Fred Viebahn / 15.01.2007 / 15:49 / 0 / Seite ausdrucken

Der gewöhnliche Sadismus der Bürokratie

Als Sohn eines deutschen Beamten (mein Vater war bei der Steuerfahndung) weiß ich seit meiner Kindheit, daß Bürokraten auch nur Menschen sind—freundlich und hilfsbereit, wenn man Glück, gleichgültig, schludrig oder gar feindselig, wenn man Pech hat. Das trifft auch auf meine Erfahrungen mit der amerikanischen Bürokratie zu—wobei mir aufgefallen ist, daß amtliches Entgegenkommen, ja oft gar eine gewisse Liebenswürdigkeit im Umgang mit dem Bürger kleinstädtischen Amtsinhabern gewöhnlich leicht fällt; wenn ich zum Beispiel zum Sheriff gehe, um mir eine Lizenz erneuern zu lassen, sind die Angestellten immer zu einem gemütlichen Schwatz aufgelegt, und sogar als durchnumerierter0 Kunde im unpersönlichen Apparat des Straßenverkehrsamtes kann man die Leute hinter den Schaltern mit ein paar netten Worten zum Schmunzeln und zu leichter Konversation animieren.

Bei meinen beiden wichtigsten Begegnungen mit den amerikanischen Einwanderungsbehörden habe ich unverschämtes Glück gehabt. Die erste fand vor über einem Vierteljahrhundert im Berliner Generalkonsulat statt; zu der Zeit hatte ich bereits mehrere Jahre mit einem Lehrvisum in den USA gelebt0 und war seitdem mit meiner amerikanischen Frau verheiratet. Nach zwei Interimsjahren in Israel und Deutschland beschlossen wir, zurück nach Amerika zu ziehen. Also beantragte ich die längst nicht mehr grüne, doch auch heute noch “Green Card” genannte ständige Aufenthaltsgenehmigung. Der0 Konsulatsbeamte, ein junger Schnösel, “vernahm” mich auf eine unangenehm arrogante Art und konnte mir angeblich nicht sagen, wie lange mein Antrag brauchen würde. Als ich vom Konsulatsbebäude in die frische Frühjahrsluft Dahlems trat, lief ich einem älteren, eigentlich in Bonn stationierten hochrangigen amerikanischen Diplomaten in die Arme; ich war ihm mal bei einer Gartenparty vorgestellt worden, weil er ein Alumnus desselben College war, an dem ich zwei Jahre lang deutsche Literatur unterrichtet hatte. Jovial fragte er mich, was mich hergebracht hätte, sagte mir dann sozusagen zwischen Tür und Angel seine Hilfe zu—und schon lief alles wie am Schnürchen; wenige Wochen später konnte ich mein Green Card-Visum in Empfang nehmen.

Auch bei meinem Antrag auf Einbürgerung rettete mich das Glück einer außergewöhnlichen Beziehung davor, im Treibsand des damaligen INS (Immigration and Naturalization Service; heute Teil der Homeland Security-Behörde) unterzugehen, wenn auch weniger zufällig als in Berlin. Man “verlor” nämlich meinen Antrag mitsamt den zahlreichen Unterlagen, die ich hatte zusammenschleppen müssen; ein halbes Jahr verging, nichts war mehr aufzufinden, meine Briefe wurden einfach nicht beantwortet, und der Versuch, bei der Behörde durchzuklingeln, geriet zur kafkaesken Groteske: Zwischen acht Uhr morgens und fünf Uhr nachmittags war ständig besetzt, und zu anderen Zeiten informierte eine automatische Stimme, man solle doch bitte zwischen acht und fünf anrufen. Da riß meiner Frau der Geduldsfaden, und sie tat, was uns zunächst 0zu blöd vorgekommen war: Sie schickte ein Fax an den damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, mit dem wir persönlich gut bekannt waren. Bereits am nächsten Tag rief ein leitender Angestellter der INS meine Frau an und entschuldigte sich für seine Behörde: Meine Papiere seien nach einigem Suchen im Archiv wiederentdeckt worden. Im Archiv? Aber ich fragte nicht weiter nach, denn bevor ich mich’s versah, war ich als US-Bürger eingeschworen.0

Daß der gewöhnliche, oft von Schludrigkeit oder Arbeitsüberlastung genährte und gelegentlich böswillige Sadismus der Bürokratie sich auch in einer Demokratie ziemlich ungestört breitmachen kann, bewiesen mir neuerdings mal wieder drei Beispiele aus meinem0 Bekanntenkreis:

