Rainer Bonhorst / 01.02.2010 / 22:50 / 0 / Seite ausdrucken

Der Avatar von Davos

War das Weltwirtschaftsforum in Davos ein Gipfel ohne Höhepunkt? Keineswegs. Zumindest einen bleibenden Eindruck dürfte es gegeben haben: den Auftritt des Hollywood-Regisseurs James Cameron in der Schweizer Gipfelstadt. Mit seinem Super-Mega-Hyper-Blockbuster-Film “Avatar” führte Cameron der versammelten auf dreifache Weise vor, wie man die Probleme hätte lösen können, die die Gipfelteilnehmer überfordert haben.

Erstens inhaltlich: Der Film handelt ja davon, wie man den - für Davos symbolhaften - Kampf gegen einen gierigen, weltbedrohenden Großkonzern gestalten sollte. Da hätte man doch ein paar rettende Ideen abkupfern können. Hat man aber nicht.

Zweitens medial: So ein Avatar ist ja mehr als ein Filmtitel. Er ist eine Großfigur des Internets und der Computerspiel-Szene; er ist die wunderbare virtuelle Reinkarnation eines im drögen Echtleben gefangenen Menschen. 

Das wäre es doch gewesen! Der Avatar als raunender Wegweiser für die Ratlosen von Davos: Folgt mir ins Second Life. Lasst die unlösbaren Welt-Finanzsorgen hinter euch. Ich zeige euch eine schönere, schuldenfreie virtuelle Welt. Sollen die in der Realität Zurückgebliebenen doch sehen, wie sie aus der Krise herauskommen.

So weit der betörende virtuelle Avatar. Er blieb ungehört. Die Gipfelteilnehmer fuhren nicht ins Second Life, sondern kehrten kaum verrichteter Dinge in ihre heimischen Wirklichkeiten zurück. Und wir müssen - mit oder ohne Avatar - selber zusehen, wie wir die Probleme in den Griff kriegen.

Und dann hat der Avatar ja noch eine dritte Ausformung, die eigentlich die erste ist: den durch seinen virtuellen Kollegen fast verdrängten Avatar des Hinduismus. Schließlich haben die Inder den Avatar erfunden. Sie kennen ihn schon seit ewigen Zeiten als die Erscheinung einer Gottheit auf Erden.

Die Rettung der Finanzwelt durch göttliche Intervention in Gestalt eines Avatars! Das wäre die nachhaltigste Lösung gewesen. War es aber nicht. Die Damen und Herren auf dem Gipfel haben diesen Weg offenbar überhaupt nicht in Betracht gezogen.

Nun gut, James Cameron kann das alles egal sein. Er hat ihre Sorgen nicht. Sein Avatar spielt Milliarden ein, auch wenn es jetzt heißt, bei den Rekordzahlen sei getrickst worden. Macht nichts. Die Hindu-Gottheiten und ihre Avatare sind gnädiger als manche Gestalt von den Konkurrenzreligionen.

Stellen wir uns vor, Cameron hätte seinem Film nicht einen Hindu-Titel gegeben sondern er hätte versehentlich etwas aus dem Islam genommen. Oh je. Da hätte er - mit oder ohne Tricksen - eine deutlich weniger erfreuliche Lawine losgetreten. Aber das wäre eine andere Geschichte.

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