Jesko Matthes / 22.01.2018 / 16:03 / Foto: Tomaschoff / 6 / Seite ausdrucken

Der längste Arztbesuch Ihres Lebens

Sind Sie bereit, ein Weilchen im Voraus zu planen? Für den Januar 2019? Nee, nicht, was Sie denken: nicht GroKo, nicht Obergrenze, nicht Energiegrundlast, nicht Urlaub, nicht Dosenpfand. Zur Abwechslung mal was richtig Nachhaltiges mit geringem CO2-Fußabdruck: die elektronische Gesundheitskarte im Rahmen der neuen Telematik-Infrastruktur.

Sagt Ihnen nichts? Dann freuen Sie sich schon mal auf Ihren ersten Gang zum Arzt 2019, beispielsweise, weil Sie ein Rezept über Ihr Standardmedikament gegen Bluthochdruck benötigen oder eine Überweisung zu Ihrem Orthopäden wegen Ihrer chronischen Rückenschmerzen. Kein Problem, denken Sie, Sie haben ja Ihre elektronische Gesundheitskarte (eGK) parat. Silvester und Neujahr sind leidlich überstanden, alle Finger noch dran, eine Magentablette und irgendwas gegen Kopfschmerzen wären aber nicht schlecht. Also: Ab zum Arzt!

Der 2. Januar 2019 ist ein Mittwoch. In vielen Praxen ein kurzer Tag. Könnte diesmal ein etwas längerer werden, der längste Tag. Es ist nämlich gleichzeitig der erste Tag, an dem die neue Telematik-Infrastruktur in allen deutschen Arztpraxen bindend wird. Feine Sache, könnten Sie denken, meine elektronische Gesundheitskarte wird, von einer wahrscheinlich vierstelligen PIN geschützt, nun auch wesentliche Befunde zu speichern erlauben, die mir die Gesundheitsgurus und Medizin-Kauderwelsch-Experten sonst vorenthalten. Alles ganz einfach und sicher.

Leute vom Fach lächeln süffisant:

„Aufgrund der begrenzten Menge von Kombinationsmöglichkeiten ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis die richtige Kombination gefunden ist. Beim Einsatz eines Computers spielt die Leistung des Prozessors eine entscheidende Rolle, aktuelle Hochleistungs-Prozessoren können rund vier Milliarden Kalkulationen pro Sekunde ausführen. Das Knacken eines vierstelligen Passworts ist daher in 72 hoch 4 / 4.000.000.000 = 0,00672 Sekunden abgeschlossen."

Das nennt man brute force, rohe Gewalt. Wenn Sie Ihre PIN vergessen haben und dennoch Ihre Karte auslesen wollen, dann lassen Sie das am besten ein handelsübliches Chipkarten-Lesegerät und Ihren Rechner für sich erledigen, in knapp 7 Millisekunden, dann ist er so weit. Zum Vergleich: Machen Sie einen Schnappschuss mit ihrer uralten analogen Kamera, in der Sie die Verschlusszeit noch einstellen können; es handelt sich um etwa eine hundertfünzigstel Sekunde. Jeder andere Rechner kann das natürlich auch in dem Tempo. Ihre PIN wird zur Nuckel-PIN, blitzschnell ausgelutscht und so gläsern wie die Kuppel des Reichstags.

„Versichertenstammdatenmanagement".

Achgottchen, Bedenken beiseite, ist doch trotzdem eine feine Sache, Laborwerte, Röntgenbilder, Befunde, Arztbriefe und Ihren bundeseinheitlichen Medikamentenplan gleich bei sich auf der Karte zu haben, oder? Sie erinnern sich an veraltete Technik, an ISDN? Gewöhnen Sie sich an VSDM. Denn auch bei ausreichendem Passwortschutz – ich schlage daher etwas leicht zu Merkendes wie kL1#6B@v$48z vor – ist das Speichern Ihrer nur für Sie und ihre Mediziner nützlichen gesundheitsbezogenen Daten mitnichten das, was als erste Funktion der vom Bundesgesundheitsministerium gepriesenen elektronischen Gesundheitskarte eGK für Sie und den Arzt Ihres Vertrauens verpflichtend wird.

