Tamara Wernli / 02.03.2017 / 20:00 / 3 / Seite ausdrucken

Der Fall PewDiePie und die Heuchelei der Journalisten

Die Web-Plattform Fiverr bietet allerlei Jobs für fünf US-Dollar an. Um diese Absurdität auf "humorvolle Weise" aufzuzeigen, machte Entertainer PewDiePie neulich ein Experiment: Er buchte bei Fiverr zwei tanzende Inder, die ein Schild mit der Aufschrift "Tod allen Juden" hochhalten. Ja, für Geld kann man alles kaufen. Und ja, die Aufschrift ist – auch für Satire – indiskutabel geschmacklos und zeugt von absoluter Geistesschlichtheit. Den Witz könnte man genauso als getarnten Aufruf zur Gewalt verstehen. Die Verlockung, Grenzen auszuloten, und der Drang, seine Follower zu verblüffen, war für PewDiePie offenbar stärker als jede Vernunft.

PewDiePie aka Felix Kjellberg ist der grösste Youtube-Star der Welt. Er postet Videos von sich beim Gamen, bei Lach-Herausforderungen, er macht sich über Dinge lustig. 54 Millionen Abonnenten gefällt die Unterhaltung des Amateur-Comedian. Geschätzte acht Millionen Dollar im Jahr verdient der 27-jährige damit. Wer es als Einzelperson zustande bringt, dass seine Videos an einem Tag von bis zu sechzehn Millionen (!) Menschen angeguckt werden, braucht sich nicht zu wundern, wenn einem gewisse Dummheiten irgendwann um die Ohren fliegen: Das "Wall Street Journal" brandmarkte PewDiePie in einem vielbeachteten Artikel als Antisemiten, mit der Folge, dass Disney seine Partnerschaft mit ihm beendete. PewDiePie entschuldigte sich, er sei zu weit gegangen mit dem Witz, wollte nie Antisemitismus bewerben.

Ich mag PewDiePie nicht verteidigen. Von einem erwachsenen Menschen dürfte man erwarten, dass er seine Witze zu Ende denkt und abschätzt, wie sie auf andere wirken könnten. Als Influencer trägt er ein Stück weit Verantwortung. Dass das WSJ sich berufen fühlte, mit dem Video bei Disney hausieren zu gehen – er hat es selbst verschuldet.

Nur gibt es da zwei kleine Probleme. Das WSJ schreibt in seiner vernichtenden Schlagzeile von antisemitischen "posts", also Mitteilungen. Ein Witz ist keine Mitteilung. Man kann nun auf Wortspielereien herumtanzen, verzichtet man aber auf diese Differenzierung oder ist nicht bemüht, die Absicht hinter dem Medienexperiment zu erfahren, übersimplifiziert man den Sachverhalt, anstatt ein vollständiges Bild zu zeichnen.

Seine Anhängerschaft bleibt ihm treu

Heuchlerisch wird es dann, wenn der federführende Journalist, Ben Fritz, dieselbe Art von Witzen bei Twitter loslässt: "War gerade auf meiner ersten Chanukka Party. Hatte keine Ahnung, dass Juden so geschickt im Brutzeln sind." Man verliert sich eben schnell in den Genüssen befriedigten Hochmuts. Den Tweet hat Fritz mittlerweile gelöscht; im Archiv ist er noch immer auffindbar.

Dank dem WSJ-Artikel ist PewDiePie einflussreicher denn je. Am Tag nach der Veröffentlichung verzeichnete sein Kanal 18'795 neue Abonnenten. Am fünften Tag danach plus 85.833, am sechsten plus 117.835. Seine Anhängerschaft bleibt ihm treu, weil sie zu unterscheiden vermag und versteht, was er aufzeigen wollte. Er wird weiterhin viel Geld verdienen. Wer daran zweifelt, begreift den Mechanismus der neuen Medien nicht.

Hinter PewDiePies Filmchen steckt keine antisemitische Absicht. Ich habe mir unzählige seiner Clips angeguckt. Einige sind töricht, taktlos, andere – wie seine jüngste Abrechnung mit Ben Fritz, "How about that" – ein komödiantisches Glanzstück. Bis Ende Woche wird er mit den gesammelten Klicks für das eine Video die Auflage des gesamten WSJ um das Fünffache überschritten haben.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.

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Leserpost

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Martin Schmidt / 03.03.2017

Liebe Tamara, “zu ende denken und abschätzen“ im Klartext Selbstzensur. Die “Gesellschaft“ hat sich Regeln gegeben. So weit so gut. Das Problem ist das immer häufiger diese Regeln nicht mehr von der Gesellschaft aufgestellt werden sondern von Einzelpersonen. Es handelt sich um Personen die mit viel Geld Macht erkaufen. Sie Gründen “Stiftungen“ oder “Think tanks“ sie “Spenden“ und kaufen sich in die “Medien“ ein. Auf diese Weise bilden sie eine Art außerparlamentarische Opposition. Sie bestimmen damit auf vielen Ebenen, von Politik über Medien bis zur Wirtschaft, was der Bürger zu denken und zu tun hat. Die Welt wird nach ihren Vorstellungen geformt. Das machen sie nicht aus Liebe zur Menschheit. Das einzige was zählt ist der Profit. Ja auch “Gags“ müssen ihre Grenzen haben. Das muss der Einzelne mit sich selber ausmachen. So lange es nicht gegen geltende Gesetze verstößt. Doch auch auf dieser Ebene sind die “Licht scheuen“ mittlerweile aktiv, wie man vor wenigen Tagen lesen konnte. Wie lange werden wir also noch in Freiheit leben?

Martin Lederer / 03.03.2017

“Seine Anhängerschaft bleibt ihm treu,...” weil sie keine Zensur mag. Sie mag nicht vorgeschrieben bekommen, was sie sehen dürfen und was nicht.

Wilfried Cremer / 02.03.2017

Wer nicht voll geisteskrank ist, weiß, dass der kranke Clip zig Millionen neue Fans aus einem gewissen Kulturkreis bringen kann, also noch mal Kohle ohne Ende. Ergo: Doch schuldig!

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