Von Jesko Matthes
Nicht allein aufgrund des aktuellen deutschen Verhältnisses zur Türkei und der Massenimmigration aus islamischen Ländern sind die Beziehungen Deutschlands zum Nahen Osten vielfältig – und eine Gedankenreise wert. Es ist eine unangenehme Reise, denn sie besteht aus einer Aneinanderreihung seltsamer, peinlicher und verbrecherischer Tatsachen.
Deutschland tat nichts Nennenswertes im Ersten Weltkrieg, um gegen den Genozid der verbündeten Türkei an den Armeniern Stellung zu beziehen; der Bundestag hat das ebenso umstritten wie deutlich und viel zu spät nachgeholt. Johannes Lepsius und andere berichteten im Ersten Weltkrieg regelmäßig nach Berlin, doch nahezu nichts geschah. Hinsichtlich des heutigen Umgangs der Türkei mit ihren Minderheiten – hauptsächlich Kurden und Christen - hört man erneut aus Berlin wenig. Es beginnt, wie es begann; man lese Franz Werfels „Die 40 Tage des Musa Dagh“: Minderheiten und Oppositionelle werden zu „Volksfeinden“ und „Staatsfeinden“ erklärt. Zuerst, und damit beginnt Werfels Roman, verlieren sie den „Inlandpass“ (den Personalausweis, also das Recht auf Freizügigkeit), dann die Freiheit und zuletzt vielleicht ihr Leben, alles im Namen des türkischen Nationalismus.
Hierzulande ist alles Nationale längst ein Schimpfwort; der Nationalstaat hat ausgedient. Seltsam: Zu den nationalen Interessen und dem Berliner Schweigen zur türkischen Menschenrechtslage ist man allerdings zurückgekehrt, im Rahmen „Europas“ und seiner „Werte“ selbstverständlich, die neuerdings gern gen Westen eingefordert werden. So dürfen türkische Politiker ihr eitles, nationalistisches Geschwurbel und ihr immer wütenderes autoritäres Getöse hierzulande anstandslos verbreiten. Man stelle sich vor, Marine Le Pen oder Geert Wilders hielten zusammen dreißig Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland ab, oder Donald Trump käme inoffiziell zu Besuch und tingelte von Hamburg über Berlin durchs Ruhrgebiet bis Stuttgart. Wie peinlich! Das gehört natürlich nicht zu Deutschland.
Halbmond und Hakenkreuz
Die scheußlichen Verbalinjurien türkischer Politiker, ihre Vergleiche deutscher Kollegen mit Nazis, haben allerdings eine bitter ironische Pointe. Denn es gab eine Zeit, da gehörte der politische Islam schon einmal zu Deutschland, und derjenige, der fest davon überzeugt war, dass dem so ist, hieß Heinrich Himmler. Zwei seiner Mitarbeiter, den Nachfolger Leopold von Mildensteins in der „Nahostabteilung“ des Sicherheitsdienstes der SS, Referat "Judenangelegenheiten", Herbert Hagen und dessen Stellverteter
Adolf Eichmann, schickte die SS bereis 1937 als Agenten dieses Sicherheitsdienstes Richtung Palästina, und Eichmann erstattete nicht nur Bericht, er lieferte auch seine Einschätzung:
„Es liegt nicht in unseren Bestrebungen, das jüdische Kapital im Auslande unterzubringen, sondern in erster Linie, jüdische Mittellose zur Auswanderung zu veranlassen. Da die erwähnte Auswanderung von 50.000 Juden pro Jahr in der Hauptsache das Judentum in Palästina stärken würde, ist dieser Plan unter Berücksichtigung der Tatsache, daß von Reichs wegen eine selbstständige Staatsbildung der Juden in Palästina verhindert werden soll, undiskutabel.“
Stattdessen suchte die SS den Schulterschluss mit den ersten radikalen Palästinensern, vor allem mit dem vor den Engländern geflüchteten "Großmufti" von Jerusalem, Mohammed Hadj Amin Al Husseini.
Al Husseini war ein eleganter Herr, hoch gebildet, von großem Charme, aus guter, sehr angesehener Familie, die traditionell auch Imame stellte, wirkte auf den ersten Blick würdevoll, distinguiert und sanftmütig. In seiner Heimat Palästina baute er die Vorläuferorganisation von PLO und Hamas auf und ließ die „Alijah“, die jüdische Einwanderung nach Palästina, mit Waffengewalt bekämpfen. Dabei behandelte er seine eigenen Landsleute und Glaubensgenossen genauso brutal, sofern sie sich mit Juden arrangieren oder gar mit ihnen zusammenarbeiten wollten, was durchaus geschah. Er ließ sie ermorden. Damit erwies sich Al Husseini als einer der ersten arabisch-palästinensischen Politiker, die vor den Methoden des Terrors nicht zurückschreckten, sondern sie sogar gezielt auch gegen die Opposition in der eigenen Bevölkerung einsetzten.