Verpflichtend wird zunächst das VSDM. Hä? Ja, das VSDM: „Versichertenstammdatenmanagement". Was dahinter steckt, geht so: Beim Einstecken ihrer eGK in das Kartenlesegerät bei Ihrem Arzt wird zunächst, wahrscheinlich ganz ohne PIN, eine selbstverständlich völlig datensichere Leitung zu Ihrer Krankenkasse aufgebaut. Kein Problem, es sind ja nur noch 113 verschiedene Kassen, deren Server bestimmt immer 24 Stunden online sind. Hier wird alsdann fix geprüft, ob über Sie neue Daten vorliegen.

Sie könnten ja umgezogen oder in Rente gegangen sein. Vielleicht haben Sie ja gar die Kasse gewechselt oder seit ein paar Monaten Schulden bei Ihrer Kasse, weil Sie blöderweise als freiwillig gesetzlich krankenversicherter Scheinselbstständiger in die Privatinsolvenz gerutscht sind und keine Beiträge bezahlt haben. Oder weil Ihr Unternehmen in der Schieflage ist und den Arbeitgeberanteil nicht bezahlt hat. Als braver Bürger haben Sie das alles Ihrer Kasse gemeldet, oder sie ist irgendwie bei der Lektüre des Amtsblatts von selbst darauf gekommen. Nun werden Ihre aktualisierten Daten automatisch auf Ihre eGK geschrieben, und schon kann die Behandlung los gehen, ganz einfach.

Fahren Sie am besten gleich nach Hause

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Gehen wir mal ein paar Fälle durch. Erster Fall: Sie sind umgezogen und haben es gemeldet: Ihre Stammdaten werden aktualisiert. Zweiter Fall: Sie sind umgezogen und haben es nicht gemeldet. Es passiert – gar nichts, Sie werden behandelt. Dritter Fall: Ihre Karte ist ungültig, warum auch immer, denn Ihren Beitrag haben Sie bezahlt, auch nicht die Kasse gewechselt. Wahrscheinlich haben Sie noch ein altes Modell der eGK, das nicht aktualisierbar ist, oder der Chip ist verkratzt, oder Sie haben die eGK bei sechzig Grad in der Waschmaschine gewaschen, zu lange im Wohnzimmer auf der Lautsprecherbox oder in der Küche auf der Mikrowelle liegen gelassen.

Nun haben Sie zwei Möglichkeiten. Sie können sich – Risiko! – einfach als Privatpatient behandeln lassen oder doch lieber ins Ersatzverfahren gehen. Dafür rufen Sie einfach ab 2.1.2019 morgens kurz nach acht die Service-Hotline Ihrer Krankenkasse an und lassen der Arztpraxis Ihres Vertrauens eine Versicherungbestätigung faxen. Falls es das Fax dann noch gibt, es stirbt eventuell gerade aus. Per e-Mail geht leider auch nicht, die muss nämlich ab 2.1.2019, wie alle gesundheitsbezogene Korrespondenz, verschlüsselt werden. Das geht zwar dann in Ihrer Arztpraxis, aber nur mit Ihrer eGK, und genau die funktioniert ja gerade nicht.

Bei Unterversorgung mit Zappelstrom, dank Energiewende zum Beispiel, wenn am ersten Tag des Jahres seit fünf Uhr fünfundvierzig noch schnell alle Pendler ihre Elektroautos laden, fahren Sie am besten gleich nach Hause mit ihrem Diesel, das Tiefgefrorene auf die Veranda bringen, denn dann läuft auch in Ihrer Arztpraxis überhaupt nichts mehr. Okay, es gibt auch die mobilen Kartenlesegeräte mit Batteriebetrieb.

Aber wie kann Ihre Praxis sicher sein, ob Sie überhaupt behandelt werden dürfen, bevor Ihre Karte in die EDV übertragen ist, also ohne VSDM? Denn ohne Datenabgleich keine Behandlung! Das ist natürlich auch ein klitzekleines Problem in Seniorenheimen mit Demenzkranken. Wer hat, falls nötig, die PIN für Ihre eGK im Kopf? Wie lange leben Sie da überhaupt? Haben Sie Ihren Umzug ins Heim dem Bürgeramt gemeldet? Oder sind Sie gar wegen Ihrer Gebrechen von der Meldepflicht befreit?

