Jesko Matthes / 16.05.2017 / 06:20 / Foto: Tim Maxeiner / 4 / Seite ausdrucken

Der Autor Hans Habe: Unverzeihlich geradeaus

Auf den streitbaren, den geradlinigen, den verhassten, den zärtlichen, den völlig zu Unrecht vergessen gemachten Hans Habe.

Erfahrungen? Eine gute Sache. Es stimmt allerdings nicht ganz, dass sie einem nie schaden können. Das stimmt ja noch nicht einmal für die Beziehungen, die man hat. Ich erinnere an János Békessy, geboren 1911 in Budapest, gestorben 1977 in Locarno. Am 29. September, fünf Tage nach der Bundestagswahl, öffne ich nämlich, in jedem Fall beziehungsweise, eine sehr teure alkoholhaltige Flasche und proste ihm in Gedanken zu, weil er leider seit 40 Jahren nicht mehr lebt, sein bekannterer Name: Hans Habe.

Ein journalärer Populist

Hans Habe würde sich heute, stilsicher ästhetisch, hochelegant angriffslustig, pointiert polemisch, provozierend selbstironisch, immer noch als keinen Intellektuellen bezeichnen, sondern eher als einen journalären Populisten. Ich war ein Teenager, als er starb, und sehe ihn vor mir, rauchend, schmal, gebeugt und immer noch jungenhaft lachend, scharf und schrumpelig wie eine jener Chilischoten, mit denen ich meinem süßen, heiß geliebten linkstraditionellen Ehegespons regelmäßig das Essen verwürze, denn wo ich bin, bin ich der Koch, und ich mag es scharf. Mit der Zuverlässigkeit des linksliberalen Mainstreams in dessen Reaktion auf Schärfe kannte Hans Habe sich aus, schon seit seines noch umstritteneren Vaters Imre journalistischen Zeiten. Der hatte in Wien die erste echte Boulevardzeitung gegründet und sich Karl Kraus zum Todfeind gemacht – weil er mit den gleichen Waffen zurückschlug, die der unvergessene, im eigenen Fall völlig humorbefreite Kraus ständig in alle möglichen und auch viele unmögliche Richtungen austeilte. Den Spiegel scheint Kraus nicht gemocht zu haben, nein, natürlich nicht das gleichnamige führende deutsche Wochenmagazin, das kommt weiter unten.

Habe in der Zeit der Schuldlosen

Hans Habe kannte also die Tradition, eine Boulevardzeitung der Springer-Presse grundsätzlich für unglaubwürdig zu halten, Intelligenzblätter wie den „Stern“ des SS-Kriegsberichters Henri Nannen, „Christ und Welt“, in dem auch der Antichrist und Ultra-Altnazi Johann von Leers inkognito und protegiert von Klaus Mehnert, publizierte, und den unantastbaren „Spiegel“, der seine eigenen Nazis genauso deckte, aber für absolut zuverlässige Quellen der einzig wahren Nachkriegswahrheit zu halten und sonntags Werner Höfers Frühschoppen zu bejubeln, dazu Elisabeth Noelle-Neumanns Allensbacher Demoskopen bedingungslos zu vertrauen.

Ritchie Boy

Habe, der als ritchie boy gegen die Nationalsozialisten gekämpft und eine freie Presse aufzubauen geholfen hatte, muss das alles wie ein Treppenwitz vorgekommen sein, bei dem ihm der bittere Lacher allerdings im Halse stecken blieb. Den anderen auch, Hans Habe traf sie mehr als zweimal. Man trifft sich immer zweimal, mindestens, und das passte dem ex-braunen linken Mainstream natürlich überhaupt nicht. Wer das mitmachte oder auch nur nicht sonderlich kritisch sah, den stellte Hans Habe, zuweilen über das Ziel hinaus, öffentlich bloß, mochte er auch Hermann Hesse, Friedrich Dürrenmatt oder Heinrich Böll heißen. Natürlich folgte scharfer, moralisierender, Habe sogar diffamierender Protest, unter anderem durch den ehemaligen Napola-Schüler Hellmuth Karasek. Wo? Hier natürlich, in „Die Zeit“. Damaliger Chefredakteur: Der ehemalige Adolf-Hitler-Schüler Theo Sommer.

Wenn Habe selbst auf solche Zusammenhänge stieß, sie auch nur assoziieren musste, dann nannte er, der evangelisch getaufte Jude, seine Reaktion keine politische, keine intellektuelle, sondern eine psychosomatische, eine vegetative, nämlich seine Hautkrankheit, seinen Juckreiz.  Allerdings floss dieser Reiz gleich wieder zurück in seine spitze Feder.

