Thomas Rietzschel / 30.04.2014 / 17:09 / 11 / Seite ausdrucken

Der Glaube an das Gute in Putin

Geradeheraus: Man muss schon ziemlich wohlstandsverblödet sein, um noch an den faulen Zauber zu glauben, mit dem der Westen Wladimir Putin einschüchtern will. Der Mann weiß längst, was er sich leisten kann. Er hat Blut geleckt und wird sich den Spaß an der Expansion so schnell nicht verderben lassen, erst nicht von den Wortführern der „marktkonformen Demokratien“. Ihnen rutscht doch das Herz schon in die Hosentasche, sobald ein Geschäft zu platzen droht. Und wenn sie den Mann im Kreml jetzt damit ängstigen wollen, demnächst, so peu à peu, die „dritte Stufe der Sanktionen“ einzuleiten, wird ihm das wohl kaum mehr als ein müdes Lächeln abnötigen.

Sicher, vor Monaten wäre damit noch etwas auszurichten gewesen. Wirtschaftssanktionen, die den Namen verdienten, hätten Putin zeigen können, dass es Grenzen gibt, die er nicht überschreiten sollte, dass die freie Welt für ihre europäischen Werte einstehen wird, auch wenn das mit dem einen oder anderen Gewinneinbruch verbunden sein sollte. Unterdessen jedoch kann davon keine Rede mehr sein. Wovor sollten sich die Russen noch fürchten, nachdem sie über Monate erleben konnten, wie die Diplomaten des Westens ihre Drohungen mit schlotternden Knien vorgetragen haben, allen voran der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die alte Betschwester.  Keiner hat so unverdrossen wie er versucht, an das Gute in Putin zu glauben.

Man wollte den Kreml nicht vor den Kopf stoßen. Um aber dennoch den Anschein des Handelns zu erwecken, wurden Sanktionen gegen einzelne Personen verhängt. Für die dramatische Aufladung des Verfahrens sorgte die Staffellung in mehrere Stufen. Das machte viel her, ohne etwas zu bewirken. Ein paar Familien des russischen und des alten ukrainischen Establishments, deren Namen bisher noch kaum jemand kannte, wurden mit einer Buße belegt. Sie sollten nicht mehr so ohne weiteres nach Baden-Baden oder an den Comer See reisen und in Paris oder London einkaufen können.

Die Strafe entsprach dem Vorstellungsvermögen der wohlständisch versorgten Konsumgesellschaft. Denen, die sie treffen sollte, konnte sie nichts anhaben. Denn erstens wären Putin und seine Oligarchen weder zu der Macht und zu dem Reichtum gelangt, der sie dazu ermuntert, auf das Völkerrecht zu pfeifen, wenn sie ihr Vermögen immer brav unter dem eigenen Namen auf Konten gelegt hätten, die sich per mouse click sperren ließen, in Zürich, in New York, in London oder sonst wo. Und zweitens hat es die Machthaber im Kreml noch nie gekümmert, wenn die Untertan, ärmere wie reichere, für die Kosten ihrer Großmachtgelüste einstehen mussten. Das war unter den Zaren nicht anders als unter Stalin und seinen Nachfolgern.

Wer immer sich einreden will, dass Putin über kurz oder lang einlenken müsse, weil der Bruch mit dem Westen sein Land wirtschaftlichen ruinieren würde, sollte sich daran erinnern, dass es die Diktatoren bisher noch allemal verstanden haben, das Volk mit dem Mythos der Großmacht engagiert leiden zu lassen.  Auch Hitler sind die Deutschen bis ins Verderben hinterher gelaufen. Heute scheint uns das unbegreiflich. Wie ein schlechter Komiker will uns der „Führer“ vorkommen, sehen wir auf alten Filmaufnahmen, wie er kreischend vor den Massen hampelt.

Und wie wird sich das einst mit Wladimir Putin verhalten? Was werden nachkommende Generationen empfinden, wenn sie das kleine Männlein zwischen den hohen Türen des Kreml sehen oder mit nacktem Oberkörper beim Fischfang, als Tiefseetaucher, als Rennfahrer und mit der Flinte neben einem Tiger?

Über die Lächerlichkeit ihrer Inszenierung erschrickt die Mehrheit immer erst dann, wenn die Macht von den selbsternannten Anführern abgefallen ist. Erst dann wollen alle erkennen, was man heute schon sehen könnte: dass es keinen Grund gibt. vor den Putins dieser Welt zu katzbuckeln, auch nicht auf dem diplomatischen Parkett. Insofern stimmt es schon, dass wir uns bemühen sollten, die Antriebe ihres Handelns zu verstehen, aber nicht um die Rechtmäßigkeit ihres Expansionsstrebens zu begreifen, sondern um die Maßlosigkeit ihrer Machtanmaßung zu durchschauen.