A. kam vor etwa sechs Jahren als Medizinstudentin nach Amerika. Ursprünglich Perserin, hatte0 sie vorher bereits in England studiert und es seit fast einem Jahrzehnt vermieden, in ihre Heimat zurückzukehren. Nach ihrem Facharztabschluß vor etwa einem Jahr hatte sie verständlicherweise immer noch keine Lust, verschleiert ins Land der Ayatollahs zurückzukehren. Da sie als Kind und Teenager in Teheran, obwohl säkulär, weder “politsch verfolgt” gewesen war noch0 sich politisch betätigt hatte, hatte sie keinen Grund, in den USA um politisches Asyl zu ersuchen und mußte ihrem Visumstatus zufolge eigentlich raus aus dem “Land of the Free”. Allerdings bot sich eine Ausnahmemöglichkeit0 für die Verlängerung bzw. Umwandlung des Visums in eine ständige Aufenthaltsgenehmigung an, nämlich sich auf mindestens zwei Jahre als Ärztin an einer Klinik in einer ärztearmen Gegend zu verdingen, und das wollte sie sich nicht entgehen lassen, egal wie isoliert und einsam der Ort sein mochte, wo ihre diese Chance geboten würde. So weit, so gut; sie zog aus unserem kulturstrotzenden Städtchen in den Hinterwald und stürzte sich in die Arbeit, glücklich, in Amerika bleiben zu dürfen.

Doch vor wenigen Wochen, um Weihnachten, beging sie die Untat, unser freundliches Territorium zu verlassen, um Freunde in London zu besuchen. Beim Versuch der Rückreise gab’s aus blauem Himmel Verzögerungen mit ihrem eigentlich einwandfreien Visum. (Bei jeder Aus- und Einreise unterliegt das Visum wegen des Sonderstatus einer behördlichen Abstempelei; so will es nun mal aus unerfindlichen Gründen eine unerklärliche Staatsräson.) Vorige Woche teilte ihr ihr Arbeitgeber, die Klinik in der ärztearmen Gegend, mit, man müsse ihr, da sie nicht termingerecht aus ihrem Urlaub zurückgekehrt sei, leider kündigen… womit dem Visum die rechtliche Grundlage entzogen wäre. Also, weil das Rückreisevisum0 nicht effizient bearbeitet wurde, verliert A. ihren Job, und weil sie ihren Job verliert, wird das Visum ungültig. Willkommen im Teufelskreis!

A.’s hiesige Freunde wundern sich natürlich,0 ob diese existenzbedrohliche Schikane was damit zu tun hat, daß sie Iranerin ist, also ob die Herkunft aus den Terrorgefilden totalitärer Mullahs und hirnrissiger islamistischer Fanatiker bei den Konsulaten im Ausland ohne Rücksicht auf die Betroffene quasi automatisch rote Flaggen winken läßt. (Für solch undifferenzierte, rücksichtslose Unbedachtheit gibt’s immerhin historische Beispiele, z.B. die Internierung jüdischer Flüchtlinge und anderer deutscher Antinazis als “feindliche 0Ausländer” im England des 2. Weltkriegs.) Ich bin mir nicht sicher; die beiden anderen0 Beispiele aus meinem Bekanntenkreis lassen das bezweifeln, 0weisen eher darauf hin, daß es sich um die ganz ordinäre Menschenverachtung handelt, die leicht dort wuchert, wo auch demokratische Systeme denjenigen Staatsapparaten, die sich mit “Aliens”, also Fremden beschäftigen, zu viel ungecheckte Macht einräumen.