Mit der Karte Ihres Cousins

Ach, ja, und was ist, wenn Sie zu den Neubürgern mit so fünf bis zwölf verschiedenen Identitäten zählen oder zu jenen, die sich – sagen wir nicht: illegal, sagen wir: zufällig – mit der Karte Ihres Cousins zweiten Grades behandeln lassen wollen? Keine Sorge! Es bleibt alles beim Alten. Die Arztpraxis ist zur Prüfung Ihrer Daten auf Richtigkeit nicht verpflichtet, aber: „Aktuelle Versichertenstammdaten verhindern Missbrauch." Ja, nee, is' klar! Sie als braver Bürger können dagegen Ihren Umzug, Ihre Berentung oder Ihren eGK-Missbrauch auch nicht einfach in Ihrer Arztpraxis melden, sondern weiterhin nur Ihrer Krankenkasse. Die Arztpraxis übernimmt lediglich den Job Ihrer Krankenkasse, Ihre Daten auf der Karte zu ändern. Falls Sie sie dort haben ändern lassen. Hervorragend! So geht Entbürokratisierung in der Arztpraxis! So geht Schutz vor Missbrauch! So geht Datensicherheit!

Das wird also erstens alles total nützlich, zweitens total schnell. So schreibt auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung: „Vorgaben an die Hersteller der Technik sehen vor, dass die Online-Prüfung nicht länger als fünf Sekunden dauern soll, mit Aktualisierung maximal 13 Sekunden. Trotzdem kann es in der Anfangszeit zu Verzögerungen kommen".

Echt, jetzt? Ist mir bei völlig neuer EDV noch nie passiert! Mein persönlicher Praxisrekord am ersten Tag eines Quartals liegt bei 215 eingelesenen Versichertenkarten, das war im Winter 2009/10, bei „Schweinegrippe“. Gehen wir mal davon aus, dass es auf wundersame Weise doch zu den genannten Verzögerungen kommt. Alle Praxen lesen ein, das Internet spackt ab, weil gerade erster Börsentag des neuen Jahres ist, oder weil soeben doch noch die Koalitionsverhandlungen zur Ablösung der geschäftsführenden Regierung 2017/18 enden, was allen Nachrichtenagenturen eine Sensationsmeldung wert ist.

Jetzt dauert das Einlesen der Karte also, sagen wir, optimistische 30 Sekunden. Macht für zwei Patienten eine Minute. Das sind dann knapp 108 Minuten an diesem Tag, allein für das Einlesen und das VSDM, den Datenabgleich der elektronischen Gesundheitskarten. Sie sitzen derweil immer noch, auf das Einlesen ihrer eGK wartend, im Wartezimmer. Mit Schüttelfrost.

Ich plane daher vorausschauend. Ich will mich nicht dem Verdacht der unterlassenen Hilfleistung wegen der paar banalen Anlaufschwierigkeiten einer simplen Telematikinfrastruktur mit Versichertenstammdatenmanagement aussetzen. Rechtsgüter muss man immer abwägen. Risiken auch. Ich kann zum Beispiel nicht Ski fahren, was gefährlicher sein kann, als Ski fahren zu können. Ist mir egal. Ich mache meine Hausarztpraxis bis Mitte Januar 2019 dicht, nur meine Helferinnen dürfen das neue Verfahren mit ihren elektronischen Gesundheitskarten schon mal üben. Ich selbst mache Après-Skiurlaub. Ich fahre nach St. Anton, denke mitfühlend an mein Team, an meine Kolleginnen und Kollegen in der Heimat, an der Hotelbar. Dann tanze ich mit gesunden deutschen Touristinnen zu DJ Ötzi und besaufe mich mit Jagertee.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

netiquette:

Karla Kuhn / 22.01.2018

“... die elektronische Gesundheitskarte im Rahmen der neuen Telematik-Infrastruktur.”  Wahrscheinlich wird die noch mehr Ärzte ins Ausland treiben.  Was geht in den Hirnen vor, die so etwas erfinden, und was in denen, die das noch gut heißen und die Patienten, wie Ärzte damit “beglücken??”  Der Leserbrief von Herrn Bartscherer ist auch sehr aufschlußreich. Armes Deutschland, was wird mit Dir gemacht ?