Als den Bürgern der DDR das klar geworden war, haben sie Honecker und Konsorten zum Teufel gejagt. Und auch die Politiker unserer Tage täten gut daran, wenn sie nicht länger zögerten, sich eindeutig hinter jene zu stellen, die für die Verteidigung der europäischen Werte unter anderem auf dem Majdan demonstriert haben. Unser Wirtschaft wird nicht zusammenbrechen, die Konsumgesellschaft nicht kollabieren, wenn die Europäische Wertegemeinschaft Putin die kalte Schulter zeigt, anstatt ihn in die Arme zu schließen, mit ihm die Gläser klingen zu lassen, wie es der sozialdemokratische Altkanzler Schröder und der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Philipp Mißfelder eben erst in St. Petersburg getan haben. 

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Franz Roth / 02.05.2014

“Und zweitens hat es die Machthaber im Kreml noch nie gekümmert, wenn die Untertan, ärmere wie reichere, für die Kosten ihrer Großmachtgelüste einstehen mussten. Das war unter den Zaren nicht anders als unter Stalin und seinen Nachfolgern.” Tja, Herr Retschel, leider nicht ganz geschichtsfirm! Denn die Zaren, die Sie gemeinsam mit Stalin & Co. nennen, waren eben NICHT “Machthaber im Kreml”! Denn - aufgemerkt - von 1712 bis 1918 war Sankt Petersburg die Hauptstadt des Russischen Zarenreiches bzw. des Russischen Kaiserreiches (kurzes Moskauer “Intermezzo” von 1728 bis 1732).

Henning Rieck / 02.05.2014

Die “europäischen Werte” als Argument gegen die Putin-Versteher trifft nicht. Den Wandel dieser freiheitlichen Werte spiegeln allerhand Autoren auf diesem erfolgreichen Blog täglich erfolgreich wider. Es ist so simpel: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Das erklärt auch den großen bunten Garten, der von links nach rechts alle politischen Farben als “Putin-Versteher” wachsen und erblühen läßt.    

Rudolf Steger / 01.05.2014

War ich bisher doch der Meinung, dass auf achgut Autoren schreiben, die den Mainstream eher kritisch hinterfragen, als beim einseitigen Russland- und Putin-Bashing noch eins drauf zu setzen, wie dies Thomas Rietzschel meint tun zu müssen.        Wir können dankbar sein, dass Thomas R. nur aggressive Artikel schreibt und in der Politik nicht mitreden kann und nicht darüber bestimmt, dass die Konfrontation gegenüber Russland so weit irgend möglich verschärft wird. Da ist mir der eher bremsende Steinmeier viel lieber, den er als „alte Betschwester“ diffamiert. Sein Versuch, Analogien zwischen Putin und Hitler herbei zu schreiben, entlarvt seine Weltsicht, in der es offenbar nur die Gegensätze von Gut und Böse gibt. Politik ist übrigens keine Frage von Vertrauen, sondern der Versuch eines Ausgleichs von Interessen. Wer auf der anderen Seite nur das Böse sieht, alle bösen Absichten unterstellt, deren Führer verteufelt, dagegen auf seiner Seite nur das Wertvolle und die edelsten Absichten erkennt, hat eine Weltsicht, die Vergangenheit sein sollte. Denn wohin diese Einstellung führt, siehe Zeitgeschichte der vergangenen 100 Jahre.  Sie empfehlen eine Problemlösung durch maximale Konfrontation, ohne zu bedenken, welches am Ende die Folgen sein könnten. Wer nicht Ihrer Meinung ist, wird persönlich diffamiert. Die Politiker sind alle doof und feige („schlotternde Kniee“), die Wirtschaftsführer nur hinter ihrem Geschäft her, wer auch die Sicht der anderen Seite zu bedenken gibt, wird als „Putinversteher“ diffamiert (s. Ihr voriger Beitrag auf achgut zu diesem Thema). Ihrem Artikel kann man entnehmen, dass Sie gegenüber der Person Putin einen tiefen Hass empfinden. Nun, man muss den Mann nicht lieben und besonders schätzen. Aber zur Bewertung einer politischen Situation sind Sie mit Ihrer Einstellung nicht geeignet.

Tom Brandt / 01.05.2014

Was soll Putin auch sonst machen, als versuchen, seine Macht auszubauen. Jeder macht das, mal mehr oder weniger erfolgreich. (West-) Europas momentane Schwäche haben wir obernaiven Dilettanten wie Martin Schulz berechtigt zu verdanken. Obama ist auch keine Hilfe, im Gegenteil, die US führen sich auf, wie der nächtliche Inbrandsetzer von Autos in der Provinz.

