Oswald Metzger, Gastautor / 21.07.2014 / 16:17 / 5 / Seite ausdrucken

Das Kreuz mit der Gerechtigkeit

Wohl mit keinem Wort wird in gesellschaftspolitischen Debatten mehr Schindluder getrieben als mit dem Wort „Gerechtigkeit“. Es hat sich zu einem Wieselwort entwickelt – inhaltsleer, wie ein vom Wiesel leergesaugtes Ei, von dem nur die Schale übrigbleibt. Soziale Gerechtigkeit ist längst zu einer reinen Anspruchsnorm verkommen, die das Verteilen vor das Verdienen stellt.

Wie in der Streitfrage eines gesetzlich verordneten Mindestlohns: Immer wird mit dem Gerechtigkeitspathos argumentiert! Ein Mensch soll von den Früchten seiner Arbeit anständig leben können – egal, über welche berufliche Qualifikation er verfügt, gleichgültig ob sich Kunden finden, die den dafür notwendigen Preis für Güter oder Dienstleistungen zu zahlen bereit sind. Schnäppchenjäger finden sich in allen Gesellschaftsschichten. Bei der Kaufentscheidung ist vielen der Wert der Arbeit gleichgültig. Aber den Mindestlohn befürworten laut Umfragen 80 Prozent.

Das ist Pharisäertum. Wie oft bekomme ich in Gesprächen mit, wie Durchschnittsbürger von der Pflege ihrer Eltern durch osteuropäische Frauen reden, die man für 1.000 Euro monatlich im Rund-um-die-Uhr-Dienst, alle zwei bis drei Monate im Wechsel, einsetzt. Wenn man hier die Stundenlöhne ausrechnet und diese privaten „Arbeitgeber“ dann für den Mindestlohn verbal trommeln hört, dann wird ihr Einsatz für eine gerechte Entlohnung der Arbeit zur leeren Phrase. Damit ist aber auch das Ventil vorgezeichnet, in das hohe gesetzliche Mindestlöhne führen: Die Schattenwirtschaft wird blühen. Die Forderung nach gerechten (= hohen) Löhnen ist das eine, die tatsächliche Bezahlbereitschaft das andere.

Bei den Mietpreisen, die der Staat jetzt gesetzlich deckeln will, der gleiche Gerechtigkeits-Unsinn. Wir erleben seit Jahren eine Flucht in Immobilien, die von der Nullzinspolitik der EZB als Folge der Eurokrise angeheizt wird und in einer Blase zu münden droht. Außerdem können wir als Folge des demografischen Wandels einen Trend zur Stadt beobachten. Ältere verkaufen ihre Einfamilienhäuser auf dem Land, wo sie um ihre Nahversorgung fürchten – und ziehen Eigentum in den Zentren mit kurzen Wegen und kompletter Infrastruktur vor. Wer diese beiden Megatrends mit einer Mietpreisbremse stoppen will, wird das Gegenteil bewirken. Investitionen in Mietwohnungen werden unrentabel. Damit verknappt sich das Angebot und die Mieter bleiben bei der Wohnungssuche in den angesagten Städten komplett auf der Strecke.

Wer leidenschaftlich für Gerechtigkeit in einer Gesellschaft kämpft, der muss dafür sorgen, dass Menschen dazu imstande sind, für sich selbst zu sorgen und nicht auf die Alimentation durch die Gesellschaft spekulieren. Das bedeutet Bildungschancen für alle, egal wie groß oder klein der Geldbeutel der Eltern ist. Das bedeutet die Anerkennung der individuellen Einsatzbereitschaft auch durch ungleiche Einkommen. Denn wer unter der Flagge der Gerechtigkeit für Einkommensgleichheit plädiert, der unterminiert die Einsatzbereitschaft von vielen Millionen Arbeitnehmern wie Unternehmern. Und riskiert damit den Wohlstand der ganzen Gesellschaft. 

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Leserpost

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Frank Holbers / 22.07.2014

@ K. Helger Darf ich einen Änderungsvorschlag machen? Der Gegensatz zum ‘trockenen Wasser’ wäre doch ‘nasses Wasser’. @ O. Metzger Sia haben in jedem Punkt recht und de Politiker (die meisten sind ja nicht stohdoof) wissen das auch. Aber der großen Masse - und damit den Wählern - kann man diese Soziallügenmärchen bestens verkaufen. Und genau und nur darum geht es im politischen Geschäft. Es ist ja gerade das Verwerfliche daran, daß die Politiker WIDER BESSEREN WISSENS handeln.

