Bernhard Lassahn / 19.03.2012 / 08:45 / 0 / Seite ausdrucken

Das Piraten-Paradox und das Geheimnis des zweiten Mannes

Hier kommt eine kleine Denksportaufgabe, auf die ich reingefallen bin, weil ich das Stichwort „Piraten“ aufgeschnappt hatte. Eigentlich bin ich aus dem Alter raus, dass ich mich zu Ratespielen nach dem zweiten Bier verführen lasse, doch hier hat es sich gelohnt, ich habe ein Goldstück mit nach Hause genommen und habe reingebissen: Es ist echt.

Nehmen wir an, wir haben fünf Piraten, die einen großen Schatz erbeutet haben. Pirat Nummer 1 ist der Piratenkapitän, Pirat Nummer 2 ist der Navigator, usw. – die Piraten sind hierarchisch geordnet, Pirat Nummer 5 ist der Moses. Doch auf die Hierarchie kommt es nicht an.

Piraten haben bekanntlich eigene Gesetze – sie teilen alles zu gleichen Teilen. So erzählt man es sich jedenfalls von der Piratensiedlung ‚Libertaria’ auf Madagaskar, wo alle alles brüderlich geteilt haben und wo es keine Zäune gab, dafür es gab sogar eine Art Krankenversicherung. Vermutlich handelt es sich um einen Mythos, der auf Daniel Defoe zurückgeht. Wir glauben es gerne.

Zurück zur Rätselfrage. Nun soll geteilt werden. Und zwar so: Der Kleinste, also Pirat Nummer 5, darf einen Vorschlag machen. Über den wird abgestimmt, der kleine Moses hat auch ein Stimmrecht. Sollte sich jedoch eine Mehrheit gegen seinen Vorschlag entscheiden, wird er erschossen und Pirat Nummer 4 ist der nächste, der einen Vorschlag machen darf.

Wir kennen Piraten. Wir können davon ausgehen, dass sie maximal gierig sind, und so sieht es - jedenfalls auf den ersten Blick - schlecht aus für unseren Moses. Wenn sein Vorschlag (mit einer Mehrheit von 4 zu 1 oder 3 zu 2) abgelehnt wird und er daraufhin erschossen wird - dann sind es nur noch vier. Und wenn nur noch unter Vieren geteilt wird, dann gibt es mehr für jeden, der noch übrig ist.

Der Pirat mit der Nummer 4 könnte allerdings das gleiche Schicksal erleiden. Wenn auch sein Vorschlag mehrheitlich abgelehnt wird und er daraufhin schossen wird, dann bleiben nur noch drei übrig. Und dem Piraten mit der Ordnungsnummer 3 (Ordnungsnummer heißt es bei der Bahn, wenn ein ICE in umgekehrter Wagenreihung einfährt und durchgesagt wird, dass die Wagen nicht etwa nur eine Nummer, sondern sogar eine – wir sind in Deutschland! – „Ordnungsnummer“ haben) – also, auch dem Piraten mit der Ordnungsnummer 3 könnte es so ergehen wie unserem Moses und wie dem Piraten mit der Nummer 4.

Dann sind nur noch zwei Piraten übrig. Und nun wird das Problem deutlich. Nun haben wir das Modell „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Nun zeigt sich, dass der jeweilige Kontext entscheidet. Und nun zeigt sich, wer die Macht hat. Und wer ist es? Es ist der Navigator, der Pirat Nummer 2. Er kann vorschlagen, was er will. Denn er kann nicht mehrheitlich überstimmt werden, also kann sein Vorschlag nicht abgelehnt werden und er wird nicht erschossen. Das hierarchische Modell greift ebenfalls nicht: Der Pirat Nummer 1 kann sich nicht darauf berufen, dass er schließlich der Kapitän ist und alles organisiert hat. In einer Patt-Situation, in der nicht die Mehrheit und nicht die Autorität entscheidet, setzt sich der Schwächere durch.