Rainer Nicolaisen / 22.01.2018

NB: Jeder Praxisrechner am Netz war schon immer ein Einfallstor und damit Zeichen unverantwortlichen Handelns!

Dr. Rüdiger Pfeifer / 22.01.2018

Sehr geehrter Herr Matthes, vielen Dank für Ihren Artikel. DiesesThema brennt vielen Kollegen unter den Nägeln und paart sich mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht. Aus diesem Grunde schrieb ich vor einer Woche an unseren Minister. Ob er drauf antwortet und ob es was nützt ist nicht gewiss. Wichtig ist nur, dass wir uns dies nicht mehr tatenlos gefallen lassen.  Meinen Brief veröffenliche ich an dieser Stelle und hoffe, dass dessen Weiterverbreitung zum Nachdenken im Bundesministerium für Gesundheit veranlasst. Dr. Rüdiger Pfeifer Sehr geehrter Herr Minister Gröhe, sicher sind Sie von den Sondierungsgesprächen schon genug beansprucht und haben wenig Zeit, sich um Details im Gesundheitswesen zu kümmern. Mit dem Onlinerollout der eGk sehe ich aber große Probleme auf uns zu kommen und sehe mich daher veranlasst Ihnen zu berichten. Seit November 2017, also seit zwei Monaten hat der Online-Rollout begonnen. Die erforderlichen Hardwarekomponenten wurden erst zu diesem Zeitpunkt zertifiziert und werden seitdem von einem Alleinanbieter zu sehr hohen Preisen angeboten. Die Gematik-Partner haben Ihnen und der Welt den Start des Online-Rollouts zum 01.07.2017 verkündet um selbst nicht sanktioniert zu werden, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch jegliche Hardwarekomponenten fehlten. Deshalb müssen die Versäumnisse der Gematik-Partner nun von den Arztpraxen ausgebadet werden. Dies beginnt mit der Refinanzierung. Eine hundertprozentige Refinanzierung der Anschlusskosten an die Telematikinfrastruktur war nur für das 3.Quartal 2017 vorgesehen (in dem es noch keine Hardwarekomponenten gab). Im 4. Quartal 2017 gab es nur noch eine 90-prozentige Refinanzierung, im Quartal 1/18 nur noch 80%. Dementsprechend groß ist der Unwillen der Ärzte, unter diesen Umständen einen Anschluss an die Telematikinfrastruktur zu veranlassen. Die Androhung von Sanktionen wie Honorarkürzungen bei Ärzten und Budgetkürzungen bei den Körperschaften fördern eher das Scheitern des Projektes. Zum Jahresende wird dieses Problem eskalieren und im kommenden Jahr werden die Arztpraxen den Klageweg gegen die von Ihnen verfügten Honorarkürzungen beschreiten. Von den drohenden Honorarkürzungen werden auch Praxen betroffen sein, die aus objektiven Gründen keine Möglichkeit haben, Zugang zur Telematikinfrastruktur zu bekommen. Das sind vorrangig Landpraxen, denen ein Internetzugang fehlt. Aber auch die Praxisgemeinschaft in meiner Nachbarschaft, in der nun drei Ärzte an ihrer Praxisrezeption drei e-Health-Kartenterminals installieren müssen. Dies ist ein räumlich und organisatorisch unzumutbarer Zustand. Von älteren Kollegen hört man, dass sie ihre Praxis möglicherweise eher schließen werden, um dem hohen finanziellen, organisatorischen und technischen Aufwand zu entgehen. Die Einführung der eGk wurde vor 14 Jahren als digitale Revolution angepriesen. Die damals versprochenen und erhofften Leistungen der eGk hätten auch wirklich den Datenaustausch in unserem Gesundheitswesen erheblich vereinfachen können, doch Datenschutz und Patientenrechte limitieren die bedingungslose Einführung des gläsernen Patienten. Deshalb ist heute aus dem einst vielversprechenden Projekt ein Milliarden Euro teures Monstrum geworden, dass niemandem nützt und von den Ärzten nicht gewollt wird. Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) ist die einzige Funktion, die nach dem Anschluss einer Arztpraxis an die Telematikinfrastruktur funktionieren soll. Aber zu welchem Preis? Auch der Bund der Steuerzahler kritisierte das Projekt in seinem Schwarzbuch des vergangenen Jahres als Milliardengrab, veraltet und nutzlos. Sehr geehrter Herr Minister, Sie sind in der misslichen Situation, ein von Ihrer Amtsvorgängerin, der SPD-Ministerin Ulla Schmidt aufgelegtes und vom Beitragszahler zu finanzierendes Prestigeprojekt weiter durchziehen zu müssen, obwohl bereits niemand mehr an einen Sinn oder Nutzen des Projekts glaubt. Der in diesem Jahr zu vollziehende Anschluss von 300.000 Arztpraxen wird Praxisausfälle und 1,2 Milliarden Euro kosten und künftig jährlich 360 Millionen Euro an Servicekosten. Den IT-Anbieter wird`s freuen, doch der Patientenversorgung geht dieses Geld verloren und potenziert schon bestehende Probleme. In der Görlitzer Region wird sich der schon bestehende Ärztemangel in den nächsten 5 Jahren massiv verschärfen. Besonders ländliche Regionen sind dann ärztlich unterversorgt. Verbleibende Ärzte werden durch Honorarverteilungsmaßstäbe und Degression bestraft, wenn sie zusätzliche Patienten in ihren Praxen behandeln. Sehr geehrter Herr Minister, noch haben Sie die Möglichkeit, das Prestigeprojekt eGk zu stoppen und dem Beitragszahler ein mit dem BER-Flughafen vergleichbares Desaster zu ersparen. Fördern Sie stattdessen die Ansiedlung von Arztpraxen in unterversorgten Regionen, beseitigen Sie leistungsschädliche Kostendämpfungsmechanismen, zeigen Sie den Menschen im Land, dass Sie sich um deren Sorgen und nicht um die der IT-Branche kümmern. Hochachtungsvoll Dr. Rüdiger Pfeifer  

