Gunter Weißgerber / 30.08.2017 / 16:29 / 14 / Seite ausdrucken

Das Muttiheft des deutschen Feuilletons

Anstalts-Regeln innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland. Herausgegeben in Verantwortung des deutschen Feuilletons.

Das Mitteilungsheft das der Kommunikation zwischen Lehrern einer Schule und den Eltern eines Kindes diente wurde in der DDR ironisch auch als "Muttiheft" bezeichnet. Ein Stempel mit einem Bienchen galt als Auszeichnung „für vorbildliches Verhalten“. Wenn auch ungeschrieben, so gibt es ein Muttiheft inzwischen auch für die talkende Klasse. Hier einige Bewertungkriterien:

1. „Trump entsorgen!“ Das gibt immer ein Bienchen.

2. „Putin entsorgen!“ Kein Bienchen!

3. „Kim Jong-un entsorgen!“ Kein Bienchen! Weil Trump Nordkorea überhaupt erst auf die Palme bringt. Vor Trump waren reine Friedensengel. Sagt Kim – und der hat im Feuilleton mehr Freunde.

4. „Die Rechtsextremen entsorgen!“ Zwei Bienchen!

5. „Die Linksextremen entsorgen!“ Kein Bienchen. Das Feuilleton macht sich nämlich Sorgen um mögliche Koalitionspartner der SPD. Wer das nicht versteht, ist "rechts" und gehört auch entsorgt – das ergibt wiederrum ein Bienchen, siehe Punkt 4.

6. „Salafisten entsorgen!“ Kein Bienchen. Das ist lebensgefährlich, rassistisch, religionsverachtend und kommt der Selbstentsorgung aus dem öffentlichen Raum gleich. Siehe Punkt 4.

7. „Merkel entsorgen!“ Schwierige Entscheidung. Das Feuilleton ist ja CDU-fern und Kanzlerinnen-nah. Grantiert kein Bienchen gibt es, wenn die Formulierung "Merkel muss weg" gewählt wird. Siehe Punkt 4.

8. „Frau Özoguz entsorgen!“ Kein Bienchen. Aber viel Haue. Frau Özoguz genießt exklusiv das Menschenrecht, nicht entsorgt zu werden.

Jetzt mal im Ernst: Menschen generell und damit natürlich auch Politiker werden nicht entsorgt. Vor dem Hintergrund millionenfachen mörderischen "Entsorgens" in deutscher Verantwortung zwischen 1933 und 1945 verbietet sich das von selbst. Wer jedoch solche verbalen Entgleisungen nur einseitig ahnden will, führt eine Schmierenkomödie auf. Das wahlbeobachtende Volk, nicht zu verwechseln mit Partei-Anhängern, die nur Teil dieses Volkes sind, schaut ratlos bis angewidert auf solches Theater.

Ich bin in diesen Tagen heilfroh, keinen Wahlkampf mehr als Direktkandidat machen zu müssen. Wie können Themen wie Arbeitsplätze, Investitionen, Bildung, Forschung, Wissenschaft, Gerechtigkeit mit Erfolg diskutiert werden, wenn die erste und dringliche Frage aus dem Wahlvolk, die nach Weg und Ziel der Reise insgesamt fragt, nicht beantwortet werden kann? Wenn nicht gesagt werden kann, die eigene Partei hat aus den Fehlern 2015 gelernt und begriffen, dass auch die Gerechtigkeitsfragen in Deutschland und in der EU nur im Rahmen sicherer EU-Außengrenzen ernsthaft zu debattieren sind? Man kann die Wahlkampfbroschüren eigentlich gleich einpacken.

Einen Tip für den SPD-Spitzenkandidaten habe ich an dieser Stelle noch: Mache eine Aussage zur Person des/der künftigen Integrationsbeauftragten der Bundesregierung für den Fall, der nächste Kanzler zu werden! Sage klar und deutlich: Frau Özoguz ist selbst noch integrationsbedürftig. Wer eine spezifische deutsche Kultur bestreitet, der muss noch lernen. Es ist auch gänzlich unklar, ob Frau Özoguz eine spezifisch türkische Kultur ebenso vehement zur Disposition stellt. Das Amt braucht deshalb eine Person an der Spitze, die keinen weiteren Schaden anrichten kann, sondern einen geeigneten inneren Kompass besitzt. Ich rate, einen geeigneteren Kenner der Materie vorzuschlagen:

  • Vietnamesen, beispielsweise frühere Boatpeople
  • Exil-Kubaner
  • Seyran Ates
  • Hamed Abdel-Samad
  • Necla Kelek
  • Erol Özkaraca
  • Ahmad Mansour
  • Bassam Tibi und viele andere mehr

Warum? Weil es Sozialdemokraten nachvollziehbar um die Integration in die Mehrheitsgesellschaft gehen muss (und nicht um das Kippen der Mehrheitsgesellschaft). Dieses Signal könnte der SPD noch wertvolle Punkte in der angestammten Bevölkerung (die, die schon länger hier leben...) bringen. Immerhin liegt hier das größte Reservoir der Wählerstimmen – auch für die SPD.

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Leserpost

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Rudolf George / 30.08.2017

Das Ironische an der SPD ist, dass sie die einzige der relevanten Parteien ist, die Deutschland im Namen führt. Ach ja, die AfD tut das auch, aber genau aus dem Grund tut sich die SPD so schwer, zu ihrem D zu stehen. Und wie schwer sie sich tut! Um maximal vom D abzurücken, wird Europa-Martin als Spitzenkandidat aufgestellt und das Wort Deutschland nur in Begleitung von Adjektiven wie “weltoffen”, “bunt” oder “tolerant” in den Mund genommen. Oder gleich zum Nullum erklärt, siehe Frau Özoguz. Die SPD sollte wenigstens den Schneid haben, und ihren Namen ändern, z.B. in SPW (Sozialdemokratische Partei der Weltoffenheit) oä. Aber vermutlich hat man Angst, dass SPD eine gut eingeführte Marke ist, die man nicht einfach aufgibt, auch wenn man den Bedeutungsgehalt der Marke gar nicht mehr vertritt. Ein Paar Traditionswähler gibt es noch, und die darf man nicht verprellen. Sonst könnte die 5% Hürde doch gefährlich nahe kommen.

