Bryan Caplan
Die letzten 35 Jahre war ich in der Schule – 21 Jahre als Schüler/Student, die restliche Zeit als Professor. Das führte dazu, dass mir die reale Welt fast fremd ist. Wie man praktisch etwas macht, ist mir größtenteils unbekannt. Obwohl ich als Jugendlicher ein paar niedrigere Jobs hatte, liegen meine praktisch erworbenen Kenntnisse über die Welt der Arbeit außerhalb des Elfenbeinturms nahe Null.
Damit bin ich nicht allein. Die Erfahrungswelt der meisten Professoren ist so flach wie meine. Will man in der akademischen Welt Erfolg haben, ist die reale Welt nur eine Ablenkung vom Ziel. Ich habe einen Traum-Job für den Rest meines Lebens, weil ich Jahr für Jahr gute Noten geschrieben habe, Zugang zu prestigeträchtigen Schulen fand und ein paar Dutzend Artikel verfasste, die andere Professoren lasen. Das brauchte es – und mehr braucht es nicht.
Wenn man bedenkt, wie sorgfältig ich die reale Welt ignoriert habe, könnte man meinen, dass mich die reale Welt im Gegenzug auch ignorieren würde. Das ist aber nicht so! Ich konnte die Reale-Welt-Karrieren Tausender Studenten beeinflussen. Wie? Mit Noten. Am Ende jeden Semesters prüfe ich meine Studenten ab, ob sie meine Lektionen verstanden haben und benote das mit 1 bis 6. Andere Professoren tun das Gleiche. Und bemerkenswerterweise würdigen Arbeitgeber unsere Beurteilungen aus dem Elfenbeinturm. Studenten, die mit vielen Einsen abschließen, bekommen angenehme, gut bezahlte Arbeit. Studenten mit vielen Sechsern machen keinen Abschluss und bekommen unangenehme, schlecht bezahlte Arbeit. Wenn überhaupt.
Warum kümmern sich Arbeitgeber um Noten und Diplome? Für die meisten Leute, geht die Geschichte einfach so, dass Professoren ihren Studenten Fähigkeiten beibringen, die diese dann bei der Arbeit nutzen. Schlechte Noten, kein Diplom, wenig Fähigkeiten.
So falsch ist die Geschichte nicht; die Fähigkeiten, zu lesen und zu rechnen sind eine große Sache. Aber die „einfache“ Geschichte ist damit nicht zu Ende. Überlegen Sie einmal, wie viel Zeit Schüler/Studenten mit dem Erlernen von Geschichte, Kunst, Musik, Fremdsprachen, Gedichten und mathematischen Beweisen verbringen. Aber was sie in den meisten Vorlesungen so lernen, ist ehrlich gesagt in der überwiegende Mehrzahl von Berufen nicht brauchbar. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, wie wenig Professoren wie ich über die reale Welt wissen. Wie sollte ich auch die Eignungen meiner Schüler für eine Vielzahl von Berufen verbessern können, die ich selber kaum kenne? Das wäre doch wirklich ein Wunder. Um dieses Ritual durchzuführen, müsste ich Merlin, Gandalf oder Dumbledone in einer Person sein:
Schritt 1: Ich mache den Mund auf und spreche über akademische Themen, wie die Externalitäten von Populationen oder den Einfluss von Erziehung auf politische Präferenzen.
Schritt 2: Die Schüler/Studenten lernen dieses.
Schritt 3: Wunder.
Schritt 4: Meine Schüler/Studenten werden etwas bessere Banker, Vertriebsleute, Manager usw.
Natürlich kann ich Doktoranden darin schulen, Professoren zu werden. Das ist kein Wunder; ich schule sie in dem einzigen Beruf, den ich kenne. Aber was ist mit den Tausenden anderen Studenten, die keine Wirtschaftsprofessoren werden? Ich kann nichts lehren, über das ich nichts weiß, und ich weiß nichts über die Berufe, die sie mal einschlagen werden. Wenige Professoren können das.
Viele Lehrende beruhigen ihr Gewissen damit, dass sie betonen, „meinen Studenten bringe ich bei, wie man denkt, nicht was man denkt“. Aber diese Plattitüde widerspricht gut hundert Jahren erziehungsphsychologischer Arbeit. Erziehung verläuft in engen Bahnen; Studenten lernen das, was man ihnen beibringt… wenn man Glück hat.
Andere Lehrer behaupten, sie würden eine gute Arbeitseinstellung vermitteln. Aber insbesondere auf Hochschulebene kann man darüber nicht einmal mehr lachen. In welchen Berufen wird eine Präsenz von 50% akzeptiert – oder eine Arbeitsleistung von zwölf Stunden pro Woche? Schulen können vielleicht den Charakter im Hinblick auf das Spielen von Video Games bilden. Schwer vorstellbar ist allerdings, wie Schulen den Charakter in Bezug auf die Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung im wirklichen Leben bilden wollen.
Jetzt könnte man sich natürlich fragen: Wenn Professoren nicht gerade viel zur beruflichen Qualifikation beitragen, wenn sie ihren Schülern nicht beibringen, wie man denkt und auch keine konstruktive Arbeitseinstellung vermitteln, warum legen dann Arbeitgeber so großen Wert auf Bildungserfolge? Die richtige Antwort hierauf kommt mitten aus dem Elfenbeinturm. Sie nennt sich das Signalisierungsmodell der Erziehung – Thema meines bald erscheinenden Buches „The Case against Education“
Gemäß dieses Signalisierungsmodells würdigen Arbeitgeber schulischen Erfolg auf Grund dessen, was er über den Studenten aussagt („signalisiert“). Gute Schüler sind eher smart, arbeiten hart und sind Konformisten – drei wichtige Eignungsmerkmale in fast allen Berufen. Ist ein Schüler gut in der Schule, dann schließt der Arbeitgeber daraus, dass er wahrscheinlich ein guter Arbeiter ist. Was genau hat er studiert? Was kann er praktisch? Uninteressante Details. Wenn Sie ein guter Schüler waren, gehen Arbeitgeber davon aus, dass sie schnell „on the job“ alles lernen, was Sie für die Arbeit brauchen.
In der Geschichte mit der Signalisierung ist es wichtig, wie viel Erziehung Sie im Vergleich zu konkurrierenden Kollegen mitbringen. Steigt das Erziehungsniveau, werden Arbeitgeber höhere Standards verlangen; sinkt das Niveau, reagieren Arbeitgeber mit niedrigeren Standards. Wir sind in einer Tretmühle. Würden Wähler diese Idee ernsthaft verfolgen, könnten meine engeren Freunde und ich leicht unsere Jobs loswerden. Als Professor liegt es in meinem Interesse, dass die Öffentlichkeit weiter an das Wunder der Erziehung glaubt: die Vorstellung, dass der Elfenbeinturm bleierne Studenten in Arbeitskräfte aus Gold verwandelt.
Mein Gewissen zwingt mich jedoch trotzdem dazu, das System an den Pranger zu stellen. Erziehung vollbringt keine Wunder. Professoren können Studenten nicht durch Gelerntes zu obskuren Themen ertüchtigen, egal welche Arbeit sie erwartet. Ich bin zufrieden, dass ich einen Traumjob fürs Leben gefunden habe. Aber die Gesellschaft wäre besser dran, würden die Steuerzahler ihr Geld sparen, Schüler/Studenten weniger Zeit in Schulen und Universitäten verbringen und abgeschirmte Akademiker wie ich, endlich in das wirkliche Leben eintreten und eine wirkliche Arbeit finden würden.
Übersetzung aus dem Englischen: Herbert Blaha