Von Klaus D. Leciejewski.
In Colón (Kuba, Heimatstadt meiner Frau) wohnen 50. 000 Einwohner, in Erftstadt (Deutschland, meine Heimatstadt) ebenso viele. Beide Städte sind in ihren Ländern weitgehend unbekannt. Colón ist als geplante Siedlung vor 180 Jahren entstanden. Erftstadt ist vor 40 Jahren aus einem Konglomerat von zwei Städtchen und 17 Dörfern hervorgegangen, die älteste Siedlung ist über 800 Jahre alt.
Colón verfügt über so gut wie keine Industrie. Die beiden größten Industrieunternehmen sind eine kleine Konservenfabrik und ein kleiner Getränkeabfüller. Vor 30 Jahren waren die wichtigsten Betriebe in ihrer Umgebung drei große Zuckerfabriken. Heute stehen davon nur noch die hohen betongrauen Schornsteine. In Erftstadt arbeiten zwar mehrere Industriebetriebe, aber zumeist nur kleinere, der größte ist ebenfalls ein Getränkeabfüller, indessen entstehen jedes Jahr etliche neue Unternehmen. Die meisten Menschen in Colón arbeiten in einer der vielen unterschiedlichen Schulen der Stadt, gleich danach folgen die Kutscher, Schmiede, Kutschenbauer u.a. für die 600 Pferdekutschen des Nahverkehrs. Die meisten Menschen in Erftstadt arbeiten in Köln bzw. deren Umgebung in einem Industrieunternehmen oder in einer der Hochschulen.
Colón und Erftstadt liegen 8. 000 km entfernt und gehören zu entgegengesetzten Gesellschaftssystemen. Diese Systeme bestimmen das Leben ihrer Einwohner. Um diese Unterschiede zu beschreiben, könnten etliche Seiten gefüllt werden, indessen reichen dafür zwei Sätze aus:
Der Bürgermeister von Erftstadt besucht jedes der zahlreichen Vereinsfeste und der größeren öffentlichen Veranstaltungen. Die Bürgermeisterin von Colón besucht keine Vereinsfeste und keine öffentlichen Veranstaltungen, bis auf die staatlich organisierten Demonstrationen oder Manifestationen. Diese zwei Sätze beschreiben präzis den gesellschaftlichen Unterschied zwischen den beiden Städten.
Der Bürgermeister von Erftstadt will wiedergewählt werden. Dafür muss er um die Zustimmung bei den Einwohnern werben. Die Bürgermeisterin von Colón ist von der Staatspartei eingesetzt, aber nicht von deren Untergruppe in ihrer Stadt, sondern von der übergeordneten in der Provinzhauptstadt. In Erftstadt gibt es keine staatlich verordneten Demonstrationen, weil es keine Staatspartei gibt. In Colón gibt es keine Vereinsfeste, weil es keine Vereine gibt.
In Colón gibt es 600 Pferdekutschen und nur wenige private Autos
Den Bürgermeister von Erftstadt kennen die meisten Einwohner oder doch wenigstens ungemein viele. Die Bürgermeisterin in Colón kennen nur sehr wenige Einwohner, durchweg nur solche aus ihrer näheren beruflichen Umgebung. Zahlreiche Einwohner in Erftstadt interessieren sich nicht dafür, welche Person ihre Stadt regiert, denn das Leben in Erftstadt verlangt nichts von ihnen, und die sich dafür interessieren, erhoffen sich davon einen Vorteil. Fast alle Einwohner Colóns interessieren sich nicht dafür, welche Person ihre Stadt regiert, denn jeden Tag müssen sie sich um ihr Leben in Colón mühen, aber falls sie die Bürgermeisterin kennen, haben sie davon keinen Vorteil.
Eines der großen Probleme für Erftstadt ist der täglich anfallende Müll. Erst müssen die Einwohner für Milch und Getränke bezahlen, danach für die Entsorgung der Behälter. Wenn die Deponie gefüllt sein sollte, müssen sie noch mehr bezahlen oder aufhören zu konsumieren. Auch in Colón fällt Müll an, der aber nicht als Problem empfunden wird, denn viele Einwohner benötigen gebrauchte Getränkebehälter. Die Deponie von Colón ist ein offener Feldrain. Sie wird regelmäßig angezündet, das hält sie beständig auf eine gleiche Größe und vertreibt auch das Ungeziefer.
In Erftstadt regen sich die Einwohner über das kleinste Loch in der Straße auf. In Colón würde es dafür zu viele Löcher geben. In Colón gibt es 600 Pferdekutschen und nur wenige private Autos. In Erftstadt gibt es keine Pferdekutschen und in fast jedem Haushalt wenigstens ein Auto. Die einen verdrecken die Straßen, die anderen die Luft. In Colón spielen zahlreiche Einwohner, allerdings ausschließlich die männlichen, auf der Straße Domino und noch viel mehr sehen ihnen dabei zu. In Erftstadt spielen die männlichen Einwohner zu Hause am Computer, und niemanden sehen sie dabei.
In Erftstadt essen die Einwohner in kleinen Restaurants Hamburger, Pizza und Döner, letztere auch manchmal auf der Straße, allerdings oft auch lieber allein im Auto. In Colón essen die Einwohner auf der Straße kubanische Pizza (dicker Teig und als Belag eine rote Art Ketchup mit einer unbestimmten Art Käse) und Milchbrötchen mit gebratenem und zerfasertem Schweinefleisch, aber niemals im Auto, denn dann könnten sie ja nicht mit ihren Bekannten auf der Straße schwatzen, und jeder Einwohner hat zahllos viele Bekannte.
Erftstadt ist ein ruhiger, nachts ein sehr stiller Ort. In Colón erklingt bis spät in die Nacht hinein aus fast jedem Haus Musik. In Erftstadt leben die Menschen in ihren abgeschlossenen Häusern, in Colón auf den Straßen vor ihren Häusern. In Colón fallen die Temperaturen selten unter 25 Grad, aber wenn doch, dann denken die Einwohner, es ist Winter, und ziehen lange Hosen und Pullover an. In Erftstadt steigen die Temperaturen selten über 25 Grad, aber wenn doch, dann denken die Einwohner, es ist Sommer.
Klaus D. Leciejewski hat an verschiedenen deutschen Hochschulen Wirtschaft gelehrt, ist Autor mehrerer Sachbücher und Publizist. Er ist mit einer Kubanerin verheiratet und lebt einen großen Teil des Jahres auf Kuba.