Dr. Andreas Dumm / 30.08.2017

Danke für diesen Text! Das “Muttiheft” als virtuelles Analogon zum Ungesagten, weil unsagbaren, ist eine herrliche Idee!

Volker Brandt / 30.08.2017

Sehr geehrter Herr Weißgerber, ich gehöre wie Sie, wenngleich immer nur als Wähler und nicht als Gewählter, zu denen, die von dieser Partei namens SPD “entsorgt” wurden, und ich verfolge seitdem mit Staunen, aber auch einem Rest Bedauern den Niedergang dieser Partei. Ihren Rat an Herrn Schulz, mit einer Distanzierung von Frau Özuguz ein Signal zu senden, halte ich für sehr gut, aber niemand wird ihn hören. Denn kein einziger SPD-Politiker hat es ja überhaupt für Wert befunden, Frau Özuguz für ihre Verhöhnung der deutschen Wähler (denen sie ein gut alimentiertes Leben verdankt) in die Schranken zu weisen. Jetzt, in letzter Minute, Frau Özuguz’ wohlkalkulierte Provokation zu thematisieren, wäre unter diesen Umständen der Gipfel des Opportunismus. Überhaupt wäre jede nähere Einlassung mit dieser Dame für die SPD gefährlich, denn bekanntlich ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, und was sie WIRKLICH im Schilde führt, wäre geeignet, den Wähler zu beunruhigen. Sie schreiben, es müsse der SPD um die Mehrheitsgesellschaft gehen. Mit dem Schrumpfen der klassischen Industriearbeiterschaft ist der SPD nicht nur ihre traditionelle Klientel, sondern auch jede Idee davon abhanden gekommen, wie eine von ihr repräsentierte gesellschaftliche “Mehrheit” überhaupt aussehen soll. Das gilt jedoch nicht nur für die SPD, sondern auch für die CDU (deren katholisch-bürgerliches Stamm-Milieu sich ja ebenfalls auflöst). Das Leitbild von SPD und CDU als ehemaligen Volksparteien (und von Linken und Grünen sowieso) läuft gar nicht mehr auf eine soziologisch identifizierbare Mehrheit hinaus, sondern nur noch auf die buntgescheckte, multiethnisch-multikulturelle, komplett atomisierte Gesellschaft; lauter Minderheiten, von denen man HOFFT, dass sie am Ende doch noch irgendeinen gemeinsamen Nenner finden (“Einheit in Vielfalt” und das ganze, von reinem Wunschdenken geprägte blablabla). Die einzige verbindende soziologische Klammer, die sich in der Programmatik der SPD noch auffinden lässt, ist die des Transferempfängers, möge er jung oder alt, schwarz oder weiß, gebildet oder ungebildet sein. Hier, in dem von staatlichen Zuwendungen abhängigen Individuum, erblickt man die eigentliche Ziel-Klientel, während die arbeitende Mitte ohne Ende geschröpft werden soll. Dass dies ein Programm für den ökonomischen Niedergang ist, versteht sich von selbst.

Reinhard Lichti / 30.08.2017

Politiker werden nicht entsorgt, wenn sie erst mal ein Amt innehaben. Politiker werden mit einem Posten versorgt, auf dem sie eine ruhige Kugel schieben können bei gleichzeitig großzügiger Alimentierung,

Helmut Driesel / 30.08.2017

Sehr geehrter Herr Weißgerber, dass Sie Ihre Tipps an Herrn Schulz hier auf der Achse veröffentlichen müssen, spricht Bände. Warum haben Sie Frau Merkel selber nicht auf Ihrer Liste? Oder Joschka Fischer, der damals das Afghanistan-Problem ohne Not mit Deutschland verknüpfte. Am besten raten Sie dem Herrn Schulz, im Fernsehen den Mund nicht so weit aufzureißen. Das sieht so nach Comics und Minions aus. Das tariert die Kanzlerin mit einem Lächeln aus. Und das gefällt den Leuten. Stur lächeln und winken! Das kommt an!

Arno Zillen / 30.08.2017

Man sollte das vielleicht umformulieren. Kultur überhaupt gibt es gar nicht. Und damit auch die deutsche nicht. Jedenfalls nicht, wenn man Modernisten und Neo-Marxisten, kurz Neu-Linken einmal eine Verantwortung gibt. Danach ist von Kultur sehr schnell nix mehr übrig.

Thomas Weidner / 30.08.2017

Ist Özoguz’ Pamplet nicht Volksverhetzung?

Volker Kleinophorst / 30.08.2017

Ich hätte überhaupt kein Problem, wenn mal ein Deutscher (kein Passdeutscher) Integrationsminister wäre. Wieso sollen denn grundsätzlich “Migrationshintergründler” bei dem Thema in den entscheidenden Positionen sitzen? Wieso entscheidet nicht die “Einwanderungsgesellschaft”, wen sie reinlassen möchte? An der unverschämten Frau Özoguz sieht man doch gut, in welche Richtung es sonst geht. Und egal mit welchem Begriff man es jetzt festmacht, wer den Deutschen ihre Kultur abspricht ist weder minstrabel noch sonst irgendwo im Lande zu gebrauchen. Soll sie doch dahin gehen, wo es “Kultur” nach ihrem Gusto gibt.

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