Bargel,Heiner / 22.01.2018

Lieber Kollege Matthes, herzlichen Glückwunsch an Sie und alle Kollegen, die in einem Gebiet mit VDSL leben. Wir können uns glücklich schätzen, daß es “nur” 13 Sekunden sind, die für das VDSM eingeplant sind. Es soll da allerdings noch Kollegen geben, die mit dem Modem arbeiten müssen, da die Netzagentur mit dem Ausbau des Datennetzes noch nicht überall so weit ist. Die werden, ob sie am System teilnehmen wollen oder nicht, es rein technisch gar nicht können. Werden aber gleichwohl mit der 1%Regel abgestraft werden. (Da freue ich mich schon auf die Klagen bis hoch zum höchstrichterlichen Entscheidungsgremium.) Auch ist rein versicherungstechnisch noch nicht geklärt, was bei einem Systemausfall durch einen gehackten Zentralcomputer geschieht mit: Verdienstausfall, Erpressungen durch gestohlene Daten, Lahmlegen der gesamten Gesundheitsstruktur durch eingeschleuste Viren auf die Praxisserver usw. usf. Ein Klassenkamerad aus Abiturzeiten, der sich nach seinem Informatikstudium intensiv mit IT-Sicherheit beschäftigte, war bereits 1 Jahr nach Beginn dieses Projektes aus der Entwicklung ausgestiegen, da er die sicherheitstechnischen Lücken für nicht schließbar hielt. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß die sogenannten Konnektoren nach bisherigem Stand nach 5 Jahren ausgetauscht werden müssen, da sie dann als nicht mehr sicher gelten. Der Einbau darf übrigens nur mit einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung der Techniker erfolgen, sowas kann schon mal bei Stufe 2 bis zu einem halben Jahr dauern, bei Stufe 3 entsprechend länger. Die Softwarehäuser sind da sehr erfreut. Dazu kommt die Auslieferung der Geräte. Viagra wurde in der Anfangszeit mit dem Werttransport in die Apotheken gebracht, wer weiß ob die Werttransporteure alle die entsprechende Prüfung für den Transport der Konnektoren haben. IT-Sicherheit ist unseren Gesundheitsverwaltern in KBV und Ministerien ein absolutes Fremdwort, so daß man ihnen diese Mogelpackung unterjubeln kann, wie einst den Verkehrsgewaltigen die LKW-Maut. Wenn ich daran denke, wie lange es brauchte, bis die in der heutigen Form funktionierte, dann sehe ich die Gesundheitsversorgung durch IT eher lahmgelegt als durch den Ärztemangel.