Mein zweiter “Fall” handelt von unserer Freundin Laetitia. Laetitia ist Französin aus Paris, also kann ich ihren Namen nennen; sie muß nicht befürchten, von Mullahs niedergemacht zu 0werden.. Auch sie, die mehrere Sprachen, darunter deutsch, fließend spricht, kam als Studentin in die USA. Wir lernten sie beim Gesellschaftstanz kennen, und bei diesen Gesellschaftstanzabenden verliebte sie sich in unseren Freund Al. Al war zwar noch verheiratet, aber seine Frau hatte ihn bereits vor Jahren verlassen. Laetitia wurde von Al schwanger und gebar einen Sohn, der damit automatisch amerikanischer Staatsbürger war. Das hieß aber nicht, daß Laetitia irgendwelche Privilegien erwarten konnte—nach dem Abschluß ihres Studiums, da war das Kind ein Jahr alt, verlor ihr Studentenvisum seine Gültigkeit, und sie mußte raus aus den USA, während Als Scheidung von seiner Frau sich wegen finanzieller Streitigkeiten hinauszögerte. Das Kind hätte natürlich bleiben können; allerdings hat 0ein amerikanisches Kind kein Recht aufs Zusammensein mit ausländischen Eltern, so grausam sich das auch anhören mag. Der Kongreß beschloß die entsprechende restriktive Gesetzgebung Mitte der achtziger Jahre, um vor allem mexikanischen Müttern den “Mißbrauch” zu versauern, kurz vor einer Geburt illegal über die Grenze in die USA zu schlüpfen und ihr Kind als US-Bürger zu gebären (jedes auf US-Territorium geborene Kind ist automatisch amerikanischer Staatsbürger, die elterliche Staatsangehörigkeit bleibt dabei piepegal);0 vor dieser Gesetzesänderung ermöglichte der einfache Status als unmittelbarer Verwandter—Eltern, Kinder, Ehegatte—eines amerikanischen Staatsbürgers ein relativ unkompliziertes Einwanderungsverfahren.

Vor zwei Jahren wurde Al endlich geschieden. Seitdem versucht Laetitia, über die US-Botschaft in Paris ein spezielles Heiratsvisum zu ergattern. Trotz des inzwischen fünfjährigen gemeinsamen Sohnes mußten alle möglichen Beweise vorlegt werden, aus denen hervorgeht, daß 0eine Ehe zwischen Laetitia und Al kein Betrugsversuch am amerikanischen Staat wäre, geschlossen aus dem einen Grund, Laetitia in die USA zu schleusen. Zu dem Beweismaterial gehörte auch eine Reihe von Fotos, die ich in den vergangenen acht Jahren von den beiden und später ihrem Kind gemacht habe; dabei würde man doch denken, der Sohnemann selbst sei Beweis genug…

Es nützte bisher nicht viel; vielnehr schleppt sich die Sache weiter hin, ohne daß einer der überarbeiteten Konsulatsbeamten in Paris die Frage nach dem Wann zu beantworten bereit wäre. So kriecht, kann man nur vermuten, der “Fall” von Aktenschrank zu Aktenschrank, oder von Amtscomputer zu Amtscomputer. Na, immerhin, in dreizehn Jahren, wenn der Sohn achtzehn wird, hat er endlich das Recht, selber die Einwanderung seiner Mutter zu beantragen, und dann müßte es ruck-zuck gehen…

Übel mitgespielt von der Grenzbürokratie wurde im letzten Herbst auch unseren Freundinnen Lisa und Brenley in Toronto. Die beiden bilden ein vor allem in ihrer kanadischen Heimat, im United Kingdom und in Australien recht bekanntes Folk Music-Duo namens Madviolet. Relativ kurzfristig erhielten sie eine lukrative Einladung, die irische Band Hothouse Flowers auf ihrer nordamerikanischen Tour zu begleiten. Also zahlten sie an die U.S. Immigration 0eine Gebühr von zwölfhundert Dollar für garantiert beschleunigte Abwicklung des in solchen Fällen erforderlichen P2-Arbeitsvisums, buchten acht Flüge, Mietwagen, Hotels, die Publicity lief, Posters und Tickets wurden gedruckt—nur was nicht kam, waren die beiden Arbeitsvisa. Und warum nicht? Es gab keine politischen Gründe dafür, nach bewußter Schikane sah es auch nicht aus—es war ganz einfach Behördenschlamperei. Wer dafür verantwortlich war und damit einen Schaden von tausenden von Dollars an Unkosten und weiteren tausenden an Einkommenseinbuße verursachte, wird natürlich nie verraten; dafür kommt niemand auf. Denn Verantwortungsbewußtsein gibt es dort nicht, wo niemand zur Verantwortung gezogen werden kann.

Eine Bürokratie, die sich mit Menschen außerhalb des eigenen Systems beschäftigt, also mit Ausländern, bewegt sich weitgehend am Rande der Gesellschaft und scheint dort so fuhrwerken zu können, wie sie will; die Demokratie, die im Inneren herrscht, hat an dieser Peripherie so gut wie keine Repräsentanten. Es sei denn, man ist mit dem Präsidenten des Landes befreundet.

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