Arabisches Programm vom Reichsrundfunk
Doch damit nicht genug. Obwohl die Engländer als Mandatsträger des Völkerbunds und Schutzmacht Palästinas die jüdische Zuwanderung immer mehr begrenzten, sah Al Husseini seine natürlichen Verbündeten in jenen, die wie er selbst die Juden für immer loswerden wollten, aber keineswegs auf Kosten der Gründung eines Judenstaats vor den Toren Europas. Wenn Sebastian Haffner also in seinem ansonsten immer noch glänzenden Essay „Anmerkungen zu Hitler“ lakonisch schreibt: „ohne Hitler kein Israel“, dann ist das eine sehr grobe Vereinfachung. Die Zielsetzung Hitlers und Al Husseinis war eine ganz andere: die völlige Vernichtung der Juden in Europa und im Nahen Osten.
Der deutsche Staatsgast Al Husseini informierte sich persönlich in deutschen Konzentrationslagern über den „Umgang“ der Nationalsozialisten mit Oppositionellen und Juden, wurde Ehrenmitglied der SS, baute für Heinrich Himmler eine islamische SS-Einheit auf, vorwiegend mit Mitgliedern aus dem Balkan, predigte in einer Berliner Moschee und saß als Sendeleiter für das arabischsprachige Programm des Reichsrundfunks im Lang- und Kurzwellensender Zeesen südlich von Berlin auch selbst hinter den hoch modernen Mikrofonen der AEG oder des Georg Neumann, um seine Mordaufrufe zur Ausweitung des Holocaust auf den Nahen Osten zu verbreiten, je länger der Zweite Weltkrieg dauerte, umso radikaler. Auch sein Mittäter Eichmann als „Judenexperte“ und dessen Vorgesetzte ahnten immer deutlicher, was passieren dürfte, wenn der Krieg verloren ginge - das, was sie selbst unbedingt verhindern wollten: die Entstehung eines Judenstaates in Palästina, Eretz Israel, mit dem „Judenstern“ nun als „Magen David“ auf einer stolz und wehrhaft im Winde des Mittelmeers flatternden Fahne, das Land Ben Gurions, Golda Meirs und Moshe Dajans.
Muslime, Sozialisten und Nationalsozialisten
Während nach dem Krieg Eichmanns Mitarbeiter Alois Brunner mit Hilfe des BND für lange Jahrzehnte in Syrien bei Assad senior als „Berater“ untertauchte und Gamal Abdel Nasser in Ägypten sich von nationalsozialistischen Ideologen beeinflussen ließ - die linken, die sozialistischen Baath-Parteien also im Schulterschluss mit den mörderischen Resten des Nationalsozialismus -, kehrte auch Al Husseini in den Nahen Osten zurück, und eine Zeit lang arbeitete ein entfernter Verwandter für ihn, der spätere Chef der PLO: Yassir Arafat.
Al Husseini riet Arafat und seiner PLO 1969, die Westbank und den Gaza-Streifen als Basis unter ihre Kontrolle zu bringen und für die Auslöschung Israels zu nutzen, wie es die Yale University Press ausführlich publik gemacht hat. Wer sich über Al Husseini und die Folgen schneller orientieren möchte, kann diese Veröffentlichung der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahre 2005 zu Rate ziehen.
Es ist dieselbe PLO des Yassir Arafat, die bereits einige Jahre nach Al Husseinis Ratschlägen deutschen Terroristen der „RAF“ Unterschlupf und Ausbildung gewährt. Das also waren die angeblichen Verfechter des „Antifaschismus“: Zöglinge, Hätschelkinder und Waffenbrüder jener, die sich in ihrem gewaltsamen Antisemitismus von den Nationalsozialisten ableiteten und die für den „Werwolf“ entwickelten Guerrilla-Taktiken studiert hatten. Sie gaben sie nun an die „RAF“ bereitwillig weiter. Die PLO ihrerseits hielt Kontakte zu Neonazis in Deutschland, sofern ihr deren Unterstützung gelegen kam; auch beim Olympia-Attentat 1972. Diese Tradition setzten Neonazis auch im Berlin der 2000er Jahre fort.
Der Islam, der zu Deutschland gehört(e)
Neben der muslimisch-nationalistischen Ideologie des türkischen Herrschers Erdogan ist es der Islam von Al Husseini, der schon einmal zu Deutschland gehörte und nun wieder gehören will. Der weitere Import dieses Islam und der Mangel an Abgrenzung und Gegenwehr gegen ihn ist, nach allen Erfahrungen, die Deutschland zuallererst mit sich selbst gemacht hat, entweder eine Idiotie oder eine Perfidie. Es ist der erneute Freibrief für die Ignoranz und den Terror, die ihre Wurzeln im Ersten Weltkrieg und im Nationalsozialismus haben.
Wird der neue Bundespräsident endlich andere, im Grunde selbstverständliche Prioritäten setzen? Sie lauten: „Das Judentum gehört zu Deutschland - ein Klima der Toleranz gegenüber den Feinden der offenen Gesellschaft gehört nicht zu Deutschland.“