Ulrich Jäger / 22.01.2018

Jetzt weiß ich endlich, warum immer mehr Landarztpraxen zumachen. Es ist nicht so, dass immer weniger Ärzte auf‘s Land wollen. Es ist der fehlende Breitbandausbau außerhalb der Ballungszentren, der eine ärztliche Versorgung scheitern lässt. Da es Gegenden in Deutschland gibt, in denen Bits und Bytes noch mit Meldereitern transportiert werden, würde ein Patient mit dem Wunsch nach einem Rezept für seine Bluthochdrucktabletten eher am Herzinfarkt dahinscheiden, bevor das Placet der Kasse da ist.

Michael Bartscherer / 22.01.2018

Lieber Herr Kollege, vielen Dank für Ihren schönen, sarkastischen Überblick über die zu erwartenden kleinen “Kollateralschäden” bei Einführung der Telematik-Ifrastruktur (TI). Schön hier auf der Achse mal etwas zu diesem Thema zu lesen, das trotz seiner Wichtigkeit und Bedrohlichkeit in der allgemeinen Wahrnehmung außerhalb von Fachkreisen praktisch nicht präsent ist. Dabei handelt es sich hier um ein Projekt orwellscher Prägung und einen Systembruch allererster Güte, was leider in Ihrem Beitrag nicht so ganz pointiert herausgearbeitet ist. Letztlich wird hiermit nämlich ein Kernelement der ärztlichen Berufsausübung, die ärztliche Schweigepflicht ausgehebelt (oder zumindest in tödliche Gefahr gebracht). Es ist nämlich keneswegs so, daß die Daten der Patienten auf den niedlichen kleinen Kärtchen gespeichert werden sollen. Nein, diese sind nur Schlüssel zur großen, amorphen TI-Cloud, wo unsere Patientendaten auf irgendwelchen Servern mehr oder weniger sicher lagern. Und daß da über kurz oder lang mehr oder weniger legale Begehrlichkeiten entstehen dürften, sollte eigentlich jedem einleuchten. Aber wahrscheinlich bin ich einfach nur zu paranoid und kann in meiner Beschränktheit das höhere Wohl einfach noch nicht erkennen. Als durchaus technikaffiner Arzt, Praxisinhaber und eigener Systemadministrator weiß ich sehr genau, warum ich meine Praxissoftware offline halte. Mal sehen, wie lange ich das noch durchhalte, denn in dem schönen TI-Gesetz ist ist auch gleich noch die erpresserische Daumenschraube für renitente schweigepflichtige Offliner eigebaut: wer nicht mitspielt, bekommt kumulativ pro Jahr 1% Honorarabzug. Hätte ich nur noch 5 Jahre bis zur Rente, wäre das keine Frage, aber ich muß wohl noch ein wenig länger mitspielen. Auch noch zu erwähnen wäre die ungeheure Geldverbrennung durch dieses Kassen- und IT-Lobbyprojekt. Wurden wir doch vor wenigen Jahren im Rahmen der Einführung der “eGesundheitskarte” auf Kosten der Versicherten mit neuen Kartenlesern zwangsbeglückt, so ist jetzt festzustellen, daß diese für die kommende TI gar nicht tauglich sind, also nochmal eine Runde teurer Elektronikschrott aus Versichertengeldern. Konnte man vor ca. 5 Jahren wohl noch nicht ahnen. Auch interessant, daß es nach meinem Kenntnisstand bisher genau eine (1) Firma gibt, die zugelassene Konnektoren (das ist die Blackbox zum Anschluß) anbietet, was natürlich einen fairen Preiswettbewerb ermöglicht. Nun ja wir Deutschen haben in den letzten Jahren viele fette Kröten schlucken müssen, ohne daß es zu einem massiven Aufschrei gekommen wäre, insofern habe ich da wenig Hoffnung, lehne mich jetzt einfach mal zurück und hoffe, daß das TI-Projekt sich was vom großen Vorbild BER abguckt. Freundliche Grüße und schönen Skiurlaub! Michael Bartscherer P.S. Dieser Leserbrief wurde mit einem von der Praxis-EDV getrennten Linux-PC verfasst :-)

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