Da ist doch glasklar der Einfluss von Beratungsunternehmen erkennbar. Das ist die Standard-Vorgehensweise von McKinsey & Co. bei Unternehmen. Die Belegschaft zu Höchstleistungen anspornen - auf gehts, wir schaffen noch mehr… Die Berater füllen sich reichlich und ungeniert die Taschen und die Chefetage ist zufrieden. Die Politiker delegieren ihren Auftrag zurück an den eigentlichen Auftraggeber und der merkt es nicht mal. Aber er soll dafür auch noch bezahlen.
Nicht nur Frau Schwesig, auch Herr de Maiziere möchte mit einem “Weckruf” der Bevölkerung jetzt Staatsaufgaben übertragen: “Alle Teile der Gesellschaft sind aufgefordert, der Verrohung entgegenzutreten.” Da “Politik, Justiz und Sicherheitsbehörden nicht allein dagegen vorgehen können”, soll sich jetzt die Zivilgesellschaft gegen die aus schicksalhaften Gründen steigende Gewaltkriminalität engagieren. Das ist nichts anderes als die Kapitulationserklärung des Gewaltmonopols. Und mit dem Terror müssen wir ja eh jetzt eine Zeitlang leben. Die machen ihren Job nicht mehr und wir sollen dafür auch noch in die Verantwortung gezogen werden?
Bei den Aufrufen zum Schutz der Demokratie wird der Rechtsstaat häufig “vergessen”. Demokratie bedeutet Mehrheitsherrschaft. Demokratie ist auch ohne Rechtsstaat möglich. Rechtsstaat jedoch nicht ohne Demokratie. Bei jedem gewünschten politischen Diskurs sollte man nicht vergessen, dass auch der schwächere, zahlenmäßig unterlegene, Rechte hat, die es zu gewährleisten gilt. Im Rahmen der politischen Auseinandersetzung sollte man sich davor hüten, (s)eine Meinung als moralisch/ethisch höher stehend, dem Gemeinwohl näher etc., darzustellen. Dieses ist verbunden mit einer Herabsetzung der anderen Meinung und in der Folge auch derjenigen, die diese Meinung vertreten. Der nächste Schritt ist die Ausgrenzung, Clusterung, Desavouierung etc.. Dieses immer wiederkehrende Verhaltensmuster wird häufig nicht bzw. zu spät erkannt, sodass sich Geschichte “wiederholt”. Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang an die Gedanken von Rousseau und die Umsetzung durch Robbespierre während der französischen Revolution. Streitkultur hat auch etwas mit “Kultur” zu tun. Es ist ein Zeichen gegenseitiger Wertschätzung sich auf Augenhöhe zu begegnen und Argumente auszutauschen, sich und seine Argumente infrage zu stellen. Insoweit sollte man bei der politischen Auseinandersetzung etwas mehr den aufklärerischen Geist -im Sinne einer Voltaire zugeschriebenen Aussage- “ich mag verdammen was sie sagen, ich werde mich jedoch mit meinem Leben dafür einsetzen, dass sie es sagen dürfen” pflegen.
Wenn man sich die Kampagne mal auf genauer anschaut, geht es fast ausschliesslich um ein Thema. Man hätte für ‘Demokratie leben’ auch den alten Titel nehmen können: ‘Wir schaffen das!’. Aber klar, weil diese Parole inzwischen sogar bei der Regierung peinliches Unbehagen auslöst, musste das Thema neu verpackt werden. Vorschlag: Im nächsten Jahr nennt man das Ganze einfach: ‘Wir leben das!’ Und wenn auch diese Devise ihr Ziel verfehlt, wie wäre es mit einem Leitmotiv, das ein wenig bescheidener und autentischer klingt? Wie zB: “Wir erleben was!”
Ihre Metaphern sind immer wieder genial und erfrischend, Herr Broder. Genau so, wie Sie die Nötigung der Bürger durch die Politiker für die politische Agenda der Regierung so treffend beschrieben haben, habe ich es auch wirklich in der DDR erlebt. Mich erfüllt er daher auch mit zunehmender Sorge, auf welchem Kurs Deutschland hinsteuert. Ein Land, in dem seine ‘Volksvertreter’ andere Länder und Regierungsvertreter (Trump, Orban, Erdogan, Putin etc.) über Demokratie belehren wollen, aber selbst sich auf einem Kurs der Entdemokratisierung befindet. Deutschlands Kurs geht einer Reinkarnation des real existierenden Sozialismus entgegen. Dafür bin ich 1989 nicht auf die Straße gegangen, um mich nun erneut wieder gängeln lassen zu müssen oder sollen.
Demokratie ist dort, wo die Bürger ohne Mobilisierung ihre Pflicht darin sehen, an einer Wahl teilzunehmen. Tua res agitur - und die Wand brennt schon heftig.
Danke!
Ein großer Kunde dieser famosen Agentur (S&F) wurde gerade wegen anhaltenden Käuferdesinteresses an die Franzosen verramscht. Hoffentlich geht es “Unserer Demokratie (tm)” nicht genauso.
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