Cora Stephan / 24.11.2012 / 16:15 / 0 / Seite ausdrucken

Der englische Freund

Nach der ersten Fernsehdebatte zwischen Barack Obama und Mitt Romney rätselten Moderatorin und Korrespondentin eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders: „Was hat Obama falsch gemacht?“ Keine der Damen stellte die Frage, was Mitt Romney richtig gemacht haben könnte. Republikaner gelten hierzulande als dumm und dumpf, deren Wähler als kaltherzige Scheusale zwischen Rednecks und Ku Klux Klan.
Die deutsche Obambimanie hingegen kennt keine Grenzen. Sie wird höchstens noch übertroffen vom Eifer, mit dem das kommentierende Moralgeschwader die USA herunterzuschreiben pflegt. Irgendein Hellseher findet sich immer, der den Untergang Amerikas weissagt, meist mit jenem leicht triumphierenden Unterton, den ein Kulturmensch gegenüber ungehobelten Barbaren anschlägt. Die mit ihren riesigen Portionen, großen Autos und all den Klimaanlagen – das kann ja nicht gut gehen!

Dass die USA sich nun neue Energieressourcen erschlossen haben, die sie auf einem restriktiven Markt autark machen könnten, dürfte das Bild nicht lange stören. In Deutschland denkt man dabei nicht an das, was Reichtum schafft, nämlich an die produktive Industrie, für die preiswerte Energie Lebenselixier ist, sondern an die schädlichen Folgen des Wachstums. Jetzt kann man erst recht amerikanische Verschwendungssucht geißeln, diese seelenlose Gier nach Wohllebe, die fett, faul und verfressen macht. Wir hingegen – die Energiewende – vorbildlich! Und sollte sich Amerika mit seiner billigen Energie reindustrialisieren, während die deutsche Wirtschaft an hohen Energiekosten zugrundegeht, haben wir wenigstens ein gutes Gewissen.
Es ist schon seltsam, wie viele Klischees im Umlauf sind, wenn es gegen die USA geht. Man fühlt sich an alte Zeiten erinnert, als Deutsche mit Thomas Mann ihre tiefere Kultur der seelenlosen Zivilisation der angelsächsischen Welt entgegenreckten, die man für oberflächlich hielt, weil dort das Einhalten der Regeln mehr gilt als das Vorzeigen der richtigen Moral.
Die deutsche Vorliebe für Obama, der Wärme verströme, während man dem reichen Mitt Romney soziale Kälte attestiert, passt zur weit verbreiteten Sehnsucht nach der guten Mutter Staat. Die nimmt den Reichen und gibt den Armen, egal, ob dabei die Kuh geschlachtet wird, die man doch melken will. Sie beschützt die Bedürftigen und Hilflosen, offenbar die Mehrheit der Bevölkerung. Sie teilt ein und aus und um, als ob sie das Füllhorn selbst bestückt hätte, das sie insbesondere zu Wahlzeiten auszuschütten pflegt. Ob Obama tatsächlich die Möglichkeit erhält, als “linker“, als „sozialer“ Präsident seine zweite Amtszeit zu beschließen, sei dahingestellt. Für viele Deutsche aber steht er just für das, was sie selbst für das wichtigste halten – für eine barmherzige, großzügige, fürsorgliche Mutter Staat. Mitt Romney hingegen verkörpert das „alte“ Amerika – das Land schusswaffentragender Misanthropen, also ein irgendwie zurückgebliebener Wilder Westen, wo jeder für sich selbst und die Seinen sorgt, bevor er an andere denkt.
Das „alte“ Amerika aber war und ist zugleich das immer wieder neue – ein Land der dickköpfigen, eigensinnigen, unabhängigen, selbstbewussten und freiheitsliebenden Bürger. The land of the free. Die weitgehend verstandesarme Begeisterung für Barack Obama zeigt, dass uns diese zutiefst angelsächsische Welt immer ferner rückt.
Dabei fehlt sie uns mehr denn je. Dass Großbritannien sich aus dem Europa der EU mehr und mehr entfernt, ist nicht nur ein ökonomisches und politisches Drama. Wer ein Europa möchte, das wirtschaftlich konkurrenzfähig ist, kann auf Großbritannien (und andere Nordlichter) nicht verzichten. Wer den liberalen Geist schätzt, der keine Gesinnungsfragen, sondern das rule of law an die erste Stelle setzt,  ebensowenig. Und erst recht, wer Freiheit für wichtiger hält als Sicherheit, Selbstbestimmung für elementarer als die staatlich organisierte Fürsorge.
Und kulturell? Gewiss, Großbritannien ist ein eigenartiges Land. Dort wohnen Menschen, die voller Inbrunst nationalstolze Lieder grölen, in denen von Macht und noch mehr Macht die Rede ist: Rule Britannia! Zu Tausenden singen sie, bester Stimmung, von der Freiheit und dass sie niemals, nie und niemals Sklaven sein wollen – auch nicht die des benevolentesten aller Herrscher. Auch nicht des fürsorgenden Staates. Auch nicht der EU und ihrer Bürokraten.
Auf den britischen Inseln gehört der Eigensinn zur gefeierten Tugend. Hier, wo das Bier schlapp in die Gläser fällt, der Minirock erfunden wurde und der Mersey Beat zu Hause war, liegen die Traum- und Sehnsuchtsinseln mehr als einer Generation Deutscher. Womit haben wir, die wir mit den Beatles oder den Stones oder dem Britpop der 70er und 80er Jahre aufgewachsen sind, verdient, dass diese Inseln Tag für Tag ein wenig ferner rücken? Es waren die Mode und die Musik der Freiheit, die von Großbritannien aus über den Kanal nach Deutschland schwappten, damals, in den 60er Jahren, und das war wichtiger als alles, was die Ideologen der Studentenbewegung später verkündeten.
Was hat demgegenüber die deutsch-französische Freundschaft zu bieten? Rotwein, Käse und Baguette? Die Baskenmütze und das Chanson? Gewiss. Doch die kulturelle Distanz zu Frankreich ist im Laufe der Jahre nicht geringer geworden, im Gegenteil. Die westdeutschen Nachbarn Frankreichs sprechen zumeist Englisch, nicht Französisch. Die Franzosen hingegen sind dafür bekannt, dass sie nicht eine einzige Fremdsprache beherrschen – manche von ihnen leben noch immer, voller Charme, zugegeben, in jener längst verblichenen Zeit, als das Französisch die Sprache der besseren Stände und der Diplomatie war. Selbst in kulinarischen Angelegenheiten ist Frankreich nicht mehr Meister. Die Deutschen machen schon seit langem wieder großartige Weine und die Briten lernen kochen.
Und so sehr das Unausprechliche noch immer zwischen uns steht – „don’t mention the war!“ – let’s drink auf die deutsch-britische Freundschaft. Die Insulaner haben etwas, das wir gut gebrauchen können, und zwar jetzt, in einem Moment, in dem der Euro die Europäer auseinanderdividiert. Sie haben ein Gefühl für Eigenart. Sie wissen um den Wert der Freiheit. Britons never ever will be slaves.
Die Welt, 20. 11. 2012.
Siehe auch bLogisch.

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