Werner Reichel / 01.05.2014

Lieber Herr Rietzschel, eindrucksvoll dargestellt. Alles auch soweit richtig unter dem Aspekt “Verteidigung unserer Werte.” Aber welche Werte haben wir?? “Goethe meint zur Selbstkritik? : „Ach, welch ein Unterschied es ist, ob man sich oder andere beurteilt!“ … Auch Putin scheint an Selbstüberschätzung zu leiden. Ein bisschen mehr Bescheidenheit könnte den Europäern auch nicht schaden, vor allem wenn Europas Bevölkerung sich in absehbarer Zeit auf 7% der Weltbevölkerung reduzieren wird! (Helmut Schmid auf der Sicherheitskonferenz 2014) Sicher Putin kennt und spielt mit unseren wankenden Werten, die uns von unseren „unerzogenen Kindern“ - Banken, Konzerne und korrupte Politiker“ kaputt gemacht wurden. Die kümmern sich einen Dreck um demokratische Werte oder volkswirtschaftliches Wohlverhalten. Da wird Geld zur Vermehrung rigoros und grenzenlos in Billionen um die Welt gejagt – natürlich immer am Fiskus vorbei und in kaum vorstellbaren Dimensionen gehortet.“ – Allein in Europa sind dies 1 Billion Steuern, die dem Volk – jährlich - gestohlen werden. Das alles flößt den EU-Bürgern kein Vertrauen ein und ist sicherlich nicht förderlich für sehnsüchtig herbeigeredete Zuwachsraten. Bei bis zu 50 % Jugendarbeitslosigkeit! Es muss verstanden werden, dass dieses katastrophale Versagen Hauptursache für den weitgehend verloren gegangen globalen Respekt unseren Werten gegenüber ist. Und es ist ein Pulverfass auf dem wir sitzen. Und noch etwas zum Thema Selbstkritik: Wie denkt der Rest der Welt über Lampedusa? „Vor lauter Angst, dass ihnen nur ein paar hundert Kinder und Frauen unseren Wohlstand wegessen, lassen sie sie absaufen!?“ Oder wissen wir wie die Imponderabilien - Klimawandel, Bevölkerungsexplosion und die sich explosionsartig bildenden Netzwerke – die Welt verändern. Ich bin sicher. Dass diese gewaltigen Netzwerke im Internet die Machtverhältnisse neu definieren werden - vom Anbieter zum Nachfrager. Es wird die Gesellschaft revolutionär verändern! Die Entwicklung von extrem starken Gruppen, Mitarbeitern Kunden und Bürgern, die ihre Macht zu nutzen wissen, wird kommen. Es gibt nur Eines! Runter vom Ross und den globalen Kuchen so weit es geht vernünftig teilen. Sonst fliegen uns die Drohnen-Kriege um Finanzen, Wirtschaftszuwachsraten, Wasser, Energie, Fundamentalismus, Klimawahnsinn, Bevölkerungsexplosion, Cyberkriege… regelrecht um die Ohren. Darum bevorzuge ich den Einsatz vertrauenswürdiger, bescheidener, aber auch intelligenter „Betschwestern“ anstatt korrupter, hochintelligenter Politiker. Shalom Werner Reichel

Mona Rieboldt / 01.05.2014

“Spaß an der Expansion”, “Putin zeigen, dass es Grenzen gibt”, “Maßlosigkeit ihrer Macht-Anmaßung” etc. Geht es noch überzogener? Putin ist weder in die baltischen Staaten, Polen, Schweden noch in die Ukraine einmarschiert. Und die “freie Welt für europäische Werte einstehen”, “europäische Wertegemeinschaft”. Welche Werte meinen Sie? Einschränkung der Meinungsfreiheit? Sarrazin verlor seinen Job wegen eines Buches, Leser, die mit der Kriegsrhetorik in der gesamten Presse nicht einverstanden waren, wurden beschimpft von eben dieser Presse als Putin-Versteher, als Rechte etc. Meinen Sie mit “europäischen Werte” die reichhaltige Verbotskultur in der EU und die Maßlosigkeit weiterer Verbote, die schon angekündigt wurden? Dagegen ist Putins Russland geradezu ein Hort der Freiheit.

Paul Mittelsdorf / 30.04.2014

“Heute scheint uns das unbegreiflich.” Nein, begreiflicher denn je. Ich finde, Putin ist ein gutes Beispiel, um die Begeisterung der Deutschen für Hitler zu verstehen.

Thomas Klingelhöfer / 30.04.2014

“Er hat Blut geleckt” scheint mir als Motivation zu einfach. IMHO ist Putin (zu unserem unverdienten Glück) ein rational handelnder Mensch, der die geopolitischen Interessen seines Landes klar sieht und keine Einkreisung / Marginalisierung durch Nato und EU dulden kann ohne massiven machtpolitischen Verlust. Friedensnobelpreisträger Obama verhöhnte Rußland bereits als Regionalmacht. Die seitens des “Westens” dilletantisch durchgezogene Nummer, durch Einsatz von NGOs (die Konrad-Adenauer-Stiftung ist ja so staatsfern) und 5 Mrd. Dollar eine zwar autoritäre, aber demokratisch gewählte Regierung zu destabilisieren, die Ukraine von Rußland zu lösen und in die EU aufzunehmen, ist krachend gescheitert. Viele Menschen durchschauen das üble Schachspiel und weigern sich, allein Rußland und Putin die Schuld für die Eskalation zuzuweisen. Auch das mediale Trommelfeuer offenbar kriegslüsterner Medien wird daran wenig ändern.

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