Archophob / 22.07.2014

“Das bedeutet Bildungschancen für alle, egal wie groß oder klein der Geldbeutel der Eltern ist.” Da Kinder individuell verschieden sind, ist die Einheitsschule für alle der denkbar schlechteste Weg, jedem Kind gerecht zu werden. “Gleich” ist eben nicht “gerecht”. Wenn die jeweiligen Landesregierungen das Geld, das Schüler von Privatschulen ihnen im staatlichen Schulsystem einsparen, an ebendiese Schüler bzw. die Eltern als Schulgeld-Zuschuß auszahlen würden, könnten sich wesentlich mehr Familien eine wirklich individuelle Schulung ihrer Kinder leisten. Wieviele Familien sich eine ordentliche Bildung ihrer Kinder leisten könnten, wenn der Staat aufhören würde, von jedem kleinen Ich-AGler eine EkSt- und MwSt-Erklärung zu fordern, davon wage ich kaum zu träumen…

Stefan Maschke / 22.07.2014

Guten Tag, ich habe mal eine ganz grundsätzliche Frage: Wieso ist eigentlich immer von ‘sozial’ die Rede wenn in Wirklichkeit ‘finanzielle’ Interessen im Vordergrund stehen? Als Beispiel lassen sich die ‘sozial Schwachen’ anführen. Tatsächlich haben Hartz-IV-Empfänger weniger Geld in der Tasche als die meisten Arbeitnehmer, aber ob sie deswegen ‘sozial schwach’ sind (also asozial) ist nicht zwangsläufig gegeben. Wenn man also schon Worte wie Gerechtigkeit verunstaltet dann doch bitte ehrlich. Mfg Stefan

