Knackpunkt liegt doch darin , dass eine Volkswirtschaft nicht dauerhaft mehr konsumieren kann , als in dieser Volkswirtschaft an Waren und Dienstleistungen hervorgebracht werden. Durch die gewährten und meiner Ansicht nach uneinbringbaren Kredite hat unsere Volkswirtschaft unentgeltlich für die griechische Volkswirtschaft gearbeitet. Man könnte nun wahlweise einen bestimmten Geldbetrag oder Arbeitsstunden errechnen in denen wir für Griechenland unentgeltlich gearbeitet haben. So kann es nicht weitergehen. Ich bin nicht bereit bis ( in meinem Fall ) bis 66 und 7 Monate zu arbeiten , damit die Griechen mit 55 in Rente gehen können. Ich hätte auch einen neuen Slogan für Angela Merkel : “There is no free lunch in the european community”

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