Jugendsünden, stillos

Kein Wunder, dass der linksliberale, flink gewendete und also lernfähige pseudo-antifaschistische, antizionistische Mainstream, den es also schon beinahe ewig gibt, sich ständig schwer getroffen fühlte, nichts einstecken, aber gegen den selbstverständlich unverbesserlichen Habe, der sich treu blieb, ständig austeilen konnte, gegen ihn, der doch die Nationalsozialisten mit besiegt hatte, was Nannen, Wirsing, Höfer, Karasek, Grass, Sommer, Jens und wer weiß noch alles vor ihrer sauberen, lange amnestischen und im Falle Wirsings allenfalls angedeuteten, von Herbert Wehner und Willy Brandt aber gedeckten Wende noch nicht einmal im Ansatz hatten schaffen wollen. Auch Marcel Reich-Ranicki hasste das, er beschreibt in seiner Autobiographie „Mein Leben“, wie entsetzt er war, als ihm Joachim C. Fest auf einem Empfang ausgerechnet Albert Speer vorstellte. Mit Karasek saß Reich-Ranicki in einem Quartett. Sicher, Jugendsünden sind lässlich. Sie sind allerdings auch glaubwürdiger, wenn man sie von vornherein bekennt. Hatten Nannen, Höfer, Karasek, Grass, Sommer und Jens das getan? - Das verziehen sie dem unverbesserlichen Hans Habe nie.

Habes hartnäckige Hautkrankheit

Den Deutschen Herbst hat Hans Habe nicht mehr erleben müssen, und auch nicht, wie die APO-Apologeten und ihre dubiosen geistigen Väter den Marsch in den linksgrünliberalen Mainstream bis in hohe und höchste Ämter erreichten. Deutschland ist ein seltsames Land, irgendeine Traditionslinie verbindet die Protestgenerationen immer mit ihren verhassten Vätern: Hans Habes hartnäckige Hautkrankheit. Sie können für einen einzigen müden Cent beispielsweise hier antiquarisch selbst herausfinden, was Hans Habes Hautkrankheit hervorrief. Machen Sie sich dabei keine Sorgen um die anderen. Karasek, Grass, Sommer und Jens finden Sie, für teures Geld, in aktuelleren Auflagen und im Bücherregal ihres Nachbarn, und in zwanzig Jahren kosten die auch nur einen Cent.

Jugendsünden, stilvoll

Zurück zu den Jugendsünden. Hans Habe verdanke ich, für einen Cent, den schönsten Trost und den besten Rat des eleganten Lebemannes, der er auch war, und den ein Vater seinem Sohn mit auf seinen eigenen Weg geben kann. Sinngemäß aus dem Kopf: Wenn man sich trennt, nach einer Nacht, nach einer Zeit, nach langer Zeit, dann solle man das nie leichten Herzens tun, doch immer mit leichter Hand, und einander danken für die im Rückblick immer kurze Zeit, in der man einander das Schönste hat schenken dürfen, was Menschen einander schenken können, menschliche Wärme, Nähe, Lust und Zärtlichkeit. Ja. Das ist die einzige Sorte correctness, die zu leben lohnt.

Prosit, Hans Habe!

Es ist schon spät. Ich lege die Zigarette beiseite, neben den ganzen disparaten, stilvollen Ramsch in meinem Arbeitszimmer, den meine Frau nach meinem Tod für einen Appel und ein Ei verticken wird, dem Spiegel sei Dank für diese geschmackvolle Erkenntnis. Ich höre auf zu Grinsen und werde ernst. Ich erhebe mich, lässig natürlich. Erst dann nehme ich Haltung an, soviel Selbstinszenierung muss sein, auch beim stillen Gedenken. Ich erhebe ein erstes, prickelndes Glas Champagner.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern.

Foto: Tim Maxeiner

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Peter Zentner / 16.05.2017

Ich war noch ein kleiner Bub, als Hans Habe schrieb. Aber meine Mutter las ihn auf fast süchtige Weise, was ich damals, mehr Karl May und Erich Kästner, aber auch Mark Twain und Ernest Hemingway zugetan, nicht verstand. Dottore! Sie haben einen wunderschönen und unter die Haut gehenden Essay (subkutan) geschrieben. Demnächst plündere ich Mamas Bücherregale. Vielen, veielen Dank!

Uli Schneider / 16.05.2017

Poetisch und Politisch-inkorrekt: Für solche Artikel liebe ich die Achse des Guten. Herzlichen Dank und weiter so!

Burkhart Berthold / 16.05.2017

Danke für Ihr Lob auf den alten Hans Habe! Dass der gute Mann freilich ein Filou sein konnte und sich z.B. mit Nannen trefflich arrangiert hat, stimmt allerdings leider auch. Großartig sein Krimi “Das Netz” mit dem Lustmörder, der seine verbrecherische Leidenschaft gewissermaßen mit konservativer Kulturkritik camoufliert. Drolligerweise fand Habe auf seine alten Tage mitunter zu einem ganz ähnlichen Ton. Und gibt es im “Netz” nicht sogar einen der ersten kochenden Kommissare? Unvergessen seine persönliche Verteidigung Israels; sinngemäß sagt er, Israel habe jedes Recht zu existieren - nicht wegen Moses und nicht wegen der UNO, sondern weil die Juden aus diesem Land etwas gemacht hätten. Trinken wir auf den alten Mann!

Knoch Walter / 16.05.2017

Welch ein Zeugnis! Kein Wort mag ich hinzufügen. Es wäre zuviel.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com