Hansjörg Müller / 27.02.2011 / 12:00 / 0 / Seite ausdrucken

Der Baron und die Bischöfin – zwei moralische Leitsterne

Vermutlich wird Karl-Theodor von und zu Guttenberg politisch überleben. Sein Fehlverhalten ist bis jetzt vor allem unter moralischen und weniger unter taktischen Gesichtspunkten betrachtet worden. Dabei könnte man fragen, ob jemand, der derartig ungeschickt und irrational – um nicht zu sagen: dumm – handelt, Verteidigungsminister bleiben sollte. Zunächst einmal: warum hat der fränkische Freiherr überhaupt promoviert? Er ist charismatisch, allem Anschein nach nicht unbegabt und der Adelstitel verleiht seiner Existenz doch Glanz genug. Dann könnte man fragen (wie es Oliver Marc Hartwich an dieser Stelle getan hat): wenn er schon eine Dissertation schreibt, warum dann eine mit 450 Seiten und über 1000 Fußnoten? Er wollte ja nur den Titel, keine akademische Karriere, ein schmaleres Werk hätte es also auch getan. Drittens: warum hat Guttenberg seine Verfehlungen nur scheibchenweise eingeräumt? Nachdem das erste nicht ordnungsgemäß gekennzeichnete Zitat entdeckt war, hätte ihm klar sein müssen, dass nun hunderte Stubenhocker, die nichts Besseres zu tun haben, seine Arbeit auf weitere derartige Stellen abklopfen würden. Hätte er von Anfang an den reuigen Sünder gemimt, anstatt der Prüfung durch seine Universität „gelassen“ entgegenzusehen, dann hätte er eine männliche Margot Käßmann werden können. Und der wurde gerade immerhin der „Europäische Kulturpreis für Zivilcourage“ angetragen.

Freilich hatte die Bischöfin einen Vorteil auf ihrer Seite: nachdem ihre Alkoholfahrt erst einmal bekannt geworden war, musste sie die Flucht nach vorne antreten. Nachdem die Zahl von 1,54 Promille in den Zeitungen stand, war es kaum möglich, zuerst 0,7 und dann vielleicht 1,1 Promille einzuräumen um dann irgendwann, wenn es nicht mehr anders ging, alles zuzugeben.

Dass weder Guttenberg noch Frau Käßmann wirklich beschädigt aus ihren Skandalen hervorgingen, liegt daran, dass beide über eine treue Anhängerschaft verfügen, die sich um keinen Preis enttäuschen lassen will. Der Baron ist der Held der rechten Reichshälfte, die ihn wie einen Erlöser feiert: endlich einer, der aus dem üblichen Mittelmaß herausragt. Die Theologin wird eher auf der anderen Seite des politischen Spektrums geschätzt: durch ihren Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“ hat sie sich zu einer geistigen Anführerin all jener Deutschen gemacht, die den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch ablehnen. Was man in Afghanistan besser machen könnte, hat sie allerdings nie gesagt. Sie spricht für jene nicht schweigende Mehrheit der Bevölkerung, die sich in Afghanistan besser auszukennen meint als die Strategen im Pentagon: im Gegensatz zu General Petraeus hat der deutsche Fernsehzuschauer schließlich das Privileg, am Insiderwissen Peter Scholl-Latours teilzuhaben. Afghanistan, so glauben diese Leute, solle man am besten sich selbst überlassen oder – wenn schon Krieg geführt werden muss – dann sollen das doch bitteschön die Amerikaner, Briten und Kanadier für uns tun. Dass eine solche Weltsicht abgesehen von ihrer intellektuellen Dürftigkeit auch jede christliche Nächstenliebe vermissen lässt, scheint Margot Käßmanns Fans nicht zu stören, meinen sie doch, als selbstgefällige Beobachter des Weltgeschehens in bester deutscher Tradition zu stehen: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,/ Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,/ Wenn hinten, weit, in der Türkei,/ Die Völker aufeinander schlagen“, lässt schon Goethe im „Faust“ einen zufriedenen Handwerksmeister sagen.

Da ist Karl-Theodor zu Guttenberg aus anderem Holz geschnitzt: dort, wo heute die Völker aufeinander schlagen, Paschtunen, Turkmenen und wie sie alle heißen mögen,  kommt er alle paar Monate auf Besuch, manchmal bringt er auch seine Frau mit. Im Januar 2010 hat er sogar Margot Käßmann eingeladen, ihn zu begleiten und sich selbst „ein Bild zu machen“, damals, als sie noch Bischöfin und er noch Dr. iur. war. In nächster Zeit dürfte es dazu nicht kommen, zu groß wäre die Häme der Medien über die beiden reuigen Sünder am Hindukusch, aber nach einer gewissen Schamfrist, wer weiß? Immerhin scheinen sich beide für unentbehrlich zu halten: Margot Käßmann glaubt, auch während ihres USA-Aufenthalts die Öffentlichkeit selbst über die banalsten Aspekte ihres Lebens auf dem laufenden halten zu müssen: in ihrem Blog schreibt sie – als hätte es noch eines weiteren Beweises für die Flachheit ihrer Gedanken bedurft – Sätze wie diesen: „Per Skype lässt es sich gut in Kontakt bleiben, auch zu Alltagsplaudereien und ohne hohe Rechnung. Das Internet hat wahrhaftig auch viele Vorteile. Als ich 1974/75 hier war, rief meine Mutter samstags um 10 Uhr an. Wir haben uns immer beeilt, denn es war teuer… Dennoch: Alles Skypen und Telefonieren kann nicht echte Begegnung ersetzen“ (http://bit.ly/fwHRwj). Und Guttenberg? Der möchte auch weiterhin „Vorbild“ bleiben. Nun ja, Vorbilder sind etwas für Kinder. Meistens bieten sich dazu die Eltern an, die ihrem Nachwuchs vorleben, wie man mit Messer und Gabel isst oder dass man sich nach dem Pinkeln die Hände wäscht. Der erwachsene, mündige Bürger sollte keine Vorbilder mehr brauchen. 

Hansjörg Müller schreibt auch für „El Certamen“, eine kolumbianische Online-Zeitschrift (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/        

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