Cora Stephan / 07.09.2014 / 12:52 / 2 / Seite ausdrucken

Der kleine Aktivist

Aktiv ist attraktiv. Ein Mittel gegen den unwirschen Darm heißt deshalb Aktivkohle, Putzmittel wirken aktiv gegen Schmutz, Senioren sind nicht nur vital, sondern auch rundum aktiv, und wer es besonders gut meint, wird proaktiv tätig, agiert also, bevor er aktiv wird, was eigentlich doppelt gemoppelt ist, aber egal: doppelt hält besser.

Wenn aktiv was Gutes ist, muss ein Aktivist ja wohl ein besonders Guter sein. Der legendäre Adolf Hennecke war so einer, ein Bergmann, der am 13. Oktober 1948 im Karl-Liebknecht-Schacht 24,4 Kubikmeter Kohle schlug und damit das Soll mit 387 Prozent übererfüllte. Dafür erhielt der Genosse 1,5 Kilogramm Fettzulage, drei Schachteln Zigaretten, eine Flasche Branntwein, 50 Mark Geldprämie sowie einen Blumenstrauß des Kollektivs. Seinetwegen gab es in der DDR hinfort an jedem 13. Oktober einen „Tag der Aktivisten“, was die anderen Malocher allerdings nicht so spaßig fanden. Merke: aktiv ist nicht immer attraktiv.

Als Aktivist galt übrigens nach 1945 auch ein Mitläufer der Nazis. Bewegung ist nicht alles.

Gut, das ist Geschichte. Heute ist ein Aktivist rundum prima. Man muss sich nur bekennen oder engagieren oder etwas aufzeigen oder den Finger in die Wunde legen, dagegen sein oder dafür sein und deswegen auf die Straße gehen – schon ist man einer. Als „Greenpeace-Aktivist“ gehört man zum Adel des Aktivistentums, edler sogar als ein „Aktiver“ im Fußballverein und nicht zu vergleichen mit der „Aktiven“, die unsere ungesunden Vorfahren rauchten.

Neuerdings ist jeder ein „Aktivist“, der irgendetwas tut, und taucht in den Nachrichten als wichtiger Akteur der Weltgeschichte auf, auch wenn nicht jeder den Nutzen von attac oder Peta einzusehen vermag. Dann schon lieber Cannabis-Aktivismus.

Zum Nebelwerfer wird der Aktivist, wenn man in den Nachrichtenredaktionen Terrorismus nicht mehr von anderen Freizeitaktivitäten unterscheiden kann. Das wäre ein Anlass, darüber nachzudenken, ob das Gute nicht auch das ist, was man lässt.

Schweizer Monat, September 2014, siehe auch BLogisch

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Leserpost

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Nick Papatrichas / 10.09.2014

„Das Gute - dieser Satz steht fest - ist stets das Böse, was man läßt.“ Wilhelm Busch (Die fromme Helene, Epilog)

Ralf Schmode / 07.09.2014

“Heute ist ein Aktivist rundum prima. Man muss sich nur bekennen oder engagieren oder etwas aufzeigen oder den Finger in die Wunde legen, dagegen sein oder dafür sein und deswegen auf die Straße gehen – schon ist man einer.” Das stimmt leider nur zur Hälfte. Um den Adelstitel “Aktivist” mit seiner positiven Konnotation einheimsen zu können, muss man vor allen Dingen links sein. Wenn man für die Grunen oder die ganz Roten trommelt, ist man nach mainstreammedialer Lesart automatisch ein Aktivist. Tut man selbiges, sagen wir, für die AfD, dann ist man ein verbitterter alter Mann oder eine verstockte Matrone, der/die mit einer Alkoholflasche in der Hand hinter Blümchengardinen hockt und auf die Wiederkehr des Dritten Reiches wartet,

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