Wenn sich Moses darauf verlassen könnte, dass die anderen Piraten auch so weit denken, wie wir es gerade getan haben - was er vermutlich nicht kann -, dann könnte ausgerechnet er als das schwächste Glied der Kette die Bedingungen diktieren; denn es gibt nur einen einzigen Piraten – und zwar diesen erwähnten Zweiten, der zum eigentlichen Entscheidungsträger wird –, dem nicht das Schicksal droht, dass er leer ausgeht. Seine Macht kann nur durch eine Mehrheit gebrochen werden. Oder durch die Einhaltung der „alten“ Ordnung.

Im richtigen Leben gab es so einen Fall. Zumindest einen ähnlichen. Piraten sind berühmt für ihre basisdemokratische Gesinnung, für ihre Raffgier und für ihren Hang, Regeln zu brechen. Der legendäre ‚Benito Bonito vom blutigen Schwert’ hatte mit seiner Mannschaft den Raubzug seines Lebens gemacht, seine Bande hatte einen Goldtransporter überfallen, und nun brachten sie die Beute zu der unbewohnten Isla de Coco, mehr als 500 Kilometer weltlich von Costa Rica.

Unter den Piraten galt eine klare Abmachung: Der Kapitän kriegt drei Teile, alle anderen kriegen jeweils einen Teil. Ein Kompromiss. Damit wird einerseits dem Prinzip der Gleichheit entsprochen - und es war tatsächlich ein gültiges Ideal: der Pirat Edward England beispielsweise wurde Opfer eines demokratischen Vorgangs, er wurde mit großer Mehrheit von seiner Mannschaft wegen zu großer Milde abgewählt. Andererseits wird Rücksicht darauf genommen, dass die Piraten doch nicht wirklich gleich sind. Man sollte nämlich die Kompetenzen - wie man heute sagen würde - eines Kapitäns nicht unterschätzen, eine stark behaarte Brust und ein aufgeknöpftes Rüschenhemd reichen da nicht; die „chain of comand“ muss funktionieren, das geht nur, wenn klare Prioritäten gelten.

Die Stunde schien günstig: Die Mannschaft machte den revolutionären Vorschlag, von der vereinbarten Regelung abzurücken und „gerecht“ und „gleich“ zu teilen – es sollte also für jeden einen gleich großen Anteil geben, egal ob einer Kapitän ist; egal, was vorher ausgemacht war. Was sollte Benito Bonito machen? Er konnte sein Recht nur in einer Nacht- und Nebelaktion durchsetzen. Als alle schliefen, brachte er heimlich seine Anteile in Sicherheit und stellte damit seine Mannschaft vor vollendete Tatsachen: Nun war für jeden genau der Teil übrig, der ihnen nach ursprünglicher Vereinbarung zustand, den sollten sie auf der Insel verstecken und glücklich werden.

So geschah es. Es war eine Sternstunde in der Piratengeschichte, es war ja auch ein gigantischer Raubzug. Alle versteckten ihren Teil der Beute, zeichneten Schatzkarten oder merkten sich, wie sie das Versteck wiederfinden konnten. Das Fest danach muss rauschend gewesen sein. Am Ende der Party waren 20 Piraten tot und nahmen das Geheimnis, wo genau sie ihre Beute versteckt hatten, mit in ihr nicht vorhandenes Grab. Damals gab es noch kein Alkoholverbot auf Piratenschiffen. Bonito Benito überlebte das Massaker. Jedoch nicht lange.

Zwei Tipps zum Schluss, die jeder beherzigen sollten: Wenn ein junger Mann eine schöne Frau trifft, die ihm tief in die Augen schaut und zu ihm sagt: Komm, wir ziehen zusammen, du zahlst, und wir machen eine Partnerschaft auf Augenhöhe, der sollte an das Piraten-Paradox denken. Und jeder, der die Möglichkeit hat, den Film ‚The Navigator’ von Buster Keaton zu sehen, sollte die Chance nutzen. Ich habe Tränen gelacht.

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