Von Markus C. Kerber.
Der ehemalige Chef der katalonischen Regionalregierung ist alles andere als ein Held. Noch im Amt ließ Puigdemont über die Sezession Kataloniens von Spanien abstimmen und glaubte dabei, die spanische Zentralmacht würde dies geschehen lassen. Dabei wollen die meisten Katalanen vor allem eins: nicht mehr die Milchkuh für den spanischen Bundesfinanzausgleich spielen. Vielleicht hatte Puigdemont dies vor allem im Blick, als er den Sezessionsprozess mit viel Pomp und Pathos lostrat.
Doch die spanische Bundesregierung reagierte in hohem Maße politisch. Sie zeigte, dass ein Bundesstaat auf Bundesgewalt beruht, setzte unter Anwendung von Bundeszwang gem. Art. 155 der spanischen Verfassung den Regierungschef ab und versuchte, ihn zu verhaften. Puigdemont – statt in den Untergrund zu gehen oder das Opfer der Gefängnishaft auf sich zu nehmen – setzte sich ins europäische Ausland ab und wird seitdem mit europäischem Haftbefehl gesucht.
Wie peinlich für die deutschen Justiz-Beamten, dass der wenig mutige Puigedemont sich nun in Schleswig-Holstein in Polizeigewahrsam befindet und sich Deutschland nicht um die Entscheidung drücken kann: ausliefern oder nicht?
Aber im Lande von Mutti Merkel geht alles seinen rechten Gang. So prüft nun das zuständige Oberlandesgericht, ob die Demarche des Generalstaatsanwalts, dem Auslieferungsgesuch zuzustimmen, mit deutschem Recht vereinbar sei und Puigdemonts Anwalt – ein Jurist von deutlich regionalem Format – erklärt, er habe volles Vertrauen in die schleswig-holsteinische Gerichtsbarkeit. Was wird das OLG prüfen?
Da es sich um einen Europäischen Haftbefehl handelt, gibt es an sich nichts zu prüfen. Er wurde als große Errungenschaft der EU („ein Raum der Sicherheit und des Rechts“) – eingeführt, um europaweit auf Straftäter zugreifen zu können, statt die Strafverfolgung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit anzuvertrauen. Die Verfassungsbeschwerdeführer gegen den Lissabon-Vertrag, der diese „Errungenschaft“ institutionalisierte, hatten dagegen geltend gemacht, Rumänien könne die deutschen Strafverfolgungsbehörden zur Auslieferung eines Strafverdächtigen im Wege des Europäischen Haftbefehls verpflichten, obwohl es sich bei dem rumänischen Strafdelikt um einen Tatbestand handele, der in Deutschland nicht mal eine Ordnungswidrigkeit darstelle.
Puigdemont kann seinen Asylantrag glaubwürdig begründen
Der Europäische Haftbefehlt bewirkt also immer eine Rechtsschutzverkürzung und macht in unserem Fall die deutsche Justiz zu einem Gehilfen spanischer Bundesgewalt. Denn die vollumfängliche rechtliche Nachprüfung der Strafbarkeit von Puigdemont nach deutschem Recht mit der Rechtswegegarantie des Art. 19 IV GG wird hierdurch sehr weitgehend aufgehoben.
Dem kann das OLG Schleswig-Holstein nur einen Riegel vorschieben, wenn es ausführt, dass der Europäische Haftbefehl ein Verhalten betrifft, welches in Deutschland nicht strafbar wäre. Dann müsste es die These des Generalstaatswalts widerlegen, wonach die nach spanischem Recht strafbare rebelión – hier die Loslösung Kataloniens von Spanien – ein dem Hochverrat ähnliches Delikt wäre. Ein solcher Vergleich ist indessen absurd. Denn die deutschen föderalen Verhältnisse lassen sich nicht mit der spanischen Geschichte vergleichen.
Katalonien hat sich bei der mühevollen Verfassungsgebung seit 1976 nie wirklich mit dem Statut der communidad autónoma abgefunden, weil es der Region nicht einmal - im Unterschied zu Bremen und Saarland - die Staatlichkeit verlieh. Die Katalanen haben immer gegen den Herrschaftsanspruch der Bourbonendynastie aufbegehrt und litten mehr als die anderen Spanier (außer den Basken) unter der Franco-Diktatur. Ihre Sprache wurde selbst als Umgangssprache in Katalonien verboten und den einzigen Lehrstuhl für Katalanisch (der dritten Muttersprache von Carlo Schmid) ließ Franco in Madrid einrichten. Man darf gespannt sein, welche Schlüsse das OLG zieht und ob es gar dem wenig couragierten Puigdemont das Asylrecht verweigert. Denn dieser nicht sehr radikale Separatist kann sein Schutzrecht viel glaubwürdiger in Anspruch nehmen als ein Wirtschaftsflüchtling aus dem Sudan. Kein Zweifel: Puigdemont wird in Spanien politisch verfolgt!
Schon jetzt jedenfalls ist die Blamage für Deutschland groß. Die Macht in der Mitte Europas vertraut bei dem hochpolitischen Auslieferungsgesuch der spanischen Zentralregierung auf die Justiz Schleswig-Holsteins. Selbst die elegante Bundesjustizministerin scheint für den Fall kaum Interesse zu haben. Die führende Wirtschaftsmacht Europas hat sich in den Orkus des Unpolitischen manövriert. In Deutschland haben die Piefkes das Sagen. Und der raconteur der deutschen Politik, Gregor Gysi, ein Nachfahre des DDR-Kommunismus, lässt sich diese Vorlage nicht entgehen, um das Freiheitslied anzustimmen.
Markus C. Kerber ist Jurist und Professor für Finzanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, E.N.A. 1985 (Diderot), Gastprofessor an der Warsaw School of Economics und der Université Panthéon-Assas sowie Gründer von www.europolis-online.org. Als Buch ist von ihm erschienen: „Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage“.