Max Wedell / 21.07.2014

Zum Gerechtigkeitsgetöse kann ich nur wiederholen, was ich hier schonmal schrieb, was mir aber so wichtig erscheint, daß es auch nicht schadet, es ggf. ein zweites Mal zu lesen: In Deutschland wuchs der Anteil der Einwanderer von 5 Mio. Ende der 80er auf über 15 Mio. heute. Ein erheblicher Teil der Einwanderer liegt bei Bildung/Ausbildung und Privatvermögen unter dem deutschen Durchschnitt, z.T. weit darunter (Kriegsflüchtlinge z.B. kommen selten als reiche Menschen ins Land, öfter aber als Menschen, die gerade mal nur ihre Kleider dabei haben). Infolge dessen gab es in diesem Zeitraum natürlich einen markanten Anstieg der Armut sowie von Beschäftigten in Niedriglohnbereichen. Die entsprechenden Statistiken dazu sind das, was jedesmal von links als Zeichen davon angeführt wird, daß die “soziale Gerechtigkeit” in D abhanden gekommen sei… wobei allerdings regelmäßig der Hintergrund der Statistiken verschwiegen wird, ihre Ursache - die massive Armutsimmigration der letzten 25 Jahre. Zum einen befürchtet man, daß die breitflächig kolportierte Story, Einwanderung würde D grundsätzlich nützen, dadurch Kratzer abbekommen könnte… zum anderen würden sich die Einheimischen natürlich fragen: Ist es wirklich “sozial ungerecht”, wenn bei einem Einwanderer eine aufs Einwanderungsland bezogen unterdurchschnittliche soziökonomische Lage bei der Einwanderung nach nur wenigen Jahren im Land immer noch unterdurchschnittlich ist, ohne das man näher hinschauen muß? Etwa auf Bereitschaft und Fähigkeit, die deutsche Sprache zu lernen, was überhaupt erst zu mindestens durchschnittlichem Einkommen befähigen würde, oder auf Bereitschaft und Fähigkeit, sich so weit auszubilden, daß Beschäftigungen jenseits der Niedriglohnbereiche möglich sind, oder - ganz allgemein - auf Bereitschaft zu dem Maß an Integration, das für Einkommen oberhalb des Durchschnitts unabdingbar ist? Nein, alles viel zu gefährliche Fragen, da plappert man lieber weiter vom Abhandenkommen der sozialen Gerechtigkeit, ohne näher auf die den entsprechenden und vielzitierten Statistiken zuggrundeliegenden Entwicklungen einzugehen… die werden hartnäckig verschwiegen, und je hartnäckiger sie verschwiegen werden, desto größer wird die Angst, sie zu benennen, denn desto größer ist der Anschein des Außenseitertums bei jenen, die sie zu benennen wagen. Der einzige (mir bekannte), der es dennoch wagte, ist Meinhard Miegel, der im Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) im Jahr 2008 eine Studie “Von Verlierern und Gewinnern - Die Einkommensentwicklung ausgewählter Bevölkerungsgruppen in Deutschland” veröffentlichte, die sagt: “Die Zunahme Einkommensschwacher wurde seit 1996 zu knapp drei Vierteln durch Menschen mit Migrationshintergrund bewirkt” und als “Gründe für zunehmende Einkommensungleichheit” aufzählt: 1. Starke zahlenmäßige Zunahme nicht oder schlecht integrierter Migranten sowie ansässiger Alleinerziehender. 2. Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ansässiger Paare mit Kindern sowie über 64-Jähriger. Zu den Alleinerziehenden schreibt er übrigens: “Die stetige und starke Zunahme der Zahl Alleinerziehender hat nicht vorrangig wirtschaftliche oder soziale Gründe, sondern ist die Folge bestimmter gesellschaftlicher und individueller Sicht- und Verhaltensweisen. Dass die Trennung der Eltern oft zu einem wirtschaftlichen Absturz aller Beteiligten führt, wird im Rahmen dieser Sicht- und Verhaltensweisen in Kauf genommen. Was ein Paar zu schultern vermag, vermögen zwei getrennt Lebende häufig nicht mehr zu tragen. Deshalb bedeutet die Trennung von Eltern in vielen Fällen eine Verschiebung individueller Verantwortung auf das Gemeinwesen. Dieses muss entscheiden, ob und in welchem Umfang es zur Übernahme dieser Verantwortung bereit und in der Lage ist. Bei der derzeitigen Regelung ist ein wirtschaftlicher Abstieg vieler Alleinerziehender zwangsläufig.” Auch hier ist wirklich die Frage, ob es “sozial ungerecht” ist, wenn Menschen abträgliche wirtschaftliche Konsequenzen erfahren, wenn sie nicht mehr die Geduld aufbringen (wenigstens solange Kinder zu erziehen sind) in einer Partnerschaft zu verbleiben, wie es ihrer Elterngeneration unerklärlicherweise noch in weit größerem Maße möglich war (oder überhaupt keine Lust haben, am Anfang erstmal “zu prüfen, wer sich ewig bindet”). Meine Meinung: “Alleinerziehung? Selber schuld und kein Problem, das der Gesellschaft aufgehalst werden muß”. Daß es aber die linke Medienöffentlichkeit anders sieht, die jedes Individualproblem natürlich immer gesellschaftlich lösen will, ist schon klar. Für die dort tätigen Propagandisten ist es ja das gute Recht der Menschen, sich aus individuellen Launen heraus mit Kind vom Partner zu trennen und die daraus resultierenden finanziellen Lasten anschließend der Gesellschaft aufzubürden, die sie verdammt noch mal so zu tragen hat, daß gefälligst keine “Armut” entsteht. Diese beiden ganz wesentlichen Aspekte der angeblichen “sozialen Ungerechtigkeit” will allerdings niemand benennen und diskutieren, stattdessen faselt man in der Gerechtigkeitsdiskussion verbreitet, leider nicht nur links sondern auch schon rechts, vom “Neoliberalismus” oder vom “kalten Kapitalismus” oder ähnlichen Popanzen.

Karl Helger / 21.07.2014

Herr Metzger, das Problem beginnt bereits, in dem man dem Wort “Gerechtigkeit” ein weiteres Wort vorstellt, das “Soziale”. Wenn etwas gerecht ist, braucht es nicht weiter definiert werden. Wenn etwas sozial gerecht ist, dann kann es per definitionem nicht mehr gerecht sein. Das ist wie bei Wasser. Man erwähnt ja nicht, daß Wasser flüssig (zwischen 0-100°C) ist. Wenn man wiederum vom trockenen Wasser spricht, kann es sich nicht um Wasser handeln.

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